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Gekränkt und militant: Der Angriff der Maskulinisten

Bild: Bewaffneter Mann auf einer Kundgebung in Richmond/USA, 18. Januar 2021 (IMAGO / ZUMA Wire)

Zu Beginn der Coronazeit ging eine Montage von sieben Gesichtern um die Welt. Sie gehörten den Staats- und Regierungsoberhäuptern, die ihre Länder am besten durch die Krise manövrierten und am souveränsten Führung demonstrierten. Es waren ausnahmslos weibliche Gesichter: die Porträts der Staats- und Regierungschefinnen von Deutschland, Taiwan, Neuseeland, Island, Finnland, Norwegen und Dänemark. Es sind die Gesichter einer neuen Politik, deren Bilder weltweit geteilt wurden, weil sie eine neue Form weiblicher Autorität repräsentieren.

Dass der politische Stil der Politikerinnen anders ist als der ihrer männlichen Kollegen, wurde besonders in der Krisenzeit von der medialen Öffentlichkeit bemerkt und diskutiert. Magazine, Zeitungen und Nachrichtensender wie die „New York Times", der „Guardian", „Forbes", CNN, aber auch nichtwestliche Medien wie das indische Journal „Yourstory" lobten den „neuen weiblichen Führungsstil" als vielversprechend und zukunftsweisend „in einer Ära der neuen globalen Bedrohungen".[1] Frauen „sind die besseren Führungspersönlichkeiten, wie die Pandemie beweist", so ihr Urteil.[2]

Sehr kritisch hingegen wurde der männliche Führungsstil gesehen, dargestellt als politisches Gebaren „starker Männer" wie Trump, Bolsonaro, Putin oder Netanjahu. Sie nutzten die globale Krise, um ihre autoritäre Herrschaft noch schneller auszubauen, statt im Interesse der Gemeinschaft zu handeln. Männliche Herrschaft wurde im globalen Diskurs mehr und mehr zur Negativfolie für weibliche Autorität: Im Gegensatz zu den weiblichen Lenkerinnen reagierten die autoritären Staatschefs mit trotzigem Leugnen auf die Pandemie, schoben die Schuld und die Verantwortung anderen in die Schuhe, instrumentalisierten Justiz und Sicherheitsbehörden, prangerten kritische Berichterstattung an und schränkten die Pressefreiheit ein. Sogar die Unternehmensberatung McKinsey konstatierte in einem Paper, der alte Führungsstil sei in der Krise. In den neuen Zeiten brauche es Eigenschaften wie Teamfähigkeit, Bedacht und Empathie, um neue globale Herausforderungen wie die Pandemie zu bewältigen.[3]

Zwar hat dieses positive Bild weiblicher Führungsqualitäten mittlerweile Kratzer bekommen - man denke nur an den holprigen Impfstart in Deutschland und der EU, für den nicht zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Verantwortung tragen. Dennoch ist dieser Aufstieg der Frauen eine globale Entwicklung, und er wird weltweit bemerkt und anerkannt. Auch die Erfolgsgeschichten von Staats- und Regierungschefinnen nichtwestlicher Länder - Singapur, Nepal, Äthiopien, Bangladesch, Namibia und Georgien - im Kampf gegen die Pandemie fanden Beachtung.[4] Das blieb nicht ohne Folgen. Während tonangebende Medien weibliche Herrschaft priesen, kam ein weiterer Diskurs auf, ein Gegendiskurs: In der Halböffentlichkeit der sozialen Medien, der Kommentarspalten und der Internetforen brach sich der Frust über die neue weibliche Macht Bahn. Als der britische Schriftsteller Matt Haig das Bild der sieben Staatschefinnen bei Instagram mit dem Hinweis „Zeit, dass Frauen endlich die Welt regieren" postete, fanden sich darunter schnell Kommentare wie: „Incel tsunami incoming".[5]

„Incels" sind unfreiwillig enthaltsam lebende Männer, die einer radikalen misogynen Weltanschauung anhängen und ihren Frauenhass in der sogenannten Mannosphäre organisieren, also im männlich dominierten Internet. Der Begriff ist zusammengesetzt aus den Wörtern „involuntary" und „celibate". Mit seinem Verweis auf einen heraufziehenden Tsunami der Incels nahm der Kommentator vorweg, was inzwischen regelmäßig passiert, wenn es um Frauen geht, die sich in öffentlichen Bereichen bewähren, die von vielen immer noch als Männerdomänen angesehen werden: Es wird gemobbt, beleidigt, gedroht, gehasst und manchmal auch gehandelt, wie die Anschläge auf Frauen in den vergangenen Jahren zeigen.

