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Choreografin Reut Shemesh: „Auch Adidas ist eine Uniform"

© Fabrik Potsdam Promo/Reut Shemesh

Die israelische Choreografin untersucht, was Uniformen aus Religion, Sport und Schule mit Jugendlichen machen. Ihr Stück „Esther" wird am 4. Mai in Potsdam uraufgeführt.

Als Reut Shemesh zu Beginn ihres Militärdienstes in Israel mit 18 das erste Mal ihre Uniform anzieht, weiß sie: Der Geruch wird noch eine ganze Weile an ihrer Haut haften. Um genau zu sein: ein Jahr und neun Monate. Die Polyester-Uniform wird im Sommer unangenehm warm, sie macht die Frauen darin gleich und sexualisiert sie durch den männlichen Blick. Shemesh sagt: „Ich habe es gehasst. Dass ich nicht entscheiden konnte, was ich tragen möchte."


Das Thema Jugend und Uniform beschäftigt die Choreografin und Tänzerin seit sieben Jahren in ihren Tanzstücken: Frauen und Militäruniformen beispielsweise oder Funkenmariechen in Düsseldorf. Jetzt: Ihr Jugendstück „Esther“, das am 4. Mai in der Potsdamer Fabrik uraufgeführt wird.


„Esther“


Das Jugendstück der israelisch-deutschen Choreografin Reut Shemesh wird am 4. Mai um 19 Uhr in der Fabrik Potsdam uraufgeführt. Empfohlen ist es ab 13 Jahren. „Esther“ ist im Rahmen der Kooperation explore dance – Netzwerk Tanz für junges Publikum entstanden und reist nach der Premiere bis zum 13. Juli nach Hamburg, München und Dresden. www.fabrikpotsdam.de


„Choreografin“ greift bei Shemesh eigentlich zu kurz: Geboren und aufgewachsen in einer halb orthodoxen Familie in Israel studiert sie nach dem Militärdienst Tanz und Kunst in den Niederlanden und Deutschland. Mittlerweile arbeitet sie, vielfach ausgezeichnet, zwischen zeitgenössischem Tanz, Poesie und Experimentalfilm. Sie selbst bevorzugt „Künstlerin“, das befreit: Oft verdrahtet sie alles miteinander.


Reut Shemesh will begreifen, egal ob es um maskuline Stereotypen, Mütter oder orthodoxe Frauen geht. Das jeweilige Thema beginne bei ihr, sagt sie. Auch Themen, die ihr eigentlich fremd seien, finde sie in sich. Tanz ist für sie ein intimer Moment, den sie mit anderen teilt, insbesondere bei Aufführungen, ein „schöner und hilfreicher Ort, um sich zu stärken.“ Sie interessiert sich für Bewegungen, die nicht unbedingt aus dem zeitgenössischen Tanz kommen – und dafür, sie in eine zeitgenössische Sprache zu übersetzen.


„Esther“ beginnt mit Fotos von jungen Menschen in verschiedenen Uniformen aus Religion, Sport, Schule. Ausgehend von ihnen erforscht Shemesh in der Bewegung, wie Uniformen Jugendliche instrumentalisieren. „Erstmal sind Uniformen ja nicht mehr als ein Stück Stoff“, sagt sie. Meist kommen sie aber von Erwachsenen. Wie, fragt sie sich, verändert sich der Blick auf Kinder und Jugendliche in Uniformen? Dabei denkt sie auch an ihr früheres Turnerinnen-Trikot: „Warum muss ein Mädchen mit 11 so einen knappen Body tragen?“


Gemeinschaftsgefühl versus Gleichmachung


Für das Stück hat sie Jugendliche verschiedener Gruppierungen getroffen: einen Knabenchor in Dresden, Pfadfinder in München, Hockey-Spielerinnen in Hamburg, Jugendliche in Potsdam. Was passiert mit jungen Menschen, die sich einer Gruppe verschreiben? „Meiner Erfahrung als Teenager in einer Tanzgruppe nach Ruhe, Zugehörigkeit. Das Gefühl, richtig zu sein“, sagt Reut Shemesh.


Dasselbe erfährt sie auch von den Jugendlichen; ihre Uniformen tragen sie mit Stolz. Manche im Stück verwendeten Uniformen sind nicht mehr in Gebrauch, wie eine Pionieruniform, die zu der Jugend einer Tänzerin gehört. Pioniere bringen eigene Bewegungen mit, die in das Stück eingeflossen sind. Pfadfinder eher eine bestimmte Ästhetik.


„Uniformen sagen nichts und viel gleichzeitig.“ Entscheidend sei, ob man sich selbst dafür entscheide. „Meiner Tochter würde ich auch nicht verbieten, knappe Turnerinnen-Trikots zu tragen, wenn sie sich dadurch empowered fühlt.“ Nur bewusst machen müsse man ihr die Gemengelage. Etwa, dass die Kleidung vermutlich von Männern entworfen wurde, die entscheiden, was Frauen in Turnhallen tragen sollen.


Aber ist die Gesellschaft, zumindest in Deutschland, nicht mittlerweile viel zu individualisiert, um uniform zu sein? Das hält Shemesh für eine Lüge – schließlich dienten Individuen der kapitalistischen Gesellschaft und bezögen sich immer auf irgendetwas. „Heute gibt es keine Pioniere mehr, aber die Struktur ist noch da“, sagt sie. Im übertragenen Sinn stelle Adidas die neuen Pionieruniformen her: „Die Uniform ist eine Sprache. Entkommen kannst du ihr nicht, aber mit ihr spielen.“

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