Morgens halb Fünf am Schweriner Hauptbahnhof: Noch ist es ruhig, die Gänge sind leer, die Shops noch geschlossen. Nur die Bahnhofsanzeige am Eingangsbereich läuft schon auf Hochtouren. „Zug fällt aus", heißt es auf dem weißen Band, das unaufhörlich durch das Display läuft. Mittlerweile ist es kurz vor 5 Uhr. Vereinzelt sieht man erste Reisende die Treppen zum Gleis hochlaufen. Erleichtert blicken einige von ihnen auf die blaue Anzeige, als sie sehen, dass ihr Zug wirklich einfahren wird - es ist der einzige Zug des gesamten Vormittags, der die Pendler nach Hamburg bringen kann. Auf den Nachbargleisen schallt die Durchsage von Zugausfällen. Wie lief Tag eins des langen Bahnstreiks ab?
Sophie Stange und Tara Gottmann haben sich bei Reisenden, Autopendlern, Bus- und Taxifahrern sowie beim Bahnpersonal und Verkäufern umgehört.
Die Bahnreisenden
Die Pendler sehen den Bahnstreik mit gemischten Gefühlen
Am Schweriner Hauptbahnhof ist die Stimmung am gestrigen ersten Streiktag sehr gemischt - von vollstem Verständnis für die Lokführer und das Bahnpersonal bis hin zur Wut über die Zugausfälle: „Ich bin gar nicht erst schlafen gegangen", sagt Reinhard Moll, der den ersten Zug kurz vor 5 Uhr nimmt. Er sei auf dem Weg nach Koblenz zu einem beruflichen Termin. Mit dem Auto wollte er nicht fahren, da sei die Bahnfahrt doch die bequemerer Alternative, meint er und fügt hinzu: „Streiken ist ein Grundrecht." So wie Reinhard Moll pendeln täglich 72500 Männer und Frauen in MV zur Arbeit. Als Bundesland mit den höchsten Pendlerzahlen betrifft der Bahnstreik diese Gruppe besonders stark. „Ich habe durchaus Verständnis für die Lokführer, aber muss es denn wirklich die gesamte Woche so gehen?", fragt sich Christian Cyperski, juristischer Referendar aus Schwerin. Er sei gerade auf dem Weg nach Rostock und musste dafür ungefähr drei Stunden früher aufstehen, als an einem gewöhnlichen Tag ohne Streik.
Doch nicht alle Pendler sind gut auf die Bahn und die Zugausfälle zu sprechen: Die Mehrheit der befragten Reisenden war empört darüber, dass sich ihre Arbeitszeit verschiebt, hatten Angst zu spät zu einem Termin oder am Abend gar nicht mehr nach Hause zu kommen. So sprach Pendlerin Marion Stapf aus Schwerin von einer enormen Belastung für die Reisenden. „Mir fehlt mittlerweile echt das Verständnis dafür", sagt sie. Eine Stunde musste sie früher aufstehen. „Eine Erstattung des Fahrpreises wiegt den Zeitaufwand zudem überhaupt nicht auf." Auch Angelika Hartwig ist empört über die Situation: „Das ist ein Machtstreik der Obersten, der auf unseren Rücken ausgetragen wird."
Die Verkäufer
Fehlende Kundschaft und Umsatzeinbuße in Bahnhofsshops
Wo sonst lange Schlangen von Reissenden am Bahnhofskiosk, der Bäckerei oder dem Zeitschriftengeschäft zu sehen sind, war gestern nur gähnende Leere zu spüren. Die Verkäufer in den Bahnhofsshops haben mit den Auswirkungen des Streiks zu kämpfen.
„Uns fehlen die Kunden auf den ganzen Tag verteilt gesehen", sagt Bäckereifachangestellte Kristin Klinke von der Stadtbäckerei Junge. Mit einem Verlust von einem Drittel der Laufkundschaft rechnen sie und ihre Kollegen und dementsprechend auch mit großen finanziellen Einbußen. „Natürlich finden wir die Situation so nicht positiv, aber ändern können wir es eben auch nicht", sagt sie.
Auch Subway-Managerin Karola Genkel bemerkt, dass ihr die Kunden weg bleiben.
„Ich würde mal schätzen, dass wir insgesamt 50 Prozent weniger Kunden in dieser Streikwoche haben werden als sonst, das merken wir ja auch heute schon", sagt sie. Zudem seien viele Bahnreisende schlecht gelaunt und machten sich gerne auch mal Luft über den Streik, wenn sie sich Proviant für ihre Weiterfahrt kauften.
Auch im Bahnhofskiosk ist morgens um 10 Uhr kaum etwas los: Rüdiger Lorchheim ist Angestellter bei Spar Express und beschreibt die Situation vor Ort mit „sehr ruhig". Die Kunden bleiben aus und damit gehen auch bei ihm die Umsätze zurück.
Das Bahnpersonal
15 Prozent der Züge im Nahverkehr fahren, Zugführer hat kein Verständnis für streikende Kollegen
Eine Durchsage ertönt am Schweriner Bahnhof immer wieder: „Dieser Zug fällt aus." Nur einen kurzen Moment später kommt die gleiche Durchsage noch mal; diesmal aber für ein anderes Gleis. 85 Prozent aller Züge im Nahverkehr fallen in MV noch bis Sonntag aus, Zweidrittel auch im Fernverkehr. Ein Ersatzfahrplan wurde zudem deutschlandweit erarbeitet. „Einige Lokführer haben sich noch zum Dienst gemeldet, so dass mehr Züge eingesetzt werden können, als vorgesehen", sagte ein Bahnsprecher gestern.
