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Sieger sehen anders aus

Acht Holocaustüberlebende haben heute den bayerischen Landtag besucht. Sie wurden am 29. April 1945 aus dem KZ Dachau befreit. Die Fotografen hören auf zu witzeln, bringen ihre Kameras in Position, vor lauter Blitzen sieht man die Ankommenden in der Eingangshalle des Bayerischen Landtags kaum. Acht ältere Männer betreten die Halle, sieben stehend, einer im Rollstuhl sitzend. Die Überlebenden des Konzentrationslagers Dachau sind da. Eingeladen hat sie der Förderverein für Internationale Jugendbewegung und Gedenkstättenarbeit in Dachau e.V. Vorstandsmitglied Ernst Grube hat durch den Holocaust seine Familie verloren, er selbst überlebte. „Die Emotionen kommen und gehen und kommen wieder. Wenn gesprochen wurde von Grauen, dann hat dieses Grauen sehr viele Gesichter: Dachau, der Terror, die jüdischen Ghettos, die Verlassenheit, die Erwartung des Todes." Das Konzentrationslager in Dachau war kein Vernichtungslager, von den mehr als 200.000 Häftlingen starb etwa ein Viertel. Eines der Ziele in Dachau war die Verfolgung politischer Gegner. In Dachau wurden nicht nur Juden verfolgt Grube betont die Rolle der Gegner des Regimes: „Ohne die Verfolgung der Widerstandskämpfer, Kommunisten, Sozialdemokraten, Kirchenleute, hätte es die Verfolgung so nicht geben können." Aber auch Juden wurden in Dachau eingesperrt, gefoltert und getötet. Nicht in demselben Ausmaß wie in Vernichtungslagern. Dennoch gab es Tausende von traumatisierten Opfern. Acht davon bat nun Landtagspräsidentin Barbara Stamm zu erzählen „über das, was sie Schreckliches und Grausames erlebt haben". Die Überlebenden - das ist ein Grüppchen von acht alten Männern, manche ernst blickend, andere traurig. Einer trägt militärische Orden, nimmt bewusst Haltung an. Ein anderer, ein Dichter, wirkt zerbrechlich in seinem zu großen Anzug. Der traurig verzogene Mund, die vorsichtigen Bewegungen bieten einen Kontrast zur betonten Gefasstheit. Die Müdigkeit und der Schmerz sind fast schon greifbar. Man merkt ihnen an, wie nahe ihnen die Erinnerungen gehen. Die Tragik des Ganzen: Eigentlich, so Grube, seien diese Männer ja die Sieger des 2. Weltkriegs. Sie wurden von den Nazis verfolgt, sie waren Gegner des Regimes. Sie erlebten das Ende des Nationalsozialismus. Sie konnten triumphieren über ihre Peiniger. Und doch hat man nicht den Eindruck, Sieger zu sehen. Sieger kann es nicht geben Einer von ihnen fragt nach der Bedeutung des Satzes „Jedem das Seine". Kurz entwickelt sich eine Diskussion. Zu schwierig das Feld, zu eindeutig die Antwort - dass nämlich die Bedeutung unter den Nazis zu einer formelhaften Legitimierung der Euthanasie wurde. Und diesen Beigeschmack bis heute nicht recht los wird. Einer der Überlebenden bedankt sich für die Einladung. Er erwähnt die Vernichtungslager in Deutschland, er spricht von den Gräueln in der Sowjetzeit, und äußert die Hoffung, dass dies nie wieder geschehen werde. Eine Hoffnung, die wohl alle Anwesenden verbindet. Dann liest der Dichter in dem zu großen Anzug ein Gedicht vor, das er mitgebracht hat. Es ist auf russisch geschrieben, wir lauschen zunächst der brüchigen Stimme eines Mannes, der sein persönliches Trauma auf Papier gebannt hat, danach wird die Übersetzung vorgetragen. Es klagt das Schicksal an, weil es solche Gräuel ermöglicht hat, und äußert die Hoffnung, dass dieses Zeitalter der Grausamkeiten ein Ende hat. Dass ein neues Zeitalter anbricht, das glücklicher ist. Bildquelle: Bildarchiv Bayer. Landtag, Fotograf Rolf Poss

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