Nicht nur Politikerinnen werden zum Ziel verbaler und bisweilen handfester Attacken, sondern alle Frauen, die im Licht der Öffentlichkeit stehen und für sich beanspruchen, in „männlichen Gebieten" - auch in vermeintlich unverfänglichen - erfolgreich zu sein, wie zum Beispiel Fußballkommentatorinnen oder Frauen in „männlichen" Filmrollen. Bei der Fußballweltmeisterschaft 2018 folgte auf jedes Spiel, das von einer Frau kommentiert wurde, ein hasserfüllter Shitstorm in den sozialen Medien, der die Kommentatorinnen aufgrund ihres Geschlechts herabwürdigte.[6] Der Gegendiskurs findet nicht nur in obskuren Foren im Darknet statt, sondern mitten in der Öffentlichkeit, innerhalb des liberalen progressiven Diskurses, als direkte Reaktion auf diesen. Es ist kein Zufall, dass Beiträge von und mit Frauen auf die beschriebene Weise behandelt werden, sondern vielmehr das gut organisierte Werk misogyner Trolle und Hater. Wenn man sich systematisch mit den Kommentarspalten zu Beiträgen von Frauen beschäftigt, und zwar in Mainstreammedien, wird das offenbar. Egal, um welches Thema es geht, sobald Begriffe wie „Feminismus" oder „Patriarchat" in der Überschrift, in den einleitenden Sätzen oder im Text auftauchen, passiert Folgendes: Die Kommentarspalte wird mit polemischen Aussagen überschwemmt, seitenweise müssen diese von der Moderation gelöscht werden, weil die Inhalte unangemessen, beleidigend, angreifend oder hetzerisch sind. Die Kommentare, die am Ende stehen bleiben, geben kaum noch eine inhaltliche Debatte wieder, sondern beziehen sich nur noch auf das Diskussionsgeschehen, indem sie beispielsweise Verwunderung über die vielen Hasskommentare zum Ausdruck bringen. Die Troll-Aktionen haben damit ihren Zweck erfüllt und jede Diskussion über weibliche Macht oder Errungenschaften, jede Kritik an patriarchalen Strukturen abgewürgt.

Auch im Alltag lässt sich der Gegendiskurs beobachten, während des Coronalockdowns zum Beispiel im „Renegatentum" der „renitenten Männer auf der Straße", wie das „Philosophie Magazin" feststellte: Sie verweigerten Ausgangssperren und Masken, weil sie dadurch ihre Männlichkeit und ihre moralische Identität in Gefahr sahen, und bekannten sich öffentlich zum Regelbruch, indem sie beispielsweise darüber twitterten.[7] Eine Studie über die Gender-Dimension der Mund-Nasen-Bedeckung gegen die Verbreitung von Covid-19 hat ergeben, dass Männer während der Pandemie seltener eine Maske trugen, weil sie dies als „beschämend", „ein Zeichen der Schwäche" oder „uncool" empfanden.[8]

Das Patriarchat gerät in Bedrängnis

Der reaktionäre Gegendiskurs entsteht aus einer Spannung heraus. Die realen sozialen Verhältnisse und Strukturen sind immer noch patriarchal, auch das zeigt Corona deutlich - besonders, wenn es um Gleichberechtigung im Arbeitsleben und in der Familie geht. „In der Coronakrise stecken vor allem Frauen beruflich zurück. Alte Rollenmuster sind plötzlich wieder da", sind sich Mainstreammedien einig.[9] Von „Retraditionalisierung" und „einer Rolle rückwärts in die fünfziger Jahre" ist die Rede.[10] Die alten Muster hegemonialer Männlichkeit wirken weiterhin fort. Gleichzeitig aber gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen heute und früher: das Medienecho. Wir als Gesellschaft prangern diese Zustände als Missstände an und verurteilen sie. Wir machen deutlich, dass es überhaupt nicht selbstverständlich ist, dass Frauen in Krisenzeiten in alte Rollen zurückgedrängt werden, sondern eine Tatsache, die wir mit Befremden und Empörung zur Kenntnis nehmen und kritisieren. Das ist der herrschende Diskurs.