Am gestrigen Morgen fuhren vereinzelt auch Züge vom Schweriner Hauptbahnhof. „Ich habe langsam kein Verständnis mehr für meine streikenden Kollegen", sagt einer der fahrenden Lokführer gegenüber unserer Redaktion. Für ihn dauert der Streik einfach zu lange, nicht nur, dass er zeitlich auf sechs Tage im Personenverkehr terminiert ist, auch die steigende Anzahl der Streiks seit dem letzten Jahr findet er nicht mehr nachvollziehbar.
Eine kleine Schlange bildet sich derweil am Info-Schalter der Bahn im Schweriner Hauptbahnhof. Einige Reisende fragen nach Ersatzverbindungen, wollen ihre Fahrkarte umtauschen oder ihr Geld zurück. „Die Pendler haben sich im Großen und Ganzen aber gut auf den Streik eingestellt", sagt Sebastian Lange, Leiter des Bahnhofsmanagements Schwerin.
So sei es am ersten Streiktag relativ ruhig gewesen. „Einen Tag vor Streikbeginn war da mehr los", sagt er. Vor allem am Wochenende rechne er mit einem großen Ansturm am Info-Schalter.
Die Bus- und TaxifahrerVier Busse fuhren auf der Strecke Schwerin-Hamburg
Knapp 20 Menschen warten gestern gegen 7 Uhr vor dem Eingang des Schweriner Hauptbahnhofes und blicken erwartungsvoll zu den Bushaltestellen hinüber.
Mario Hildebrandt aus Gadebusch ist einer der Busfahrer, der die Pendler am ersten Streiktag nach Hamburg fährt. Ein Blick in den Bus verrät, dass viele Pendler diese Möglichkeit nutzen - denn fast jeder Platz ist besetzt. „Ich verstehe es grundsätzlich, dass das Zugpersonal streikt", sagt er und weist mit einen Lächeln auf den positiven Effekt für das Busunternehmen hin, das dadurch mehr Arbeit hat. „Wir haben vier Busse von Schwerin nach Hamburg am heutigen Tag eingesetzt", sagt Sebastian Lange, Leiter des Bahnhofsmanagements Schwerin. „Diese werden gut von den Pendlern angenommen." Insgesamt verkehrten gestern in der Region 32 Busse als Ersatz auch zwischen Lübeck und Bad Kleinen und zwischen Güstrow und Neubrandenburg.
Doch auch die Taxifahrer hoffen vom Bahnstreik ein wenig zu profitieren: „Ich habe extra früher angefangen zu arbeiten", sagt Taxifahrer Burkhard Zimmer und wünscht sich mehr Kundschaft. Jedoch zeigte die Erfahrung aus den letzten Streiks, dass viele Reisende das Taxi eher für kurze Strecken nutzen. „Eine Fahrt bis Hamburg koste beispielsweise um die 180 Euro. Nur vereinzelt ist auch mal jemand dabei, der dieses Angebot dann in Anspruch nimmt", erinnert sich Zimmer.
Das Ausweichen auf Pkw sorgte für volle Straßen
Da weniger Bahnen fahren, sind viele Pendler auf Autofahrten angewiesen. Das macht sich bemerkbar: „Die Straßen waren heute Morgen voll", sagt der Bezirksvorsitzende der GDL Nord, Hartmut Petersen. „Voller als sonst üblich" sei es auf den Autobahnen rund um Hamburg gewesen, heißt es aus der Hamburger Verkehrsleitzentrale.
Vom Bahnstreik ist auf dem Pendlerparkplatz in Bandenitz nichts zu merken. Hier ist ein beliebter Treffpunkt, um in Fahrgemeinschaften nach Hamburg zu fahren. Um 5.40 Uhr ist nicht einmal die Hälfte der Parkflächen belegt. „Das ist normal und die abgestellten Fahrzeuge nicht mehr als sonst auch", weiß Fred Stramm aus Hagenow. „Ich bin vom Streik jedoch nicht betroffen, da ich sowieso mit dem Auto fahre", fügt er hinzu. Er trifft sich mit seinen Kollegen Mario Richter und Martin Matuchek. Zusammen geht es die etwa anderthalb Stunden nach Hamburg-Norderstedt. Mario Richter sagt: „Für die Leute ist es natürlich ärgerlich, aber ich kann die Streikenden auch verstehen."
Für Eckhardt Seifert sind die langen Verhandlungen unverständlich. Auch der Pampower pendelt jeden Morgen mit dem Pkw nach Hamburg: „Seit wann geht das jetzt schon so? Immer wieder wird gestreikt und nichts passiert. Das geht so nicht weiter. Dass die da nicht zu Potte kommen, verstehe ich nicht."
Zu den Stoßzeiten, morgens und nachmittags, gibt es mehr Staus. „Wer keine Alternative zum Auto hat, steht fast zwangsläufig im Stau", sagt eine ADAC-Sprecherin. Eine genaue Zahl und Länge anzugeben, sei nicht möglich: „Das ändert sich minütlich."
Von Sophia Stange und Tara Gottmann svz.de | 05.05.2015, 21:00 Uhr