Leipzig. Erst in der späten Samstagnacht sind die ersten Flüchtlinge in der Leipziger Ernst-Grube-Halle eingetroffen. Kurz nach zwei Uhr fuhr ein Bus vor. Ursprünglich sollten dieser bereits um 19 Uhr am Sportforum eintreffen. Was zur Verzögerung führte, war am Abend noch nicht klar. Unter anderem soll ein Stau die Busse mit den Hilfesuchenden aufgehalten haben. Auch ob weitere Busse in der Nacht erwartet wurden, stand noch nicht fest. "Es gibt keinerlei Informationen", sagte Sonja Brogiato vom Flüchtlingsrat Leipzig gegenüber LVZ.de. Nach ihrer Ankunft werden die Menschen zunächst registriert. "Anschließend verteilen wir Dinge des unmittelbaren Bedarfs", so Brogiato. Auch ein Abendessen für die ersten knapp etwa 50 Flüchtlinge wurde vorbereitet. Dennoch werde es bis tief in die Nacht dauern, bis alle Menschen untergebracht sind.
Die Johanniter hätten auch einen Arzt vor Ort, um gegebenenfalls schnell Hilfe leisten zu können. Zudem hat der Flüchtlingsrat einen eigenen Dolmetscher in die Grube-Halle gebracht. Dieser beherrsche sechs Sprachen. "Wir wollen alles so schnell und effizient wie möglich gestalten, damit die Menschen rasch ankommen können", erklärte Brogiato.
Sie bedauerte die Unterbringung in der Halle. Das seien schlimme Zustände. Die Helfer, insbesondere die ehrenamtlichen Johanniter, leisten großartige Arbeit, so Brogiato. So wurden noch am Freitag Rückzugsmöglichkeiten in der Halle geschaffen. "Wir haben drei Zelte aufgebaut. Mehr lassen die Umstände hier leider nicht zu."
Behörden-Chaos und andauernde Ungewissheit
In die Ernst-Grube-Halle in Leipzig sollten am Freitag die ersten 150 Flüchtlinge einziehen. Das teilte Michael Feist, Vizepräsident der Landesdirektion Sachsen, am Freitagnachmittag auf dem Uni-Areal an der Jahnallee mit. Die Asylbewerber seien aus Chemnitz auf dem Weg, aus welchen Ländern sie kommen war jedoch völlig unklar. Und auch sonst blieben bei dem Medientermin von Landesdirektion und Universität viele Fragen offen. Bei der Organisation herrschten chaotische Zustände.
Am Abend wurde zumindest in einem Punkt Klarheit geschaffen: Die provisorische Asyl-Einrichtung, in der bis zu 500 Flüchtlinge unterkommen sollen, wird vorerst von der Johanniter-Unfall-Hilfe betrieben. Zuständig sei der Regionalverband Leipzig, teilte die Landesdirektion - kurz bevor die Flüchtlinge in Leipzig eintreffen sollten - mit. Dabei handelt es sich aber zunächst nur um eine Übergangsregelung für etwa eine Woche. Nach den ersten 150 Flüchtlingen am Freitag, deren Ankunft sich bis in die Nacht verzögerte, sollen bereits am Sonnabend weitere 150 an der Jahnallee ankommen.
Johanniter-Sprecher Julian Rossig sagte am Abend, dass 40 Helfer eingesetzt würden - 30 von den Johannitern und zehn von anderen Hilfsorganisationen. „Jetzt geht es erst einmal darum, den Flüchtlingen zu helfen." In den kommenden Tagen müsse beraten werden, wer den Betrieb der Notunterkunft langfristig übernimmt. Die Johanniter stünden grundsätzlich dafür bereit, so Rossig. Für die Entscheidung ist die Landesdirektion zuständig.
Die Behörde hatte zuvor die Stadt Leipzig um Unterstützung gebeten. Die Branddirektion sei um Amtshilfe gebeten worden, um den Betrieb in der Grube-Halle übergangsweise abzusichern, hieß es aus dem Rathaus. Daraufhin wandte sich die Verwaltung an die Johanniter, die intern Katastrophenvorarlarm auslösten.
