Läden und Logistik haben Walmart groß gemacht und bringen den E-Commerce voran
Walmart könnte es mit Chinas Volksarmee aufnehmen: Der US-Konzern beschäftigt 2,2 Millionen Mitarbeiter - nur 100.000 weniger als das Heer der Volksrepublik. Er betreibt in 27 Ländern mehr als 10.000 Supermärkte, Discounter sowie Nachbarschaftsläden und kommt pro Woche in Kontakt mit 240 Millionen Kunden: Das sind dreimal so viele Menschen wie in Deutschland leben. „Walmart verfügt über Petabytes von Daten zu Kaufverhalten und Produkten", berichtet Sprecherin Karen Ann Terrell. „Wir haben mit Big Data schon praktische Erfahrungen gesammelt, als Big Data noch nicht cool war."
Der Riese aus Bentonville wacht auf und besinnt sich auf seine Stärken, um im E-Commerce Gas zu geben. 2012 setzte er über Wal-mart.com rund 7,7 Milliarden US-Dollar um - 57 Prozent mehr als 2011. Nun soll der Online-Anteil auf zehn Milliarden Dollar wachsen - immer noch nur ein Bruchteil der Jahreserlöse, aber: „Wir können Online, Mobile und die Stores kombinieren, um Kunden überall und jederzeit Zugang zu Walmart zu geben", sagt Vorstandschef Mike Duke. „Das gibt uns einen Vorsprung vor dem Wettbewerb."
Angesichts von Größe und Möglichkeiten mutet es schon seltsam an, dass Walmart immer wieder an Amazon gemessen wird: Sicher, der Web-Pionier erwirtschaftete mit rund 35 Milliarden Dollar (2012) etwa das Fünffache im Internet. Amazon zieht zudem im Monat 110 Millionen Nutzer an, Walmart nur die Hälfte. Es trifft auch zu, dass Amazon in den USA 13 Logistikzentren betreibt und Kunden schneller (in drei statt vier Tagen) sowie billiger (für etwa vier statt sieben Dollar) beliefert. Doch der Handelsgigant kann mal eben knapp zwei Milliarden Dollar aus dem Cashflow in Technik investieren.
Und er ist wach. Er arbeitet an einer Plattform, die Daten aus Lagern und Regalen der Stores vereinheitlicht. Daraus folgen bereits erste Angebote: Kunden können Bestelltes abholen, mobil schauen, welcher Walmart in der Nähe Konsumwünsche erfüllt, und im Laden Paketinhalte bezahlen, wenn sie weder über Konto noch Kreditkarte verfügen. Wer heute eine DVD bei Walmart kauft, bekommt die digitale Version des Films gleich in seinen Web Account geliefert.
Mit Schließfächern vor Stores, dem Wissen, dass 65 Prozent der US-Amerikaner im 4-Meilen-Umkreis eines Walmart wohnen, und einer Online-Ausschreibung für Personen, die Waren mitbringen, sowie privaten Lieferanten rüstet der Konzern jetzt für den Lebensmittelversand - eine Sparte, die auch Amazon nicht im Griff hat, in der Walmart aber Größenvorteile und regionale Vernetzung ausspielen kann und die zurzeit schneller wächst als alle anderen Sparten des Web-Handels.
Der Weckruf erfolgte bei Walmart vor etwa zwei Jahren: Damals übernahm der CBS-Manager und Gründer Neil Ashe das Zepter bei Walmart Global E-Commerce. Das Unternehmen agiert als selbstständige Tochter seit 2000 in San Bruno und ist 28 Fahrstunden von der Zentrale entfernt. „Wir bauen E-Commerce als gleichberechtigten Service für die operativen Einheiten auf", erklärt Ashe, „und wir arbeiten in übergreifenden Teams zusammen; so können wir schnell Prozesse erneuern." Vergangenes Jahr organisierte Walmart innerhalb von 30 Tagen eine One-Hour-Garantie zum Black Friday, an dem traditionell der erste Run auf Weihnachtsgeschenke erfolgt. Statt begehrte elektronische Geräte in kleinen Mengen an Filialen auszuliefern, bekamen Kunden, die innerhalb eines vorgegebenen Zeitkorridors vor Ort diese nachfragten, eine Liefergarantie. Im Frühjahr lobte Walmart zudem Boni unter Filialmitarbeitern für Online-Käufe in deren Postleitzahlgebiet aus: „So gewinnt Walmart.com 1,4 Millionen Botschafter", sagt Ashe. „Wir kümmern uns nicht mehr um Kanäle oder wo der Kunde kauft, sondern um die Umsetzung der Walmart-Vision, günstige Preise zu bieten, damit Kunden besser leben."
Eng verzahnt ist Walmart.com mit Walmartlabs, einer Art Experimentierfeld, das 2011 durch den Kauf von Kosmix entstand. Venky Harinarayan und Anand Rajaraman, die Gründer des Start-ups, hatten 1996 ihren Preisvergleich an Amazon verkauft und danach in Businessideen investiert. Sie zogen mit Gründermentalität Tüftler und Web-Talente an. In den Walmartlabs entstand Polaris, die neue Suche für Walmart.com, aber auch Shopycat, eine Suche, die Geschenkideen für Freunde aus deren Community-Einträgen herausfiltert. Sie wurde längst bei Walmart.com integriert. Die Labs zeichnen verantwortlich für die sprachgesteuerte Walmart-App mit diversen innovativen Kauf- und Bezahlfunktionen sowie für ein Prognose-Tool, das für die Einkaufsabteilung aus sozialen Netzen die begehrtesten Konsumgüter herausfiltert. Auch wenn Harinarayan und Rajaraman Walmart Anfang dieses Jahrs verließen - für Nachwuchs und Ideennachschub ist gesorgt. „Ich werde oft gefragt, wie lange der Umbau von Wal-mart zum Online-Händler dauert", so Ashe, „die Antwort lautet: so lange wie unsere Karrieren, denn das ist nicht nur ein Projekt, das ist das Unternehmen." ❚
SUSANNE VIESER