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torial Blog | Eine Unternehmung in eigener Sache

Über die finanziellen Hintergründe von brafus2014.


Im Moment, in dem wir diesen Text schreiben, sitzen wir in einem Stadtrandbezirk von Rio de Janeiro. Zwischen uns und der Copacabana liegt eine Hügelkette, auf dem Tisch vor uns das brasilianische Magazin „Veja", auf dessen Cover sich der Brasilianer Neymar krümmt. Wir sind zu Gast bei der Familie eines befreundeten Posaunisten aus Berlin. Das Finale der WM wird in vier Tagen angepfiffen, irgendwo auf der anderen Seite der Hügel. Dass wir es bis hierhin schaffen würden, war nicht sicher, als wir am 4. Juni ins Flugzeug stiegen. Dass wir es geschafft haben, ist genauso das Ergebnis der Gastfreundschaft der Brasilianer wie der übersichtlichen Investitionsbereitschaft deutscher Verlage.


Das Prinzip, das uns hierher geführt hat, haben wir „Crowd Travelling" genannt. Denn einerseits waren wir darauf angewiesen, von möglichst vielen Menschen vor Ort Übernachtungsmöglichkeiten angeboten zu bekommen, und andererseits mussten wir möglichst viele in Deutschland überzeugen, unsere Arbeit mit einem eigenen finanziellen Beitrag zu unterstützen. Wir konnten den Großteil des Reisebudgets erst aufbauen, als wir unterwegs waren, und mussten es deshalb gleichzeitig so weit wie möglich entlasten. Diese Situation war das Ergebnis einer Entwicklung, die im Sommer 2010 begann.

Damals reisten zwei von uns, Christian Frey und ich, durch Südafrika, um hinter die Kulissen der Fußball-Weltmeisterschaft zu blicken. Insgesamt 7000 Euro kostete uns dieses Abenteuer. Etwa 2000 Euro nahmen wir durch Honorare für journalistische Aufträge und durch Beiträge unserer Leser ein, jeweils etwa 2500 Euro schossen wir aus eigener Tasche dazu. Wir haben diese Investition nie bereut. Viele Folgeaufträge und Kontakte ergaben sich direkt oder indirekt daraus, ein Jahr später wurden wir für den Grimme Online Award nominiert. Diese Nominierung hat uns so viel Brennstoff geliefert, dass uns im Herbst 2013 klar wurde: Brasilien können wir uns nicht entgehen lassen. Also buchten wir im Oktober die Flüge.


Weil wir davon ausgingen, dass die Reise diesmal ungleich höhere Kosten verursachen würde, sprachen wir ein Magazin an, um das Blog gemeinsam mit ihm zu realisieren. Anders als in Südafrika verfügten wir zu diesem Zeitpunkt in Brasilien über so gut wie kein Netzwerk. Das Budget, mit dem wir in die Gespräche gingen, lag bei rund 30 000 Euro. Es war die Summe, die wir für den teuersten Fall veranschlagt hatten, bei dem wir sechs Wochen lang Übernachtungen, Übersetzer und Flüge hätten tragen müssen. Vier Monate nach dem ersten Gespräch bot man uns eine Summe, die weit darunter lag. Nicht aus bösem Willen, es war den Kollegen vielmehr sichtlich unangenehm. Sie versicherten uns aber, dass dies das Äußerste sei, was sie finanziell leisten könnten. Angesichts der Honorare, die im Online-Journalismus bezahlt werden, war das eine glaubwürdige Aussage.


Wenige Tage nach diesem Gespräch sagten wir die geplante Kooperation ab. Auf der einen Seite hätten wir dank einer fix zugesagten Summe zwar mit der konkreten Planung beginnen können. Andererseits hätten wir die Mehrkosten selbst tragen müssen. Dazu, einen Großverlag mit unserem eigenen Geld zu subventionieren, waren wir aber nicht bereit. Wenn wir uns schon würden verschulden müssen, dann wenigstens auf eigene Rechnung. So standen wir Anfang April wieder bei null. Beziehungsweise: minus 2000 Euro. Die Flüge waren längst bezahlt.


Mit Freischreiber, dem Verband, den ich 2008 mit vielen Kollegen mitgegründet habe, haben wir im Herbst 2010 einen Kongress organisiert mit dem Titel „Mach´s Dir selbst - der Zukunftskongress von Freischreiber". Er hatte wesentlich zum Ziel, den freien Journalisten klar zu machen, dass sie sich zu Unternehmern in eigener Sache umerziehen müssen und sich nicht länger nur als nicht-angestellte Journalisten begreifen sollten. Was das tatsächlich bedeutet, haben wir in den Wochen nach unserer Absage sehr konkret erlebt. Plötzlich waren wir gezwungen, tatsächlich unternehmerisch zu agieren. Das bedeutete: mögliche Sponsoren ansprechen. Sinnvolle Antworten finden auf die Frage, was die von einer Kooperation hätten. Rückschläge verkraften. Nicht nervös werden, wenn das Konto immer leerer wird. Und am wichtigsten: nie die innere Überzeugung verlieren.