Einerseits bestehen männliche Privilegien bis heute fort und sind strukturell tief in unserer Gesellschaft verankert; andererseits gerät das Patriarchat ethisch, normativ und diskursiv in Bedrängnis. Es herrscht ein gesellschaftlicher Konsens darüber, dass Gleichberechtigung ein erstrebenswertes Ziel ist, in der Öffentlichkeit ist diese Ansicht tonangebend. Das Gleiche zeigt sich bei der Diskussion um die vorbildlichen Staats- und Regierungschefinnen. Denn dass über sie als neue weibliche Führungselite in der Öffentlichkeit debattiert wird, lässt ja auch sichtbar werden, wie wenig selbstverständlich Frauen in politischen Spitzenpositionen noch immer sind. Tatsächlich werden lediglich 18 Länder (von mehr als 200) von Frauen regiert, in denen mit rund 550 Millionen Menschen nur sieben Prozent der Weltbevölkerung leben.[11] Gleichzeitig finden aber viele, dass diese Staatslenkerinnen die Zukunft sind und bald Normalität sein sollten. Wie unter einem Brennglas lässt uns die extreme Zeit der Pandemie diese Spannung deutlicher denn je erkennen. Diese Spannung ist ein wesentlicher Grund dafür, dass wir seit einigen Jahren eine Schwemme herabwürdigender und oft geradezu hasserfüllter Rhetorik gegenüber Frauen erleben.

Heute gibt es ein gut organisiertes Netzwerk misogyner Akteure, die global agieren.

Die Polemiken gegen Gleichberechtigung in Form reaktionärer Interventionen in Männerforen, Kommentarspalten oder in sozialen Medien sind nur ein kleiner Teil einer großen Bewegung, deren Agitationen gegen Frauen und Frauenrechte in vielen gesellschaftlichen und politischen Bereichen zu beobachten sind. Heute gibt es ein gut organisiertes Netzwerk misogyner Akteure, die global agieren. So finden wir herabwürdigende Rhetorik in den Schriften katholischer Geistlicher, den Äußerungen radikaler Abtreibungsgegner, den verbalen Rüpeleien autoritärer Politiker. Sie kann als Reaktion auf die tiefen Erschütterungen männlichen Selbstverständnisses in den vergangenen Jahrzehnten und als erbitterte Verteidigung maskuliner Privilegien und männlicher Herrschaft verstanden werden, die de facto noch existieren, in unserem Wertesystem aber infrage gestellt werden. In dieser Spannung hat sich die problematisch gewordene hegemoniale Männlichkeit politisiert.

„Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken", forderte Björn Höcke von der Alternative für Deutschland (AfD) in einer Rede in Erfurt am 18. November 2015. „Denn nur, wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft. Und nur, wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft." Höckes Seufzer des bedrängten Mannes ist kein Einzelfall, sondern Symptom einer politischen Auseinandersetzung, die auf dem Feld der Geschlechterverhältnisse ausgetragen wird. Mit Männlichkeit kann mobilisiert und Politik gemacht werden, Forderungen nach einer Restauration „echter Männlichkeit" und des Patriarchats fallen auf fruchtbaren Boden, von Maskenverweigerern bis Incels. Maskulinisten, Rechtspopulistinnen und Abtreibungsgegner versammeln sich unter dem Banner männlicher Vorherrschaft, um gegen die „Gender-Ideologie" mobilzumachen.

Dabei zeigt sich ein immer wiederkehrendes Motiv, das im Denken vieler Protagonisten politisierter Männlichkeit eine zentrale Rolle spielt: In den Beziehungen zwischen den Geschlechtern herrsche eine natürliche Ordnung, eine natürliche Hierarchie, in der der Mann der Frau übergeordnet sei - wenn da nicht die sozialen Experimente linker, grüner und Gender-Aktivisten wären. Die moderne Vorstellung von Gleichheit - sei es vor dem Gesetz oder in ökonomischer Hinsicht - breche mit dieser natürlichen Ordnung.

