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Christine Nöstlinger: „Es zahlt sich nicht aus, mit Strache-Wählern zu diskutieren"

Christine Nöstlinger im Interview über Feminismus und die FPÖ

Wer in den letzten 30 Jahren in Österreich aufgewachsen ist, ist wahrscheinlich mit Christine Nöstlinger aufgewachsen. Klar muss sie Teil unserer Serie an Frauen sein, die wir ein Jahr lang anlässlich des 30-jährigen Wienerin-Jubiläums porträtieren. Viele sind durch „ Maikäfer, flieg! " das erste Mal mit dem zweiten Weltkrieg in Berührung gekommen, haben mit Julia aus „Oh, du Hölle!" die Scheidung der Eltern verarbeitet und sich verliebt oder haben mit „Echt Susi" den Schulwechsel nach der Volksschule durchgemacht. Zumindest eine der Geschichten vom Franz oder von der Mini hat jeder irgendwann einmal vorgelesen bekommen oder selbst gelesen.

Immer politisch, niemals klischeehaft

Christine Nöstlinger nimmt Kinder ernst ohne Kindheit zu idealisieren. In einer Zeit, die politisch von der Familienrechtsreform geprägt war, hat Christine Nöstlinger auch die Kinder- und Jungendliteratur reformiert und mit emanzipatorischen und feministischen Inhalten gefüllt. Da wurde keine Moralkeule geschwungen, sondern ganz realistisch erzählt, wie es Kindern geht, wenn sich die Eltern scheiden lassen, wenn man ausgegrenzt wird oder unglücklich verliebt ist. Ihre Charaktere haben Ecken und Kanten und sind genauso wenig perfekt, wie ihre Freundschaften und Beziehungen. Und dabei nehmen sie nicht nur Kindern den Druck, perfekt sein zu müssen. Mit unfassbarer Einfühlsamkeit schreibt Christine Nöstlinger darüber, wie wichtig es ist, sich für andere einzusetzen und hinter die Fassade von Menschen zu blicken, ohne dabei jemals den Humor zu verlieren. Bei ihr gibt es ganz starke und selbstbewusste Frauen und Mädchen, gleichzeitig schreibt sie auch liebevoll von den Olfis, Hinzels und Fränzen, die auch Angst haben und verliebt sind und piepsen dürfen.

Treffen einer Ikone

Für das Interview treffe ich Christine Nöstlinger in ihrer Dachgeschosswohnung in Brigittenau. Im Schlepptau hab ich ein Packerl für sie, das mir meine beste Freundin mitgegeben hat, mit der ich vor 16 Jahren im Gymnasium mein allererstes Referat über das Buch „Rosa Riedl Schutzgespenst" gehalten habe. Das Packerl besteht aus einem liebevollen Dankesbrief für ihr Werk, einer Packung Merci und Lockenwicklern, weil Christine in „Maikäfer, flieg!" und „Zwei Wochen im Mai" sagt, dass blonde Locken und Schinkensemmeln für sie Frieden bedeuten. Aus organisatorischen Gründen musste statt der Schinkensemmel die Packung Merci hinhalten. Trotzdem nicht minder romantisch. Ihre Wohnung sieht nicht aus, als würde eine 79-jährige Frau darin wohnen. Sie ist groß, modern eingerichtet, auf dem Esstisch liegt ein Macbook Air herum. Passend zu einer Frau, die immer neugierig und am aktuellen Geschehen dran bleibt, nie aufhört zu diskutieren, ohne jemals kulturpessimistisch zu werden. Sie gesteht der Jugend auch zu, dass sie sie nicht immer verstehen muss.

Geschichten, die nicht aus der Mode kommen

Im Interview wird sich Frau Nöstlinger darüber wundern, dass sich ihre Bücher noch immer so gut verkaufen, wo sie doch überhaupt nichts mit der modernen Lebensrealität von Smartphone-Teenagern zu tun haben. Sie wird mir nicht glauben, aber die Omnipräsenz von Whatsapp-Gesprächen, Youtubern und Snapchat-Bildern beeinflusst die Gefühlswelt von Jugendlichen wahrscheinlich nicht so stark, wie sie denkt. Am Ende berühren uns doch immer dieselben Dinge. Es geht um's ausgegrenzt und beliebt Sein, um's zu sich selbst Stehen, um Freundschaft, Verliebtsein und Zusammenhalt. Diese Geschichten bieten, mit ihrer unglaublich lustigen, wienerischen Art, eben immer noch Identifikationspotential. Und ein bisschen lassen sie eine neue Generation vielleicht auch erahnen, wie sich Wien einmal angefühlt haben muss, als es an jeder Ecke Nussbeugel und Schaumrollen auf verklebten Marmortischen statt McCafe gab.

