Mein lieber Sebastian, hat sich was mit "einsamer Wolf": Am Samstagabend war das Savoy mal wieder ausverkauft. Den Zuspruch hat David Robert Mitchells "Under the Silver Lake" auch verdient - obwohl mich der Thriller nicht vollends überzeugen konnte.
Mit "Mandy" auf den Ohren mache ich mich auf den Weg zum Savoy-Kino. Also mit dem Film-Soundtrack von Jóhann Jóhannsson, nicht Barry Manilow. Zum Glück hat der Score deutlich weniger Beats per minute als der des Vorabends, Gaspar Noés ekstatisches Kunststück "Climax" sitzt mir immer noch in den Knochen. Heute soll es nicht so wild werden. Auf dem Programm steht „Under the Silver Lake“, das neue Werk von "It Follows"-Regisseur David Robert Mitchell. Und die Prophezeiung bewahrheitet sich: Es werden eher ruhige 140 Minuten, aber keinesfalls langweilige.
Bislang konnte ich mit Andrew Garfield nicht so wahnsinnig viel anfangen, nach "Under the Silver Lake" überlege ich, ob ich mich nicht noch mal etwas genauer mit seinem Œuvre beschäftigen soll. Als Parade-Slacker Sam, der auch in jedem Werk von Richard Linklater ("Boyhood") eine gute Figur machen würde, schlurft er mit einer Selbstverständlichkeit ziellos zwischen Müßiggang und Wahnsinn umher, dass es eine Freude ist, ihm dabei zuzugucken. Ständig ist er von leichtbekleideten Hollywood-Schönheiten umgeben.
Eine von ihnen ist Nachbarin Sarah (Riley Keough). Sie hat es Sam besonders angetan. Und tatsächlich kommen sich die beiden näher, doch tags darauf ist Sarah verschwunden und ihre Wohnung leer geräumt. Obwohl er sie kaum kennt, macht Sam sich auf die Suche nach ihr. Es soll ein verstörender Trip in eine mysteriöse Welt voller Verschwörungen und Exzesse werden.
Mit dem Indie-Horror-Hit "It Follows" hat David Robert Mitchell 2014 einen großartigen Genrebeitrag geleistet. Mit "Under the Silver Lake" macht der Regisseur und Drehbuchautor nun genau das Richtige: Er geht nicht auf Nummer sicher, sondern wagt einen radikalen Genrewechsel.
Wer unbedingt möchte, kann mit böser Zuge behaupten, Mitchell klaue sich seinen Stoff zusammen. Ich sage, er zitiert einzelne Stilelemente großer Künstler und huldigt diesen inspirierenden Meistern. In erster Linie ist "Under the Silver Lake" eine Hommage an Alfred Hitchcock. Von der Stimmung über die Musik bis hin zu den Kamerafahrten, wobei er die Suspense immer wieder mit lakonischem Witz unterlegt und durch vermeintliche Nebensächlichkeiten wie ein Filmplakat an der Wand oder eine Strickjacke ironisch bricht. Dazu etwas Polanski hier, etwas Lynch dort und ein paar düstere Comicsequenzen, die in ihrer Schwarz-Weiß-Ästehtik der schillernden realen Welt gegenüberstehen. Das ist raffiniert und macht visuell viel her.
Dramaturgisch ist das Neo-Noir-Mystery-Krimidrama jedoch etwas überladen. Es geht um Popkultur. Um moderne Mythen und ihre Dekonstruktion. Um Sex. Also um Hollywood. Um Los Angeles. Das ziellose Umherdriften ist zwar erzählerisches Prinzip des Films, trotzdem hätten zwei drei Kreisel weniger der vor skurrilen Überraschungen strotzenden Story gut getan. Am Ende heißt das aber auch, dass man "Under the Silver Lake" zumindest noch ein zweites Mal gucken sollte – wie so ziemlich jeden Film von David Lynch.
Das war mein Wort zum Sonntag. In den kommenden Tagen hält euch hier dann wieder der Kollege Seidler auf dem Laufenden. Viele Grüße aus der Cinema-Redaktion, Sven
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