Seit Februar können Angestellte erfahren, was ihre Kollegen verdienen. Einzig: Kaum jemand scheint sich für das Gehalt der Kollegen zu interessieren - und auf eine Frage reagieren die Konzerne mit Schweigen.
Null Anfragen verzeichnet Aldi Süd. Keiner der 43.400 Mitarbeiter möchte wissen, ob die Kollegen am Nebentisch - oder an der Nebenkasse - nicht vielleicht mehr verdienen. Überrascht zeigt sich das Unternehmen nicht: „Da die Unternehmensgruppe Aldi Süd seit jeher einheitliche Gehälter zahlt und dieser Umstand den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Regel bekannt ist, haben wir von unseren Mitarbeiterinnen bisher keine Anfragen erhalten." Die Gehaltsstrukturen würden „jährlich untersucht und gegebenenfalls angepasst".
Seit Anfang Februar können Arbeitnehmer Auskunft darüber verlangen, was Kollegen in vergleichbaren Positionen verdienen. Die umstrittene Regelung soll die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen schließen. Einzig: Kaum jemand scheint sich für das Gehalt der Kollegen zu interessieren - zumindest nicht bei den Großkonzernen.
Nicht nur Aldi Süd, sondern viele große Unternehmen in Deutschland messen dem neuen Entgelttransparenzgesetz denn auch wenig Bedeutung bei. Zum Teil fühlen sie sich gar nicht angesprochen. Sie bezahlten ja bereits faire Löhne. Unternehmen mit Tarifverträgen verweisen auf transparente Gehaltstabellen. Solche auf Gehaltsanalysen oder ihre faire Arbeitskultur, in der Diskriminierung kein Thema sei.
Frauen verdienen mehr als MännerDHL etwa erklärt: „Uns liegt die Gleichstellung von Männern und Frauen sehr am Herzen, und es ist für uns selbstverständlich, dass wir die Arbeit unserer Kolleginnen und Kollegen auf Basis geschlechtsneutraler Kriterien wie Qualifikation und Expertise gleich bezahlen."
Die Deutsche Bahn hat 2016 bereits untersucht, ob es eine Gender Pay Gap gibt. Die Analysen beschränkten sich auf Führungskräfte, die nicht nach Tarifverträgen entlohnt werden. „Die Unterschiede im Chefsessel sind geringfügig und fallen teilweise auch zugunsten der Frauen aus.So liegt das Grundgehalt von Frauen auf der dritten der fünf Führungsebenen um zwei Prozent über dem ihrer männlichen Kollegen",heißt es.
Innerhalb der Bosch-Gruppe in Deutschland gebe es ebenfalls „keine Unterschiede beim Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit zwischen Männern und Frauen". Das habe eine aktuelle Auswertung ergeben.
Wieviele Anfragen? Schweigen!Ähnlich sieht es bei der Rewe Group aus. Sie hat stichprobenartige Untersuchungen der Lohngleichheit durchgeführt. Diese hätten „keinen Anlass gegeben, eine Geschlechterdiskriminierung innerhalb der Rewe Group zu vermuten". Daimler hingegen verweist darauf, dass im Unternehmen bereits viel Transparenz durch die tariflichen und betrieblichen Entgelttabellen herrsche. Auch die Supermarktkette Lidl ist an Tarifverträge gebunden. Doch im außertariflichen Bereich würden Mitarbeiter ebenso „nach Stufenmodellen entsprechend ihrer Position - unabhängig vom Geschlecht - vergütet".
Was angesichts dieser positiven Bilanz überrascht: Manches Unternehmen möchte die Anzahl der eingegangenen Anträge nicht beziffern - Lidl, Bosch und Siemens zum Beispiel. Die Deutsche Bahn verfolgt die Anzahl der Anträge ebenfalls nicht nach. Denn die Anfragen in den Einzelgesellschaften würde nicht die Zentrale, sondern die jeweilige Personalabteilung bearbeiten.
Diese Erklärung aus der Konzernzentrale offenbart allerdings eine große Lücke in dem Gesetz: Von insgesamt 323 Betrieben sind nur 241 groß genug, um überhaupt auskunftspflichtig zu sein. Es ist tatsächlich problematisch, dass viele Arbeitnehmer, die für einen Großkonzern arbeiten, kein Auskunftsrecht haben. Im Fall der Deutschen Bahn etwa sind das 6500 - bei 195.000 Arbeitnehmern im Inland allerdings nur ein kleiner Teil.
Wo klafft die Lücke?Auch bei Rewe überschreitet nur ein Teil der Einzelgesellschaften die Grenze von 200 Mitarbeitern. Die entsprechenden Anfragen werden jedoch gesammelt in der Zentrale bearbeitet. Bisher seien Anträge von zwei Mitarbeiterinnen eingegangen. So niedrig wie bei Aldi Süd - nämlich bei null - liegt die Anzahl der Auskunftsgesuche bisher allerdings nur noch bei Daimler.
Bei DHL und der Telekom scheint das Gesetz hingegen Anklang zu finden - zumindest ein wenig. Die DHL beziffert die Anfragen auf einen „niedrigen zweistelligen Bereich". Bei der Telekom sei ein gutes Dutzend Anfragen eingegangen - davon etwa die Hälfte von Mitarbeiterinnen. Die Telekom beschäftigte hierzulande zuletzt rund 102.000 Menschen, DHL mehr als 203.000.
Ob der Ansturm der Mitarbeiter auf die Arbeitgeber erst nach einer gewissen Anlaufzeit kommt oder ob gerade die großen Unternehmen in Deutschland keinen Bedarf am Entgelttransparenzgesetz haben, bleibt abzuwarten. Irgendwo muss sie allerdings sein, die Gender Pay Gap von sechs Prozent, die nach Angaben des Familienministeriums besteht - auch wenn Teilzeitarbeit und die unterschiedliche Berufswahl bei Männern und Frauen in der Statistik berücksichtigt werden.
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