Der Orden entsandte ein kleines Team, um die Situation vor Ort zu bewerten. Diese sogenannte Schnelle Einsatzgruppe berichtet dann an die Stadt, beispielsweise welche Ressourcen noch gebraucht werden, erklärte Johanniter-Sprecher Rossig. Zu diesem Zeitpunkt war noch unklar, wer den Betrieb der Notunterkunft übernimmt.
Bettenbelegung wie im Katastrophenfall
Von den Betten, die das Deutsche Rote Kreuz (DRK) zur Verfügung stellt, war in der eilig mit Auslegware präparierten und umzäunten Halle bis bis zum frühen Nachmittag noch nichts zu sehen. Erst gegen 15 Uhr trafen die ersten Klappliegen mit zweistündiger Verspätung ein.
Insgesamt 480 Betten bauten die Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks (THW) auf. Sie stehen eng an eng in einem Abstand von 50 Zentimetern. Dabei werde sich nach dem Belegungsplan für den Katastrophenfall gerichtet, erklärte Robert Riedel vom THW gegenüber LVZ.de. In Achter-und Zwölferrreihen sind die Liegen aufgestellt, dazwischen ist ein zwei Meter breiter Gang. Trennwände sind ebenso wenig vorgesehen wie Schränke für Gepäck oder Kleidung. Nach ihrer Ankunft erhalten die Flüchtlinge einen Schlafsack und einen Hygienebeutel.
In der Halle stehen für Männer und Frauen jeweils fünf Duschen und vier Toiletten zur Verfügung. Container mit weiteren Sanitäreinrichtungen sollen erst nächste Woche angeliefert werden, wenn weitere Asylbewerber eintreffen. "Verglichen mit der Schulsporthalle in Schneeberg, die wir ebenfalls eingerichtet haben, sind das hier hervorragende sanitäre Zustände", sagte Riedel.
Polizei ermittelt nach Hetze bei Facebook
Immerhin ist die Essensversorgung inzwischen geklärt: Diese soll nach Angaben von Feist durch das Studentenwerk erfolgen, welches die Uni-Mensa auf dem Sportcampus betreibt. Das Essen wird dann im Vorraum der Grube-Halle ausgegeben. Dort ist auch der einzige Zugang für die Flüchtlinge - sie können das Gebäude in Richtung des Elsterflutbeckens verlassen. Das Areal ist mit Bauzäunen vom restlichen Campus abgegrenzt. Zudem wurden Trennwände zum Treppenhaus und zu anderen Teilen des Komplexes errichtet.
Für die Sicherheit in der Halle sollen sieben Wachdienst-Mitarbeiter sorgen, welche rund um die Uhr vor Ort seien. Zusätzlich gibt es Sicherheitskräfte, die vor dem Gebäude stationiert werden. Polizeipräsident Bernd Merbitz kündigte an, dass auch die Streifenpräsenz verstärkt wird. Er sprach von einem „gefährdeten Gebäude". Zugleich betonte er, dass Hetze nicht geduldet werde und verwies auf entsprechende Facebook-Kommentare. Wegen ausländerfeindlicher Posts hätten die Beamten bereits Ermittlungen aufgenommen. „Es werden derzeit Gefährderansprachen geführt", berichtete Merbitz.
Uni-Rektorin Beate Schücking, die wie die Stadt und die Polizei von der Entscheidung Mitte der Woche ebenfalls überrumpelt worden war, sagte: „Wir helfen gerne und finden es wichtig, dass sich die Menschen aufgenommen fühlen." Die Rektorin appellierte aber noch einmal an die Landesdirektion, dass es sich nur um ein Interim handeln dürfe. Auf eine Aussage, wann die Halle wieder zur Verfügung steht, wollte sich vor Ort allerdings niemand einlassen. Ab Oktober wird das Gebäude dringend für den Uni-Sport benötigt. Für Vereine wie den Bundesligisten Judoclub Leipzig und die Zweitliga-Volleyballer der L.E. Volleys wird bereits im Leipziger Umland nach Alternativen gesucht, wie Stadtsprecher Matthias Hasberg LVZ.de sagte. „Diese sind teurer und nicht leicht zu finden, da Tribünenkapazitäten benötigt werden. Im höheren Ligabetrieb sind zudem Auflagen zu beachten", so Hasberg.
