Leipzig. Als Koryphäe des deutschsprachigen Journalismus wollte sich Antonia Rados nicht so recht bezeichnen lassen. Zumindest hob sie die Augenbrauen, als Moderator Dennis Blatt sie mit diesen Worten als zweiten Gast des Leipziger Journalistik-Forums in diesem Semester begrüßte. Das Publikum gab Blatt allerdings recht: Der Hörsaal war voll besetzt, einige mussten sogar auf den Stufen Platz nehmen. Aber auch die Anschläge von Paris, noch nicht ganz eine Woche her, hatten wohl für das große Interesse gesorgt, sagte Gastgeber und Honorarprofessor Ruprecht Eser. „Der Begriff Kriegsreporter hat seit vergangener Woche einen anderen Klang."
Rados strahlte Ruhe aus. Obwohl das Ansteckmikro während der gesamten Veranstaltung einfach nicht an ihrer Bluse halten wollte. Einen kühlen Kopf und Gelassenheit, das brauche ein Reporter. „Als Journalist musst du relativ kalt an die Sache herangehen. Wer zu viele Emotionen hat, sollte meiner Auffassung nach nicht berichten, so Rados. Fakten liefern und nicht spekulieren also. Einigen ihrer Kollegen sei genau das bei der Berichterstattung über die Anschläge in Paris nicht gelungen. Diese bezeichnete Rados als „Katastrophe".
Keine Angst schüren
Das wollten die beiden Interviewerinnen Theresa Held und Raja Kraus und auch Professor Eser genauer wissen. Was war so katastrophal und wie hätte es besser laufen können? „Präzision und Realitätssinn sind das Werkzeug eines Journalisten", erklärte Rados. Das sei umso wichtiger, je chaotischer die Lage ist. Ein Journalist müsse immer Kontext geben - dafür brauche es mehr als nur einen Twitter-Account. Rados spielte damit auf die Rolle neuer sozialer Medien in der Berichterstattung an und riet, sich nicht jagen zu lassen, weder von der Konkurrenz noch von der Leserschaft.
Wie aber schafft man es in Ausnahmesituationen besonnen zu bleiben und eben keine Angst zu schüren? Das A und O sind laut Rados Quellenangaben: Woher stammt eine Information und ist die Quelle glaubwürdig? Eine simple Grundregel, die vor allem die BBC in den vergangenen Tagen beherzigt habe. „Jeder hat das Recht auf seine Meinung, aber nicht jeder hat das Recht auf seine eigenen Fakten", so Rados. Lieber zweimal hinsehen, zweimal nachdenken, bevor man etwas meldet.
Nicht eingreifen, sondern berichten
Wie man persönlich damit fertig werde, immer wieder von Krieg und Krisen zu berichten, wollte ein Gast im Publikum wissen. „Ich rede darüber", antwortete Rados. Beim Fernsehen sei man glücklicherweise immer mindestens zu zweit. Mit ihrem Kameramann arbeitet sie seit vielen Jahren eng zusammen. An ihm bemerke sie auch immer wieder die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Kriegsreportern. „Männer sind mehr am Krieg selbst interessiert, Frauen eher daran, was der Krieg anrichtet." Gerade einmal zehn Prozent aller Kriegsreporter sind Frauen. Rados sieht in ihrer weiblichen Berichterstatter Rolle aber durchaus Vorteile: Sie werde weniger als Bedrohung wahrgenommen und habe gerade zu Frauen, die häufig besonders unter Krieg leiden, einen Zugang. Mit Leid und Ungerechtigkeit sei man ständig konfrontiert. Immer wieder müsse man sich klarmachen, dass man nicht als Helfer, sondern als Berichterstatter komme. „Man darf nicht in die Situation eingreifen, die Kamera verändert sie ohnehin schon", meint Rados. Erlebt hat sie diesen Konflikt auf der griechischen Insel Lesbos oder im Irak.
Fehlende Perspektiven
Seit Jahrzehnten berichtete Rados für die Öffentlich-Rechtlichen Fernsehsender, seit 2009 fest für die privaten Sender RTL und n-tv von Ausnahmesituationen und aus Kriegsgebieten. Bekannt wurde sie vor allem durch ihre Reportagen aus Bagdad über den Irakkrieg 2003. Und es war auch in Bagdad, wo sie auf Menschen traf, die heute unter dem Deckmantel des Islams für Terror im Nahen Osten, in Afrika und nun auch in Europa sorgen. „Die gleichen Männer, die früher immer Whisky tranken". Rados warnte aber davor, Islam und Terror zu vermischen. „Es ist doch peinlich, dass wir darauf hinweisen müssen, dass nicht jeder Muslim ein Terrorist ist". Viel wichtiger sei dagegen die Demografie der arabischen Welt: Zwei Drittel der Menschen seien unter 30 und ohne Perspektive. Die Terrormiliz „Islamischer Staat" habe sich genau das zu Nutze gemacht.
Rados betonte, dass man auch mit diesen Kräften, mit autoritären Machthabern reden müsse. Darum bemühte sie sich schon früh. 1981 interviewte sie Jassir Arafat, 2010 den damaligen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, der dem Westen durch seine provokanten Äußerungen gegenüber Israel in Erinnerung blieb. 2011 sprach sie mit dem libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi. Aktuell bemüht sich Rados um ein Interview mit dem türkischen Präsidenten Erdogan.
Auch nach der Veranstaltung beschäftigte viele noch die Frage, wie es wohl im Nahen Osten mit dem IS weitergehen werde, wie wir in Europa davon betroffen sein werden. Rados antwortete gewohnt nüchtern, mit einem Sprichwort aus der Region: „Der erfahrene Prophet wartet die Ereignisse ab." Als Reporter spekuliert man eben nicht.
Von Francis Kahwe Mohammady und Nina Monecke
Die von Honorarprofessor Ruprecht Eser ins Leben gerufene Ringvorlesung wird von der Robert Bosch Stiftung unterstützt und von der Abteilung Journalistik der Universität Leipzig ausgerichtet. Das Video über Antonia Rados, erstellten Lauren Ramoser und Friederike Rohmann. Zum weiteren Film-Team gehörten Christoph Schäfer, Nadja Neqqache, Francis Kahwe Mohammady und Nina Monecke. Die Moderation und Gestaltung des Abends organisierten Raja Kraus, Theresa Held, Dennis Blatt, Elena Boshkovska, Sarah Schneidereit und Isabell Bergner. Sie alle studieren im ersten Semester des Masters Journalistik.
Ausblick
Zum Thema Krisen- und Kriegsberichterstattung werden in den kommenden Wochen folgende Gäste erwartet:
10. Dezember 2015 Golineh Atai: ARD Studio Moskau mit Schwerpunkt Ukraine-Berichterstattung, Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis und 2014 "Journalistin des Jahres" des Medium Magazins.
7. Januar 2016 Jörg Armbruster: ehem. ARD-Korrespondent Naher und Mittlerer Osten, 2013 im nordsyrischen Aleppo schwer verletzt, Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis und Ehrenpreis des Bayerischen Fernsehpreises 2015
21. Januar 2016 Olaf Ihlau: Sachbuchautor, ehem. Auslandsressortleiter "Spiegel" und Korrespondent in Belgrad, Athen, Neu Delhi und London.