Christine Nöstlinger im Interview:

Durch die Flüchtlingswelle erleben wir in Wien gerade eine Rassismus-Welle. Wie geht es Ihnen damit, auch vor dem Hintergrund, dass sie als Kind noch den Nationalsozialismus miterlebt haben? Das ist für mich nichts Neues. Wenn ein gegebener Anlass ist, dann flutet es halt über. Ich bin mir gar nicht sicher, ob man es Rassismus nennen kann. Es ist eher ein soziales Problem. Es ist die Angst, teilen zu müssen, was abgeben zu müssen. Man sagt halt Rassismus, wenn es Ausländer sind. Aber denken Sie nur, als 1945 15 Millionen Ostdeutsche in den Westen kamen, die waren ja auch nicht beliebt, denen hat man ja auch die Türe zugehauen. Und wie die Wiener nach'm Krieg aufs Land hamstern gefahren sind, glauben's a Bauer hots eine lossen?

Also liegt es nicht an Versäumnissen der Politik, sondern die Menschen sind einfach immer so? Sicher hätte man allerhand flankierende Maßnahmen treffen können. Aber gar so wenig wurde nicht getan. Tatsache ist, dass in den Teilen von Wien, wo viele Leute mit Migrationshintergrund leben, der „Ausländerhass" geringer ist, als dort, wo gar keine leben. Ich hab zum Beispiel ein Haus im Waldviertel, dort ist ein Fremder was ganz was Schreckliches, obwohl dort keine sind. Die waren auch antisemitisch, obwohl's nie an Juden gesehen haben. Im Gemeindebau ist es auch schwierig, weil da viele Lebensformen auf kleinem Raum aufeinander prallen. Ich kann ja leicht reden. Ich sitz da oben in meiner Dachgeschosswohnung, und was da drunter in den Stöcken passiert, daran hab ich ja keinen Anteil.

Aber mitten in Brigittenau kriegen Sie wahrscheinlich doch mehr mit, als in anderen Bezirken. Ich krieg überall was mit, weil ich ein neugieriger Mensch bin. Aber natürlich gibt's da eine Parallelgesellschaft. Sie haben den türkischen Supermarkt, den türkischen Kleiderverkäufer, natürlich türkische Handyshops, sechse nebeneinander. Aber das ist ja nicht der Nachteil der Inländer! Das ist nur zum Nachteil dieser Leute aus der Parallelgesellschaft. Menschen mit Migrationshintergrund, die keine gscheite Ausbildung haben, die nicht genug Deutsch können, die kommen in der Gesellschaft nicht hoch. Aber der Österreicher kann ja froh sein, dass sein halbdepperter Bua noch an Job kriagt, wenn die gscheiten Türken net Deutsch kennan.

Sind Sie auch gerne draußen im Waldviertel? Was tua i denn allan im Waldviertel? Als einsichtiger Mensch fahr ich auch nimma Auto, weil als 80-jähriger Mensch soll man nimma Autofahren, find ich. Ich hab mich früher nur geärgert, wenn die alten Trotteln gefahren sind. Also ich käme gar nicht mehr hin, aber was mach ich denn allein im Waldviertel?

Weiß nicht, gärtnern, Natur genießen, solche Sachen... Nah. Dafür bin ich nicht mehr stabil genug, ich hab mir ja vor zwei Jahren alle Knochen gebrochen, weil ich glaubt hab, ich bin 20. Ich bin beim Einsteigen in's Taxi über einen Eishaufen ghupft. Aber ich glaub, wenn ich nicht schon so poröse Knochen gehabt hätt, wären sie nicht zerbrochen, ich bin wirklich nur so geplumpst. Schambein, Kreuzbein, alles Mögliche hab ich mir brochen, zwei Wirbel haben sich auch noch verdreht. Es ist nicht lustig, aber andere sind schon tot.

Haben Sie arge Schmerzen jetzt? Ich kann faktisch nicht gehen, nach 50,60 Schritten krieg ich so einen nagenden Schmerz, dass mir schwarz vor Augen wird, und ich umfall. Dagegen gibt's nur Morphium, das hab ich probiert, aber da wirst ja blöd im Kopf.

Im Video beantwortet Christine Nöstlinger 6 Fragen zu Feminismus: Lesen Sie weiter auf Seite 2 über Schnepfen, die keinen Feministinnen sein wollen, und Lügen, die die FPÖ verbreitet...
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