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Ein Jahr auf Bewährung

Martin Balle kennt sich aus mit Insolvenzen. Als vor einigen Jahren der niederbayerische Eishockeyclub „Straubing Tigers" pleitezugehen drohte, sprang er über Nacht als Gesellschafter ein. Mehr aus Lokalpatriotismus denn aus Sportbegeisterung: Es ging schließlich um eine Mannschaft seiner Heimatstadt. Seitdem sieht man Balle während der Saison fleißig die Heimspiele besuchen. Jeden Freitag sitzt er dann im kalten Stadion.


Jetzt hat Balle die insolvente „Abendzeitung" gekauft. Dieses Unterfangen steht dem 51-jährigen Verleger wirtschaftlich sicher näher als Eishockey. Emotionen waren angeblich auch im Spiel. Mehrfach hat Balle betont, er habe eine „tiefe Bindung" zum Münchner Boulevardblatt, dort habe er bereits als Praktikant gearbeitet.


Das ist schon einige Jahre her, viel hat sich seitdem getan. 2002 übernahm Martin Balle die Leitung des „Straubinger Tagblatts" und der „Landshuter Zeitung" von seinem Vater Hermann. Er gibt 14 Regionalausgaben heraus, sitzt im Vorstand des bayerischen Verlegerverbandes, promoviert über Max Frisch aus psychoanalytischer Sicht und hat eine Professur für Medientechnik an der FH Deggendorf inne. Jetzt gehört ihm auch die „Abendzeitung". Aus purer Neugier und Sentimentalität soll er bei Insolvenzverwalter Axel Bierbach nach den Konditionen für einen Kauf gefragt haben. Alte Liebe rostet nicht.


Balle war der einzige Interessent, der ein Angebot für den Print- und den Onlineauftritt der Abendzeitung abgab. Dadurch bekam er den Zuschlag vor der Konkurrenz. Die Ausrichtung, die Balle der „Abendzeitung" in Zukunft geben will, stößt in der Redaktion aber nicht nur auf Gegenliebe. Ein „liebevolles Boulevard-Heimatblatt" zu machen, ist eben nicht Sache jedes Journalisten - vor allem nicht Sache des ehemaligen Chefredakteurs Arno Makowski. „Der Boulevard ist eine Großstadt. Ich bin kein Mann für die Dorfstraße", soll er gesagt haben - kurz nachdem er seinen Hut genommen hatte.


Martin Balle ist ein Mann für die Dorfstraße. Was nicht verkehrt ist: Auf dem kriselnden Zeitungsmarkt verlieren Lokal- und Regionalausgaben am wenigsten Auflage. Schwieriger sind einige persönliche Einstellungen des künftigen Verlegers, die so gar nicht zur bisherigen Blattlinie passen. Balle gilt als konservativ; die „Abendzeitung" und ihre Journalisten als politisch eher links. Balle ist katholisch geprägt, pflegt eine Freundschaft mit einem Benediktinerabt. Die „Abendzeitung" war bisher kirchenkritisch.


Auch die Tatsache, dass Balle nur 25 der 100 Mitarbeiter übernehmen will, sehen viele der angestellten Journalisten verständlicherweise nicht als Rettung. Kultur-, Lokal,- und Sportredakteure sollen teilweise übernommen werden und weiter in München arbeiten. Die restlichen Ressorts werden aus der Mantelredaktion der „Straubinger Zeitung" beliefert. An diesem Punkt ist es schnell vorbei mit Balles Sentimentalität: Er gebe der „Abendzeitung" ein Jahr, sich zu rechnen, sagte er. Denn Balle kalkuliert. Er gilt als Patriarch, der über jeden Euro wacht, der sein Verlagshaus verlässt.


Zusätzlich hat sich Balle den Anwalt und Unternehmer Dietrich von Boetticher als Gesellschafter ins Boot geholt. Der 72-Jährige hat sein Vermögen vor allem als Fondsberater und Mitgründer der Hotel-Software Fidelio gemacht. Von Boetticher spricht nicht gern über Geld, stattdessen widmet er sich lieber seinen Zuchtstuten, die er auf Gestüten in Deutschland, England und Frankreich hält. Erst mit rund 50 Jahren stieg von Boetticher zum ersten Mal ins Verlagsgeschäft ein: Damals kaufte er unter anderem den defizitären Luchterhand-Verlag, um ihn erfolgreich zu sanieren. Auch beim DDR-Renommierblatt „Wochenpost" war er in den 1990er Jahren stark engagiert und hat fast die Hälfte der Anteile an der „Woche" gehalten. Trotz seiner Fachkompetenz gilt von Boetticher eher als Schöngeist; es soll ihm einfach Spaß machen, mit Journalisten und Schriftstellern zusammenzuarbeiten.


Auch beim Kauf der „Abendzeitung" kommt ihm diese Rolle zu. Das wirtschaftliche Risiko, heißt es, liege eher bei Balle. Ob und wie viel von Boetticher gezahlt hat, ist nicht bekannt. Über die wirtschaftlichen Bedingungen des Deals wurde absolutes Stillschweigen vereinbart. Von einer Million Euro Kaufpreis wird gemunkelt.

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