Wer etwas aufmerksamer durch die o2World in Berlin geht, nimmt ihn vielleicht in Mitten der zahlreichen ALBA-Anhänger wahr: Björn Harmsen ist ein gern gesehener Gast beim Hauptstadt-Basketball und liebt die Anonymität der Großstadt. „Ich werde hier ganz selten erkannt. Ab und an dreht sich jemand zwei Mal um, aber dann bin ich meistens schon vorbei", so der 30jährige, der zuletzt an der Seitenlinie der LTi Gießen 46ers in der Beko BBL aktiv war und mit nur 23 Jahren in Deutschlands Eliteklasse als Headcoach debütierte.
Nun sitzen wir bei schwarzem Tee und Latte Machiatto in einem Café in Berlin-Friedrichshain, einen Sprungwurf von der Heimspielstätte der Albatrosse entfernt. Szenepublikum, der bitterkalte Winter sowie der ganz eigene Charme der Hauptstadt prägen das Bild rund um die Revalerstraße. Harmsen ist seit kurzer Zeit Wahl-Berliner und schätzt das Leben an der Spree. „Ich habe hochklassigen Basketball vor der Tür, kann mit dem Zug oder dem Flugzeug internationale Ziele schnell erreichen und gleichzeitig in der Anonymität der Hauptstadt untertauchen", erklärt mir der Basketball-Lehrer seine Entscheidung für den Wohnort. Ob man den smarten A-Lizenzinhaber des DBB als geneigter Korbsport-Fan allerdings aktuell erkennen würde, bezweifle ich. Erholt schaut Harmsen aus, die früher gegeelten Haare offen getragen, ein überfälliger Drei-Tage-Bart im Gesicht, die Pudelmütze gegen die Berliner Kälte tief ins Gesicht gezogen - in der Bar läuft die aktuelle Scheibe von Max Herre, der vom kühlen und anonymen Berlin singt. Wie passend.
Mit zarten 18 Jahren begann die Trainerkarriere des gebürtigen Göttingers. In der Ausbildungsschmiede von Science City Jena lernte Harmsen taktische Finessen, Spielzüge und erwarb erste Grundlagen mit Boardmarker und Taktiktbrett. Als Assistent des heutigen Bundestrainers Frank Menz sammelte der Übungsleiter Erfahrung in der 2. Basketball-Bundesliga. Mit einem Team voller Nachwuchskräfte und einem schmalen Budget gelingt Harmsen in Jena sogar der überraschende Aufstieg in die Küchengeräte-Liga. Stets akribisch, modern und „twenty for seven" mit dem orangenen Leder infiziert. „Ich investierte sehr viel als Trainer. Doch das was ich gebe, muss auch von der Organisation und den Spielern zurückkommen", setzt Harmsen klare Erwartungen an einen Job in der Branche. Vor ihm liegt das Smartphone auf dem Tisch - ob er auf einen Anruf von Ingo Weiss wartet, frage ich, schließlich braucht die A2-Naionalmannschaft und die U20 einen neuen Trainer. „Du, wenn´s kommt, dann kommt es. Wenn nicht, eben nicht", lacht der sympathische Basketball-Enthusiast.
Wir sprechen über seine Zeit in Gießen, den Kader von ALBA Berlin samt den unauffälligen Stärken von Zach Morley, darüber, dass Boki Nachbar in der BBL spielt und was für eine Wahnsinns Entwicklung Per Günther in der letzten Spielzeit genommen hat. Ob er denn generell auf Jobsuche sei frage ich den Mandanten von Deutschlands bekanntester Spieler-Agentur Lumani. „Ja, auf jeden Fall. Ich sitze jetzt nicht auf gepackten Koffern, habe aber gleichzeitig auch keine feste Bindung hier, sodass ich lange überlegen müsste. Wenn das Projekt, egal wo und in welcher Liga, spannend und ambitioniert ist, höre ich es mir gerne an."