Sechs Wochen später sah die Welt schon anders aus. Mit torial hatten wir einen Partner gefunden, der bereit war, unsere Mission mit 5000 Euro zu unterstützen. Dafür versprachen wir die Platzierung des Logos auf unserer Seite, Beiträge fürs Blog (wie diesen) und eine Tour im Herbst, bei der wir mit Leinwand und Bühne von unserer Reise berichten werden. Mit Viventura hatten wir einen Reiseanbieter überzeugen können, uns mit einem weiteren Flug zu unterstützen. Der war notwendig geworden, nachdem uns klar geworden war, dass unser Team nur mit Birte Fuchs komplett sein würde. Birte steckt in den letzten Zügen ihres Musik- und Sozialwissenschaftsstudiums, hat zwei Jahre lang in Brasilien gelebt. Sie hatte schon seit langem vor, von dort solche Geschichten zu erzählen, wie wir es nun gemeinsam tun. Zudem bewarb sich Christian für ein Fotografie-Stipendium der VG Bildkunst. Deren entscheidende Jurysitzung fand am Vorabend unseres Abflugs statt. Als wir ins Flugzeug stiegen, stand unsere Reisekasse bei etwa 9000 Euro. Denn nachdem wir unsere Seite online gestellt hatten, waren bereits die ersten Beiträge unserer Unterstützer eingegangen.


Sechs Wochen später ist dies die Zwischenbilanz: Über 120 Menschen haben uns einen Beitrag überwiesen. Ein Ehepaar überwies 1000 Euro (dafür kommen wir zu ihm nach Hause, um einen Abend lang von unserer Reise zu berichten), ein Junge zwei. Im Schnitt zahlte jeder etwas mehr als 60 Euro. Christian erhielt das VG Bildkunst-Stipendium. Wenige Tage vor Ende des Projekts stehen wir bei knapp über 20 000 Euro. Demgegenüber stehen Ausgaben von etwas mehr als 6000. Wir haben die Summe, die das Magazin uns damals geboten hatte, um ein Vielfaches überboten. Zumindest auf dieses Projekt bezogen kann man also sagen: Für ein solches Vorhaben war die Unterstützung durch einen Verlag nicht mehr notwendig. Und das ist eine Erkenntnis, die in Verlagen eigentlich die Alarmglocken schrillen lassen müsste. Denn wenn die Zukunft des Journalismus im Netz liegt und diese Zukunft nicht mehr - oder zumindest nicht mehr allein - auf Verlagen gründet, machen sie sich ein Stück weit überflüssig.


Auf der anderen Seite haben wir aber auch erkannt, dass ein Projekt wie unseres an seine natürlichen Grenzen stößt. Wir konnten unseren Etat wesentlich dadurch klein halten, dass wir beinahe überall privat übernachtet haben. In unserem Fall war das ein großer Vorteil, weil wir so auf eine ganz alltägliche Weise mit denen ins Gespräch kamen, an deren Geschichten wir interessiert waren: beim Frühstück, beim Abendessen, beim Cachaça. Ein solches Vorgehen wird naturgemäß schwierig, wenn man etwa investigativ arbeitet. Wie soll man über jemanden unangenehme Dinge ans Tageslicht bringen, wenn man in seinem Haus übernachtet? Außerdem hätte es unserer Arbeit hier und da gut getan, wenn wir sie mit dem hätten abstützen können, was ein Verlag an Infrastrukturen bietet: ein Archiv etwa, eine Redaktion, die parallel Recherchen anstellt und etwa eine zweite Stimme einholt, oder eine Dokumentation. Für so etwas blieb während unserer Reise so gut wie keine Zeit. Wir haben so sauber wie möglich gearbeitet und wissen doch, dass es an manchen Stellen sinnvoll gewesen wäre, noch einmal Zeit und Arbeit in einen Beitrag zu investieren.


Unsere unternehmerische Erkenntnis dieser Reise lautet deshalb: Was wäre im Journalismus alles möglich, wenn es gelänge, die Investitions- und Risikobereitschaft von kleinen Satelliten wie unserem mit den Infrastrukturen eines Mutterschiffs zu verbinden? Wie viel könnte man experimentieren, wie viel an neuen Darstellungsformen und Formaten entwickeln und gegebenenfalls wieder verwerfen? Es ist ja nicht so, dass dies nicht schon passierte. Projekte wie dieses zeigen, dass man hierzulande nicht mehr „Snowfall" rufen muss, wenn man auf wegweisende Projekte verweisen möchte. Projekte wie unseres oder das Beispiel der Krautreporter belegen aber andererseits, dass Verlage für innovative Projekte nicht mehr zwingend gebraucht werden. Es geht auch ohne sie. Besser aber wäre mit. Für die Verlage, für die Journalisten und damit letztlich für die Zukunft des Journalismus. Wir sind nicht die einzigen, die daran mitarbeiten wollen. Aber wir Unternehmer in eigener Sache brauchen dann auch ein Signal, dass es den Verlagen genauso ernst ist wie uns.

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