Seinen Niederschlag findet dieser neu aufkommende Männlichkeitsdiskurs im Aufstieg rechtspopulistischer Parteien und starker Männer wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro. Wie ein roter Faden zieht sich frauenfeindliche Agitation durch die Aussagen und Programme populistischer und autoritärer Parteien und Politiker. Kaum etwas eint die autoritären Bestrebungen jüngeren Datums so sehr wie der Kampf gegen den „Gender-Wahn", gegen die als Herabsetzung empfundene Relativierung männlicher Macht. Der neue Männlichkeitsdiskurs ist eng verknüpft mit den politischen Erschütterungen der vergangenen Jahre.

Der gekränkte Anspruch und das Programm der männlichen Souveränität

Die Spannung, die zwischen den realen und den idealen Geschlechterverhältnissen besteht, hat etwas hervorgebracht, das der Soziologe und Männlichkeitsforscher Michael Kimmel als „gekränkten Anspruch" bezeichnet. Männer mit einem misogynen Weltbild, so Kimmel, glauben, sie hätten Anspruch auf eine Frau und auf eine ihnen angestammte männliche, das heißt herrschende Rolle innerhalb von Familie und Gesellschaft. Diesen vermeintlichen Anspruch leiten sie aus „der Tradition" her - ob sie sich auf eine tatsächliche oder bloß eine imaginierte Tradition beziehen, ist dabei irrelevant. Wird diese Erwartung nicht erfüllt, fühlen sie sich gedemütigt: Die Frauen würden sie links liegen lassen, hätten kein Interesse an ihnen.

Politiker wie Trump, Bolsonaro oder auch Höcke haben aus ebendiesem gekränkten Anspruch ein politisches Programm der männlichen Souveränität geformt. Sie machen sich den Frust, die Enttäuschung und die Wut jener zunutze, die überzeugt sind, im Stich gelassen worden zu sein, und locken sie mit dem Versprechen, die ihnen zustehenden Privilegien wiederherzustellen. Nicht umsonst ist die Restauration das Mittel der Wahl rechtspopulistischer Politiker: „Make Männlichkeit great again."

Wie aber ist es zu dieser enormen Politisierung der Männlichkeit gekommen? Was sich geändert hat, sind die Möglichkeiten für Frauen, sich öffentlich zu äußern, anzuklagen, ihre Rechte einzufordern. So ist Gewalt gegen Frauen in den vergangenen Jahren mehr und mehr zu einem Thema öffentlicher Debatten geworden. Die #MeToo-Bewegung war in dieser Hinsicht fraglos von zentraler Bedeutung.

Im Laufe der Jahrzehnte ist es Frauen als gesellschaftlicher Gruppe mehr und mehr gelungen, das auszuüben, was der Philosoph Tristan Garcia „Gegenherrschaft" genannt hat. In dem Moment, so Garcia, in dem die eigene Diagnose des Herrschaftszustandes gegen die der Herrschenden durchgesetzt wird, bekommt die Gegenherrschaft selbst Herrschaftswirkung: „Man setzt keine Herrschaftsdiagnose durch, ohne selbst ein wenig (geistig, symbolisch, medial) zu herrschen."[12] So gerät hegemoniale Männlichkeit in Bedrängnis, indem sich diejenigen, die Herrschaft kritisieren, in ein politisches Kräfteverhältnis begeben und dafür sorgen, dass ihr partikulares Bild vom Zustand der Herrschaftsverhältnisse universell anerkannt wird.[13] Außerdem führt die Gegenherrschaft dazu, dass sich diejenigen, die real herrschen, als unterdrückt empfinden. Als Beispiel führt Garcia unter anderem den Maskulinismus als Reaktion auf die Emanzipationsbewegung an, der sich aus diesem Grund die Verteidigung von männlichen Rechten und Interessen zur Aufgabe gemacht hat und Vorstellungen von einer „umgekehrten sexuellen Herrschaft, einer ‚bemutternden und kastrierenden Gesellschaft'" pflegt.[14]

