Text
Vier Menschen aus vier Erdteilen finden Antworten auf die Klimakrise,
auch erschienen unter dem Titelthema zu Sicherheit im Oya-Magazin Ausgabe #70/2022
Seit 277 Tagen dominiert Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine die Nachrichten. Ausnahmen, wie der Tod der Queen oder die Fußball-WM, gibt es wenige. 9 Monate Kriegsberichterstattung, in denen eine Frage zu kurz kam: Was bedeutet Sicherheit eigentlich in der heutigen Welt?
Denn Sicherheit ist mehr als eine Frage von Krieg und Frieden. Selbst wenn in der Ukraine keine Bomben mehr fallen, die Freiheitsbewegung im Iran nicht mehr gewaltsam niedergeschlagen wird, der Waffenstillstand in Äthiopien wirklich hält, kann nicht von Sicherheit die Rede sein. Es geht mindestens genauso sehr um ausreichend Essen und Trinken, eine intakte Gesundheit, psychische Stabilität, vielleicht ein eigenes Bett. Die Klimakrise bedroht all das. Aber das Bewusstsein dafür fehlt. Dabei warnt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) seit 15 Jahren: »Klimawandel verstärkt Mechanismen, die zu Unsicherheit und Gewalt führen.« In anderen Worten: Zunehmendes Klimachaos ist ein Sicherheitsrisiko.
Schon 1992 auf der ersten UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro wurde das Ziel formuliert, eine »gefährliche Störung des Klimasystems« zu verhindern. Was das genau bedeuten soll, wurde allerdings nicht definiert. Bei den darauffolgenden Weltklimakonferenzen spielte auch deshalb das Thema Sicherheit eine untergeordnete Rolle. Dieses Jahr hat sich das zum ersten Mal geändert: Nach nächtelangen Verhandlungen wurde ein Fonds für »Loss and Damage« beschlossen, worüber in Zukunft betroffene Länder Schadensersatzansprüche geltend machen könnten, wenn sie Geld für den Wiederaufbau nach einer Klimakatastrophe brauchen. Woher das Geld kommen und wie viel an wen gezahlt werden soll, ist noch unklar. Bundeskanzler Olaf Scholz versprach in Ägypten 170 Millionen Euro deutscher Beteiligung für einen Schutzschirm gegen Klimarisiken im Globalen Süden.
Dass die Rechnung nicht aufgeht, zeigt ein Blick auf die Kosten für den Wiederaufbau nach der Flut von 2021: Die Wassermassen haben allein in Westdeutschland und Belgien Schäden in Höhe von 43 Milliarden Euro verursacht. Am meisten betroffen sind weltweit weiterhin Länder aus dem Globalen Süden. Der Weltklimarat lässt in seinem sechsten Sachstandsbericht keine Zweifel daran, dass Wetterextreme wie Hitzewellen oder Überflutungen durch die Klimakrise häufiger und heftiger werden. Die Freude über den Verhandlungserfolg auf der COP27 in Ägypten war deshalb gedämpft, UN-Generalsekretär António Guterres stellte klar:
“Ein Fonds für Verluste und Schäden ist wichtig – aber er ist keine Lösung, wenn die Klimakrise einen kleinen Inselstaat von der Landkarte spült oder ein ganzes afrikanisches Land in eine Wüste verwandelt.”
Theresa Leisgang ist ausgebildete Journalistin und Campaignerin. Sie erkundet seit 10 Jahren die Verbindungen zwischen Menschenrechten und Klimakrise, zwischen Landwirtschaft und Artensterben, zwischen indigenem Wissen und imperialer Lebensweise. Theresa ist Mitbegründerin des Netzwerks Klimajournalismus Deutschland und mit ihrem Team im "Klimalabor" auf der Suche nach einem journalistischen Format, das uns in der Klimakrise wirklich weiterbringt.