OBM Jung kritisiert Pläne als „kopflos"
Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) hatte sich am Freitagmorgen gegen die Uni-Halle als temporäre Flüchtlings-Unterkunft ausgesprochen. „Nein, es ist nicht in Ordnung, die Ernst-Grube-Halle für die Erstaufnahme von Flüchtlingen zu nutzen", erklärte er aus seinem Urlaub heraus auf seinem Facebook-Account. Statt der Unterbringung auf dem Sportcampus hätte es durchaus bessere Lösungen in der Messestadt gegeben. „Das Innenministerium hätte die Stadt nur einbeziehen und fragen müssen. Insbesondere der Staatssekretär handelt kopflos", sagte Jung und fügte an: „So schürt man Unverständnis auch bei Gutwilligen!"
Die Aussagen wollte beim Medientermin offiziell zwar keiner kommentieren. Hinter vorgehaltener Hand wurde die Kritik jedoch relativiert. Aufgrund des Zeitdrucks habe es keine Alternative gegeben, bekräftigte noch einmal Petra Förster vom Sächsischen Immobilien- und Baumanagement (SIB). „Wir bekommen jeden Tag neue Angebote für Flüchtlingsunterkünfte", so Förster. Das SIB sei damit beschäftigt, diese zu prüfen. Welche das sind, sagte Förster nicht. Auch Jungs Sprecher Hasberg wollte auf Nachfrage von LVZ.de keine Ersatzlösungen nennen. Stadtverwaltung und Leipziger Politik waren erst am Dienstagabend aus Dresden per E-Mail über die Pläne in der Grube-Halle in Kenntnis gesetzt worden.
„Die Ernst-Grube-Halle soll und muss eine Not-Interims-Lösung sein", betont die Leipziger Landtagsabgeordnete Christine Clauß (CDU). Die ausufernde Kritik am Freistaat findet sie aber unangemessen: „Die alleinige Schuldzuweisung und das Gemotze Richtung Innenministerium wird der riesigen Herausforderung nicht gerecht." Es sei auch unredlich, wenn sich der Oberbürgermeister mal eben aus dem Urlaub zum Thema melde. Burkhard Jung sitze im Asyllenkungsausschuss des Landes und könne jetzt nicht sagen, nicht einbezogen gewesen zu sein. Dass auch in Leipzig und Dresden Erstaufnahmeeinrichtungen entstehen, sei schon lange klar. Mit Blick auf Vorschläge und Kommunikation seien beide Seiten in der Pflicht. Clauß schlägt einen regionalen, dezentralen Lenkungsausschuss vor und will sich bei ihren Leipziger Landtagskollegen dafür stark machen. „Man kann jetzt nicht tatenlos zusehen."
Hilfsangebote noch unkoordiniert
Trotz der Unzufriedenheit über die unkoordinierte Übernahme der Ernst-Grube-Halle, signalisieren viele Bürger und Studenten Bereitschaft, den Flüchtlingen zu helfen. Wann und wo Spenden wie Kleidung oder Spielsachen abgegeben werden können, stehe laut Landesdirektions-Vize Feist derzeit noch nicht fest. „Das entscheidet sich, wenn wir einen Betreiber haben." An alle Helfer appellierte er, Spenden keinesfalls in der Halle abzugeben.
Britta Taddiken, Pfarrerin der Thomaskirche, zeigte sich erstaunt, dass Hilfsangebote nicht besser organisiert werden. „Wir als Gemeinde wollen uns nützlich machen und ein Zeichen setzen", erklärte Taddiken gegenüber LVZ.de. Ohne jegliche Informationen sei das sehr schwierig. „Aktionismus ohne zu wissen, was benötigt wird, hilft schließlich keinem." Der Flüchtlingsrat wird auf seiner Webseite in den nächsten Tagen mitteilen, woran es den Menschen in der Leipziger Notunterkunft mangelt und welche Spenden sinnvoll sind.
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