Nun führt die Empfindung auf Seiten der Akteure, man werde beherrscht, nicht dazu, dass deren Behauptungen - zum Beispiel, dass der Feminismus die Politik der Regierungen bestimme oder dass Political Correctness das Ende der Meinungsfreiheit darstelle - wahr würden, aber: Durch die Auflösung der Trennungslinie zwischen konkreter und symbolischer Herrschaft wird die männliche Herrschaft insgesamt prekär. Der politische Schwerpunkt verlagert sich allmählich von der Verteidigung der Rechte oder Pflichten der einen oder der anderen auf den Kampf, die eigene Diagnose über die Herrschaftsverhältnisse in der Gesellschaft gegen die der anderen durchzusetzen. „So hat denn in einem demokratischen System die Minderheit eine strategische Rolle bekommen",[15] das heißt, einer Minderheit anzugehören hat den Vorteil, dass man aus dieser Position heraus die Herrschaft der anderen kritisieren kann.

Maskulinisten inszenieren sich selbst als Minderheit, gleichwohl die realen Herrschaftsverhältnisse weiterbestehen.

Maskulinisten haben es nun darauf abgesehen, zu zeigen, dass Frauen und besonders Feministinnen mittlerweile mehr Rechte genießen, während Männer diskriminiert und unterdrückt würden. Sie begeben sich daher in eine Position, die Garcia „strategische Minderheit" nennt: Sie inszenieren sich selbst als Minderheit, gleichwohl die realen Herrschaftsverhältnisse - Männer als Gruppe herrschen über Frauen als Gruppe - weiterbestehen.

Kimmel bezeichnet die Position der strategischen Minderheit schlicht als „Opferrolle". Besonders Männerrechtler eignen sich die Argumentationsmuster von Feministinnen an und drehen sie um. Paul Elam, das bekannteste Gesicht der antifeministischen Männerrechtler mit seiner Website „A voice for men" etwa spricht von einer „misandrischen", also einer männerfeindlichen Kultur: „Dieses Mal bauen wir eine Männerbombe. Wenn sie detoniert, werden die amerikanischen Rassenunruhen dagegen wie eine Parade zum Erntedankfest aussehen. Der misandrische Zeitgeist, das System feministischer Governance, das von den meisten noch nicht anerkannt wird, strebt auf sein unvermeidliches und hässliches Ziel zu, dessen Resultate der Psyche der westlichen Welt eine weitere klaffende Wunde schlagen werden. In der Community von Männerrechtlern, für sich genommen eine Minderheit, beklagen wir schon lange den grausamen und destruktiven Krieg, der gegen Männer und Jungs seit einem halben Jahrhundert geführt wird. Wir haben unerlässlich in die tauben Ohren der Welt gerufen, dass wir uns auf dem Weg der Zerstörung befinden, und wir sahen unsere Prognosen wahr werden, dass Männer zu Pachtsklaven für ein bösartiges Matriarchat reduziert werden."[16]

"Misandrie" als Pendant zu "Misogynie"

Dieses Zitat veranschaulicht, was strategische Minderheit für Maskulinisten bedeutet und wie die Verhältnisse direkt umgekehrt werden: Wir finden den Begriff „Misandrie" als Pendant zu „Misogynie", die feministische Governance statt der männlichen Herrschaft, das Matriarchat anstelle des Patriarchats. In der Argumentation Elams reicht den Feministinnen die bloße Umkehrung der Geschlechterverhältnisse jedoch nicht. Diese sei bereits erreicht. Sie würden einen Krieg gegen Männer führen, um diese nicht nur zu unterwerfen, sondern sogar zu versklaven.

Männerrechtler eignen sich indes nicht nur feministische Narrative an, sondern auch solche der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, um sich als unterdrückte Minderheit zu stilisieren. Insbesondere Martin Luther King wird von Maskulinisten immer wieder instrumentalisiert. Zum einen wollen sich die Aktivisten so den Anschein einer Bürgerrechtsbewegung verleihen, zum anderen nutzen sie den Verweis auf den Grundsatz der Gewaltlosigkeit, um so ihre angebliche Abgrenzung von extremistischen Irrläufern kundzutun. Der Mitblogger von Elam, Warren Farrell, nennt sich selbst explizit „Bürgerrechtler" und rekurriert auf King. Tatsächlich dienen die Unterdrückungsnarrative letztlich aber der Legitimation von Gewalt. Maskulinisten drehen das Verhältnis von Opfern und Tätern um und inszenieren sich als die „Unterdrückten", deren Handeln Notwehr oder einem Freiheitskampf gleichkommt.