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auch erschienen unter dem Titelthema zu Sicherheit im Oya-Magazin Ausgabe #70/2022
Seit 277 Tagen dominiert Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine die Nachrichten. Ausnahmen, wie der Tod der Queen oder die Fußball-WM, gibt es wenige. 9 Monate Kriegsberichterstattung, in denen eine Frage zu kurz kam: Was bedeutet Sicherheit eigentlich in der heutigen Welt?
Denn Sicherheit ist mehr als eine Frage von Krieg und Frieden. Selbst wenn in der Ukraine keine Bomben mehr fallen, die Freiheitsbewegung im Iran nicht mehr gewaltsam niedergeschlagen wird, der Waffenstillstand in Äthiopien wirklich hält, kann nicht von Sicherheit die Rede sein. Es geht mindestens genauso sehr um ausreichend Essen und Trinken, eine intakte Gesundheit, psychische Stabilität, vielleicht ein eigenes Bett. Die Klimakrise bedroht all das. Aber das Bewusstsein dafür fehlt. Dabei warnt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) seit 15 Jahren: »Klimawandel verstärkt Mechanismen, die zu Unsicherheit und Gewalt führen.« In anderen Worten: Zunehmendes Klimachaos ist ein Sicherheitsrisiko.
Schon 1992 auf der ersten UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro wurde das Ziel formuliert, eine »gefährliche Störung des Klimasystems« zu verhindern. Was das genau bedeuten soll, wurde allerdings nicht definiert. Bei den darauffolgenden Weltklimakonferenzen spielte auch deshalb das Thema Sicherheit eine untergeordnete Rolle. Dieses Jahr hat sich das zum ersten Mal geändert: Nach nächtelangen Verhandlungen wurde ein Fonds für »Loss and Damage« beschlossen, worüber in Zukunft betroffene Länder Schadensersatzansprüche geltend machen könnten, wenn sie Geld für den Wiederaufbau nach einer Klimakatastrophe brauchen. Woher das Geld kommen und wie viel an wen gezahlt werden soll, ist noch unklar. Bundeskanzler Olaf Scholz versprach in Ägypten 170 Millionen Euro deutscher Beteiligung für einen Schutzschirm gegen Klimarisiken im Globalen Süden.
Dass die Rechnung nicht aufgeht, zeigt ein Blick auf die Kosten für den Wiederaufbau nach der Flut von 2021: Die Wassermassen haben allein in Westdeutschland und Belgien Schäden in Höhe von 43 Milliarden Euro verursacht. Am meisten betroffen sind weltweit weiterhin Länder aus dem Globalen Süden. Der Weltklimarat lässt in seinem sechsten Sachstandsbericht keine Zweifel daran, dass Wetterextreme wie Hitzewellen oder Überflutungen durch die Klimakrise häufiger und heftiger werden. Die Freude über den Verhandlungserfolg auf der COP27 in Ägypten war deshalb gedämpft, UN-Generalsekretär António Guterres stellte klar:
“Ein Fonds für Verluste und Schäden ist wichtig – aber er ist keine Lösung, wenn die Klimakrise einen kleinen Inselstaat von der Landkarte spült oder ein ganzes afrikanisches Land in eine Wüste verwandelt.”
Überall auf der Welt verstehen Menschen Klimaschutz längst als Teil einer neuen Sicherheitspolitik. Riyaz Rawoot, Evelyn Payaguaje, Laura Brämswig und Dune Lankard wissen, dass ein Leben in Frieden mehr ausmacht als die Abwesenheit von Bomben. Und dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist. Am Kap der Guten Hoffnung, im Amazonasbecken, am Copper River Delta und in Berlin arbeiten sie deshalb daran, dass niemand in der Krise zurückgelassen wird. Sie warten nicht darauf, dass die Mächtigen etwas für sie tun, sie ermächtigen ihre Communitys selbst. Statt mit dem alten System zu kämpfen, in dem sie leben, sorgen sie dafür, dass ein neues entsteht – eines, in dem sie sich geborgen fühlen. Denn in dieser Welt voller Unsicherheit ist nur eines sicher: Der Wandel kommt, ob wir wollen oder nicht. Noch können wir ihn gestalten.
zu den Portraits: hier entlang
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily
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