Die letzten 12 Jahre hat Björn Harmsen nahezu durchgearbeitet. Über Göttingen, Jena, Weißenfels und schließlich Gießen hat der 30-jährige die Basketball-Republik gesehen. Hospitationen in Barcelona und wahres Herzblut für Spielzüge rund um den modernen Korbsport runden das Profil eines ehrgeizigen und erfolgreichen Übungsleiters ab. „Es war jetzt einfach mal an der Zeit, runter zu kommen und Dinge zu erledigen, die mir durch den Leistungssport gefehlt haben", so Harmsen. Stichwort Familie, Freunde und eben einfach das Leben genießen. Spät aufstehen und so. Rund um die Adventszeit ist das sicher eine illustre Runde unter dem Weihnachtsbaum der Harmsens - die Söhne arbeiten als Mediziner, Kriminalbeamter und Musiker. Und eben als „Basketball-Nerd".
Doch losgelassen hat ihn der tagesaktuelle Korbsport keinesfalls. Regelmäßig besucht er die Heimspiele der Albatrosse, denen er durchaus zutraut, ein gehöriges Wort um die Deutsche Meisterschaft mitzusprechen. „Es ist wirklich toll, dass Alba es bis in die Top-16 der Euroleague geschafft hat. Jetzt wird es aber schwer werden", blickt Björn Harmsen auf die am 27. Dezember beginnende Zwischenrunde. Dem FC Barcelona, Real Madrid, ZSKA Moskau und einem türkischen Team traut er den Einzug in das Top-Four im Mai in London zu. Auf deutschem Boden sieht der ehemalige Bundesliga-Cheftrainer weiter die Brose Baskets Bamberg ganz vorne. „Was Chris Fleming in Bamberg macht, ist sehr hohes taktisches Niveau. Das Spiel läuft sehr flüssig, die Spieler setzen die Vorgaben perfekt um, Raumaufteilung und Ausführungsgeschwindigkeit bei den Systemen machen Bamberg auch dieses Jahr zum Meisterschaftsfavoriten."
Björn Harmsen hat es im positiven Sinne am eigenen Leib erfahren, wie wichtig es ist, dass ambitionierte Trainer in Deutschland eine gute Ausbildung genießen. „Berlin, Bamberg oder auch Oldenburg machen es vor. Wir sprechen immer nur über junge deutsche Spieler, aber es lohnt sich auch in Trainer zu investieren - andere Nationen, wie zum Beispiel die Spanier, machen es uns vor", so der in Thüringen aufgewachsene Harmsen. Mehr als Aufgabe der Vereine sieht er dabei das „Berufsbild Basketballtrainer". Verantwortung und Vertrauen in die Ausbildung der eigenen Trainer sei gefragt. Auch was den modernen Basketballsport angeht. Es sei wichtig zu wissen, was in Europa gespielt wird. Wir diskutieren über die Vor- und Nachteile von einem oder zwei Innenspielern. Darüber, dass es ALBA Berlin dank guter Raumaufteilung gelingt, regelmäßig hervorragend mit zwei Brettspielern zu agieren. „Als Luka Pavicevic damals nach Deutschland kam, gab es kaum Spielzüge, die ein Pick and Roll beinhaltet haben. Luka hat damals fast nur so spielen lassen, bis zur Perfektion. Noch heute findet man seine Systeme in der BBL wieder", analysiert Harmsen.
Er muss es wissen, schließlich sammelt er regelmäßig die besten Spielzüge der europäischen Spitzenteams. Mit Kaffee, Stift und Papier bewaffnet sitzt er am Laptop, auf dem Bildschirm jagen die Euroleague-Teams dem Ball hinterher. Niedergeschrieben hat Björn Harmsen seine Beobachtungen übrigens in einem kleinen Sammelsurium, das er für schmales Geld an interessierte Trainer weitergibt. „Ich möchte meine Ideen mit anderen teilen. Was die moderne Entwicklung angeht, hängen wir in Deutschland teilweise noch hinterher", so Harmsen, der unter anderem Panathinaikos-Legende Zeljko Obradovic als Vorbild nennt.
Mit dem Besuch der Euroleague-Partie zwischen ALBA und Malaga geht ein diskussionsreicher Basketball-Abend zu Ende. Eine feine Sache, dass Björn Harmsen künftig für Parkettgeschichten seine „Taktikgeschichte(n)" verrät und mit einer eigenen Kolumne Einblicke in die Gedankengänge eines „Basketball-Nerds" gibt. Anonymität hin oder her.
Text & Interview: Sven Labenz // Fotos: privat