Dieselbe Argumentation aus der strategischen Minderheit heraus findet sich bei weißen Suprematisten. Der notorisch misogyne und rassistische US-Radiomoderator Rush Limbaugh zum Beispiel dreht in seiner Sendung die diskriminierenden und rassistischen Herrschaftsverhältnisse zwischen Weißen und Afroamerikanern einfach um. In den Vereinigten Staaten, so polemisierte der Moderator etwa gegen die Präsidentschaft von Barack Obama, käme man nur noch auf eine Weise voran: „Indem man Weiße hasst. Oder sagt, dass man es tut. [...] Mach aus Weißen die neue unterdrückte Minderheit. [...] Sie müssen jetzt im Bus nach hinten. [...] Das sind die Republikaner von heute, das Äquivalent zum alten Süden: die neue unterdrückte Minderheit." [17]

Von den USA bis zum Attentäter von Halle

Die Kultur des gekränkten Anspruchs weißer Männer ist nicht spezifisch für die USA, sondern ein in allen westlichen Ländern virulentes Phänomen. Die entsprechende US-amerikanische Kulturproduktion bildet zwar den Referenzrahmen, aber dieser speist sich aus globalen Einflüssen. Auch beim Attentäter von Halle, Stephan Balliet, finden wir globalisierte Kulturgüter der strategischen Minderheit. Das erste Musikstück, das Balliet in seinem Wagen hört, als er losfährt, um seinen Anschlag zu verüben, zählt dazu. Der Titel ist nicht zufällig gewählt, sondern gehört zur wohlüberlegten Choreographie für das Attentat. Es handelt sich dabei um das Lied „Mask Off" des afroamerikanischen Rappers Future beziehungsweise um eine Adaption, die so gut gemacht ist, dass beispielsweise das Rechercheteam von „Spiegel TV", das Stephan Balliet nach der Tat eine Sendung widmete, den Unterschied nicht bemerkte.[18]

Wenn man genau hinhört, lassen sich Elemente aus der rechtsextremen Szene ausmachen. Der Originaltext von Future wurde durch einen eindeutig rechtsradikalen Text ersetzt: Von der „arischen Bruderschaft" ist da die Rede, von „der Schuld der Juden" oder von der „schwarzen Sonne", ein aus drei übereinandergelegten Hakenkreuzen bestehendes Symbol der Nationalsozialisten, das heute von vielen rechtsterroristischen Gruppierungen wie etwa der Atomwaffen Division genutzt wird. Indem sich Rechtsterroristen wie Balliet eine Ausdrucksform aneignen, derer sich ursprünglich eine diskriminierte Minderheit bediente, können sie ihre Gewalt rechtfertigen und sogar terroristische Attentate wie politischen Widerstand erscheinen lassen. In seinem umfassenden Geständnis legt Balliet dar, dass er seinen Anschlag für die weißen Männer begangen habe, die seiner Meinung nach benachteiligt seien: „Meine Gruppe sind die weißen Männer, um die es ziemlich scheiße steht."[19] Balliet wollte unterdrückte Weiße handlungsfähig machen, ihnen zeigen, dass man sich mit einfachen Mitteln selbst Waffen bauen und sich wehren könne gegen die Ungerechtigkeiten.

Die Kultur des gekränkten Anspruchs weißer Männer ist ein in allen westlichen Ländern virulentes Phänomen.

