Mittlerweile von der Weltöffentlichkeit fast vergessen, kämpfen die Menschen in Nepal zu Beginn der Monsunzeit immer noch mit den Folgen des Erdbebens. Die nepalesische Bürokratie erschwert zusätzlich die Arbeit von Hilfsorganisationen. Wissenschaftler des Heidelberger Südasieninstituts (SAI) nutzen daher persönliche Kontakte, um Spendengelder direkt an neun verschiedene Projekte zu überweisen. Der Fokus liegt nicht auf humanitärer Hilfe, sondern dem Wiederaufbau des Kulturerbes, das seit Jahrzehnten Forschungsobjekt der Wissenschaftler war. Der Bauhistoriker Niels Gutschow erklärt im Interview, warum er mit seinen Kollegen die Tempeltradition im Katmandu-Tal erhalten will.
Herr Gutschow, wie sehen Sie 6 Wochen nach dem Erdbeben die Spendenaktion des SAI?
Es sind jetzt etwa 200.000 Euro auf dem Konto und ich finde das ist etwas völlig Einmaliges und Ungewöhnliches, dass ein Institut der Universität so aktiv wird und dass deutlich wird: Nepal hat so viele Freunde.
In den Medien wurde hauptsächlich über die Kulturerbe-Projekte des SAI berichtet. Was ist denn für die Leute vor Ort jetzt wirklich wichtig, zuerst einen Tempel wiederaufzubauen, oder ein Dach über dem Kopf zu haben?
Das ist eine Frage, die auf der ganzen Welt immer wieder neu diskutiert wird – bei uns nach dem Krieg 1945 genauso. Aber das darf man nicht gegeneinander aufwerten, das muss parallel laufen. Wir haben alleine drei Projekte für Kinder und eines für ältere Menschen. Aber wir sind hier am SAI eine Ausnahme mit dem Wiederaufbau der Tempel. Auf die Idee ist sonst niemand gekommen.
Für welches Projekt sind Sie Pate?
Wir haben uns einen Tempel auf dem Darbar Platz in Patan vorgenommen, wo auch Professor Axel Michaels gearbeitet hat. Das ist kunsthistorisch der wertvollste überhaupt, er stammt aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Feuer und Erdbeben gab es schon immer, deshalb sind die Tempel immer wieder neu entstanden und es gibt ganz wenige aus der Zeit vor dem 17. Jahrhundert. Dass man Bauwerke erhält ist ein relativ neuer Gedanke der Romantik. Erst um 1850 entstand die Idee, „Denkmalpflege“ zu betreiben. Und in Nepal oder anderen Ländern geht es oft nicht darum, einen Tempel genauso wieder aufzubauen, wie er war, sondern einen ganz neuen zu bauen. Der Stifter will sich ja wiedererkennen, nicht in altem Gelump, sondern in etwas prächtigem Neuem.
Mit welcher Legitimation gehen Sie dann hin und bauen doch einen alten Tempel wieder auf, wenn es dort diese Idee der Denkmalpflege gar nicht gibt?
In Nepal würde im Moment jeder die alten Gebäude wieder haben wollen. Weil das ist eine Qualität, die gibt es nicht mehr. Wir haben ja keinen König mehr, der seine Schatulle wieder aufmacht und sagt: jetzt bauen wir noch etwas Besseres.
Das heißt, Sie sind jetzt der neue König von Nepal?
In gewissem Sinne: ja. Wir füllen eine Lücke. Langsam gibt es mehr und mehr neue Stifter: Mein Popsänger-Freund Yogeshwar Amatya will 100.000 Dollar spenden, auch Geschäftsleute spenden für den Wiederaufbau.
Mit wem sprechen Sie sich ab, wenn Sie den Tempel im alten Stil wieder aufbauen? Basiert das auf der Vorstellung von deutschen Architekten, oder gibt es da eine Diskussion mit den Bürgern oder der Regierung?
Es gibt in Nepal ein Denkmalamt, das „Department of Archeology“. Das verfügt nicht über Mittel, arbeitet nicht effizient, und ist auch fachlich überfordert, weil niemand, der qualifiziert ist, freiwillig dort arbeiten will. Aber wir brauchen natürlich deren Kooperation und auch deren Zustimmung, wir haben die Genehmigung schon beantragt.
Wenn Sie gezielt Geld für den Tempelaufbau sammeln, dann haben Sie bereits ein bestimmtes Bild im Kopf. Ist da überhaupt noch Platz für Alternativen, zum Beispiel ein Monument, oder einen nepalesischen „Ground Zero“?
Nein, es gibt bereits drei Denkmäler in Erinnerung an das Erdbeben 1934, unscheinbare kleine Denkmäler. Und es gibt ja einen Gedenktag dafür in Nepal, am 15. Januar.
Aber man muss sich ja fragen: Für wen will man die Tempel erhalten? Für die Bewohner oder für die Touristen?
Das kann man bestimmt nicht trennen, der Tourismus ist unglaublich wichtig dort.
Schauen Sie doch mal dieses unsägliche Schloss hier an, ich lache immer darüber. Aber das ist Heidelberg, und ohne das Schloss würden die Touristen nicht kommen. Aber die Menschen leben auch in Nepal im 21. Jahrhundert und die haben wie Sie ihr Smartphone immer dabei. Wenn es in Bhaktapur ein religiöses Festival gibt, machen die Millionen Fotos vor diesen Kulissen. Wer überhaupt nur gehen kann ist dabei, 95% der Bevölkerung ist auf der Straße. Das Entscheidende ist, dass die rituelle Infrastruktur intakt ist. Und da fallen die 50 Touristen überhaupt nicht auf. Die haben auch gar keine Geduld zu warten, bis die Götter auftauchen.
Wer wird an Ihrem Projekt mitarbeiten? Sind das nepalesische Facharbeiter?
Diesen Begriff gibt es nicht. Ein Zimmermann lernt im Alter von vier Jahren den Hammer halten. Und dann lernt er so wie sein Vater es ihm beigebracht hat. Und das ist auch ein ganz wichtiger Aspekt: Was dort jetzt neu entsteht, das machen die Ururenkel derjenigen, die früher die Tempel gebaut haben. Das ist auch einmalig in der Welt, dass die Tradition des Handwerks ungebrochen ist. Ein Teil unserer Spendengelder ist schon bei den Holzschnitzern angekommen, die jetzt anfangen, die Rahmen der Tempelfenster restaurieren.
erscheinen am 01.07.2015 in der Rhein-Neckar-Zeitung
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