Eine Tiktokerin mit sechs Millionen Followern erzählt uns, was sie gegen Hasskommentare macht, wir besuchen einen Sozialpädagogen an einer Schule, der gegen Cybermobbing kämpft. Und Expert:innen geben Tipps, wie man sich schützt.
›Bei "normalem" Mobbing ist die Zeit nach der Schule und das Zuhause meist eine Art freie Zone gewesen. Diese wurde mir durch die "Möglichkeiten" des Internets auch noch genommen. Ich war in dieser Zeit oft extrem niedergeschlagen und verzweifelt. Ich hatte Angst in die Schule zu gehen und auf mein Handy zu schauen.‹ Heute ist Sarah 20 Jahre alt und beschreibt sich als selbstbewusst und glücklich. Der Hass ihrer Mobber habe Wunden hinterlassen, sie aber auch stärker gemacht."Hobby-Musiker Tommy bekam einen Shitstorm, nachdem er ein Satire-Video über die AfD gepostet hat.
Zum Beispiel auch Dalia Mya. Die 19-Jährige hat sechs Millionen Follower auf der Video-Plattform TikTok. Wir treffen sie zu Hause in Berlin.
Ich habe auf jeden Fall das Gefühl, dass es komplett zunimmt gerade. In der Corona-Zeit. Alle sind zu Hause und ich habe das Gefühl, dadurch haten noch mehr Leute, weil den allen langweilig ist und die nichts zu tun haben. Und die dann viel auf Social Media unterwegs sind."Hassnachrichten schreiben, vorlesen, wirken lassen - ein Rollenspiel am Gymnasium Finkenwerder. Die 6a macht ein Anti-Mobbing-Training und wir dürfen dabei sein. Das ist "Holly", eigentlich: Holger Hülsemann -der Schulsozialpädagoge.
An diesem Gymnasium nehmen alle Schülerinnen und Schüler an Hülsemanns Training teil.
Die Klasse kennt sich gut aus. Kein Wunder: 40 Prozent der sechs bis zwölf-Jährigen sind laut dem Bündnis gegen Cybermobbing regelmäßig in sozialen Netzwerken aktiv. Doch was Schulschließungen, geteilte Klassen und Distanzunterricht auslösen können, wusste niemand.
Es geht nicht nur um Fußballvereine. Der Blick in die Wohnung macht soziale Unterschiede sichtbar, was Mobbing auslösen kann - und für manche Schüler belastend ist.
Laut der Studie Jugend-Information-Multimedia verbrachten Kinder und Jugendliche im Jahr 2020 eine knappe Stunde mehr pro Tag im Netz als im Jahr davor. Und weniger Zeit in der Schule. Für Holger Hülsemann ist das ein Problem. Das Hamburger Anti-Mobbing-Programm heißt "Gemeinsam Klasse sein". Doch genau das ist in der Pandemie nicht ohne Weiteres möglich.
In der 6a bleiben heute drei Schülerinnen und Schüler auf Wunsch der Eltern zu Hause, sie verfolgen das Anti-Mobbing-Training am Rechner. Auf Distanz lässt sich kaum Vertrauen aufbauen oder aufrechterhalten.
Trotzdem: Die Lage am Gymnasium Finkenwerder ist besser als an vielen anderen Schulen. Laut dem Bündnis für Cybermobbing wünschen sich Schülerinnen und Schüler mehr Unterstützung von ihren Schulen bei Mobbing-Vorfällen im Netz. Doch Präventionsangebote finden wegen der Pandemie nur noch selten regelmäßig statt.
Der Schulsozialpädagoge ist beliebt, auch nach einem Jahr Pandemie hat er einen Draht zu den Schülern. Die nehmen das Anti-Mobbing-Training am Ende eines langen Schultages ernst - auch, weil Holger Hülsemann sie ernst nimmt.
Warum das Gesetz viel zu spät kommt, erklärt uns SPIEGEL-Experte Max Hoppenstedt. Hass im Netz wirke sich längst auf das echte Leben aus, sagt er. Ein Beispiel: die Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke.
Bislang reichte es aus, wenn die sozialen Netzwerke volksverhetzende Inhalte selbst löschten. Mit dem neuen Gesetz müssen sie Daten und IP-Adressen der anonymen Hetzer an das Bundeskriminalamt weitergeben.
Ist das ein Durchbruch für die Strafverfolgung von Hass im Netz? Tätern drohen nun Geldstrafen im drei- bis vierstelligen Bereich, bisweilen sogar Haftstrafen.
Auch mit dem neuen Gesetz bleiben Probleme bestehen: Denn meldepflichtig sind lediglich die fünf großen Plattformen: YouTube, Facebook, Instagram, TikTok und Twitter.
Einheitliche Zahlen zu strafbaren Inhalten in sozialen Netzwerken gibt es bislang nicht. Die Regierung rechnet mit Ermittlungen in rund einer Viertelmillion Fällen. Aus ihnen könnten geschätzt rund 150.000 Strafverfahren resultieren. Das BKA hat für die Ermittlungen Hunderte neue Stellen geschaffen. Höchste Zeit, sagt Hoppenstedt.
Hass im Netz trifft nicht nur die, die direkt angesprochen werden, sondern auch die, die mitlesen. Und häufig sind das Frauen. Diese Erfahrung macht Louisa Dellert, der auf Instagram 400.000 Menschen folgen.
Früher ging es um Fitness, heute beschäftigt sich Dellert mit Feminismus, Nachhaltigkeit und Politik - und, notgedrungen, mit Beleidigungen.
Unterstützung gefunden hat Louisa Dellert bei HateAid, einer 2018 gegründeten Beratungsstelle für Betroffene von digitaler Gewalt. Wir treffen Jospehine Ballon, eine von 38 Menschen, die bei HateAid arbeiten. HateAid will das Internet zu einem besseren Ort für alle machen - an dem nicht mehr wie jetzt oft das Recht des Stärkeren gilt.
In drastischen Fällen prüft HateAid auch rechtliche Schritte. Kommt es zum Prozess, trägt HateAid die Kosten. Dafür erhält die Organisation eingeklagtes Schmerzensgeld als Spende.
Die Sorge, dass aus Online-Hass tatsächliche Gewalt entsteht, prägt auch das Leben des Autors Hasnain Kazim.
"Mein Kalifat - Ein geheimes Tagebuch, wie ich das Abendland islamisierte und die Deutschen zu besseren Menschen machte" heißt Kazims neuestes Buch über seinen Umgang mit Hassnachrichten. Kazim treibt die Vorurteile gegen ihn auf die Spitze - geht in die Offensive.
Kazim erstattet regelmäßig Anzeige wie auch Louisa Dellert. HateAid fordert eine leichtere Strafverfolgung von digitaler Gewalt, zum Beispiel durch die Einrichtung weiterer Spezial-Staatsanwaltschaften.
Rachelle Pouplier, DER SPIEGEL "Mit der neuen Gesetzeslage bleibt zumindest zu hoffen, dass sich die Situation im Netz verbessert. Für uns alle gilt bei digitalem Hass: nicht wegsehen, sondern stark machen für andere. In der nächsten Folge von Republik 21 wollen wir wissen: Wie wird Deutschland gerechter? Egal ob es um niedrige Löhne, ungleiche Bildungschancen oder überteuerten Wohnraum geht - fragen Sie sich auch, warum es in manchen Bereichen ungerecht abläuft? Dann schicken Sie uns Ihre Fragen zum Thema bei Instagram."