Der Generator brummt, das Treppchen zur Bühne auf dem Pritschenwagen steht, das Mikro funktioniert. Hinter dem Redner prangt auf einem Transparent in großen Lettern: "Stoppt die Schließung!" Vor ihm in Hüfthöhe auf einem zweiten: "Wir sind die Gewerkschaft". Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) rief für den Donnerstag vormittag zur Kundgebung in den Norden Leipzigs, vor das Werkstor des Getränkelieferdienstes Flaschenpost, unweit des Messegeländes. Die Temperaturen sind eher ungemütlich, knapp über null Grad, die Wiese vor der Rednerbühne ist morastig - dennoch sind rund 200 Beschäftigte und Unterstützer gekommen, um zu protestieren.
Aus gutem Grund. Es geht um rund 500 Arbeitsplätze. Nicht bei Flaschenpost, sondern beim mobilen Lieferdienst Durstexpress. Die Oetker-Gruppe, zu der Durstexpress gehört, hatte Ende 2020 den Aufkauf des früheren Startups Flaschenpost bekanntgegeben - und dabei tief in die Portokasse gegriffen. Brancheninformationen zufolge soll der Familienrat des Puddingkonglomerats rund eine Milliarde Euro für den Exkonkurrenten auf den Tisch gelegt haben. Die Folge: Der Coronakrisengewinner Oetker fusioniert beide Lieferdienste unter der Marke Flaschenpost. Auf der Strecke bleiben soll der Durstexpress-Standort in der Messestadt, bis Ende Februar will der Konzern ihn dichtmachen (siehe jW vom 25. Januar).
"Unsere Kundgebung ist keine gegen die Kollegen von Flaschenpost", betont der NGG-Geschäftsführer der Region Leipzig-Halle-Dessau, Jörg Most, gleich zu Beginn der Versammlung. "Wir arbeiten ja schließlich bald zusammen." Deshalb die Ortswahl des NGG-Protestes - zumal: "Die Gesamtlogistik wird künftig auf den Business- und Operationsprozessen von Flaschenpost basieren", wie das Unternehmen bereits am vergangenen Mittwoch auf jW-Anfrage mitgeteilt hatte. Für Beschäftigte eine düstere Perspektive: "Wenn wir übernommen werden sollten, hätten wir Lohneinbußen, schlechtere Jobbedingungen", sagt Friedemann Fröhlich von der Betriebsgruppe der Basisgewerkschaft FAU gegenüber jW. Aber selbst das ist ungewiss. Denn Leipziger Ex-Durstexpress-Kollegen müssten sich zunächst neu bei Flaschenpost bewerben, schildert Fröhlich. Nach ihrer Kündigung durch Oetker, versteht sich.
Solcherlei Pläne machen viele Beschäftigte wütend, Celina Heimbuch etwa. "Ich habe 2018 die ersten Regale bei Durstexpress in dieser Stadt mit aufgebaut", erzählt sie im jW-Gespräch. Vor zwei Tagen habe sie die Kündigung erhalten, per Einschreiben, ohne Danksagung. "Statt dessen mit dem Hinweis, mich bei der Arbeitsagentur zu melden." Nein, für Gewerkschaftsarbeit habe sie sich sonst nie interessiert. "Das hat sich jetzt geändert", sagt sie und wirkt entschlossen.
Nur: Was folgt? "Ein erstes Gespräch mit Oetker fand vor unserer Kundgebung statt", erklärt NGGler Most. Das Kernziel bleibe, so oder so: "Keine Werksschließung, ein regulärer Betriebsübergang für alle." Und natürlich die rasche Gründung eines Betriebsrates. "Dann haben wir mehr Verhandlungsmacht", so Most.