Wie sehr Männer angeblich diskriminiert werden, lässt sich auch auf zahlreichen deutschen Seiten nachlesen, die sich dem Kampf für die maskulinistische Sache verschrieben haben. „Deutschlandreform" etwa konstatiert, dass „die politisch korrekte Einstellung" so weit gehe, dass staatliche Institutionen wie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes „gezielt missverständliche und einseitige Informationen" verbreiten und die Diskriminierung von Männern verschweigen würde. Die „politische Korrektheit" ist ein beliebtes Feindbild von Maskulinisten, denn als Herrschaftsinstrument der Beherrschten dient sie dazu, Gegenherrschaft zu etablieren. „Deutschlandreform" führt eine Liste mit Beispielen von Institutionen oder Kontexten, durch die bzw. in denen Männer diskriminiert würden. Die Liste umfasst so ziemlich alles, was man sich vorstellen kann: Behörden, das Grundgesetz, Gerichtsurteile, Scheidungen und Vaterschaftstests, gefährliche Tätigkeiten, Leistungsbemessungen und Leistungsstandards, Ausbildung, Arbeitsplatz und Renteneintrittsalter, aber auch Wertschätzung und öffentliche Wahrnehmung.[20]

Auf der Homepage der Gruppe „Wieviel ‚Gleichberechtigung' verträgt das Land? - Wenn der Mensch zur MenschIn wird - oder: Wer die menschliche Gesellschaft will, muß die dämliche überwinden" wird die „Lohndiskriminierungslüge" aufgearbeitet und behauptet, Frauen arbeiteten 39 Prozent weniger als Männer, verdienten aber 64 Prozent mehr.[21] Das selbst erklärte „Männermagazin" spricht von einem „Rollentausch von der Rolle",[22] die Seite manndat.de davon, dass die „Frauenunion (CDU) männermordende Länder" lobe. Die angebliche Unterdrückung von Männern wird hier mit einem drastischen Beispiel umschrieben: „Stellen Sie sich vor, ein Amokläufer würde in eine Schule eindringen und vorrangig weibliches Lehrpersonal ermorden und eine männerpolitische Vereinigung würde dann diese Schule als Vorbild bezüglich des männlichen Lehreranteils benennen."[23] Genau so, nur mit umgekehrten Rollen, würde feministische Geschlechterpolitik gegen Männer funktionieren.

Hegemoniale Männlichkeit wird sichtbar

Die Darstellung des männlichen Geschlechts als Verlierer der feministischen Gesellschaft ist keineswegs nur ein Phänomen extremer Maskulinisten im Internet. Aus der strategischen Minderheit heraus gegen den Feminismus und gegen Frauenrechte mobilzumachen, diese Entwicklung zeigt sich in zunehmendem Maß auch im Mainstream. Doch wie lässt sich dieser Trend interpretieren?

Die Geschlechterforscherin und Soziologin Franziska Schutzbach stellt fest, dass der „Ruf der PUAs[24] nach einer explizit männlichen Dominanz [...] als ein Indiz dafür gesehen werden kann, dass das Selbstverständnis männlicher Suprematie und damit Männlichkeit insgesamt unter Druck geraten sind".[25] Für ihre These greift Schutzbach auf die Theorien der feministischen Naturwissenschaftshistorikerin Donna Haraway zurück, die für das Feld der Wissenschaft aufgezeigt hat, dass ein zentrales Element männlicher Suprematie darin bestehe, dass sie unmarkiert bleibt und über (Selbst-)Invisibilisierung operiert. Folge man Haraway, so Schutzbach, dann „zeichnet sich das Selbstverständnis männlicher Vorherrschaft [...] also gerade nicht durch deren geschlechtliche Markierung aus, sondern durch deren Entpartikularisierung, Universalisierung, Neutralisierung, ja Transzendentalisierung. Auch im religiösen Diskurs oder in der Geschichte der Menschenrechte begegnen wir dieser universalisierten, invisibilisierten Männlichkeit: Der Mann wird als Mensch universalisiert, Eva wird aus Adams Rippe gemacht, sie ist das Besondere, er das Allgemeine. Ein ähnlicher Mechanismus zeigt sich in der Geschichte der Menschenrechte: Obwohl sie als Menschenrechte deklariert wurden, galten sie anfangs nur für Männer. Diese Einschränkung blieb jedoch weitgehend unsichtbar, weil Mann mit Mensch gleichgesetzt war. [...] Männliche Suprematie konstituiert sich, indem sie gerade nicht als männlich, sondern als allgemein definiert wird. Aus dieser Warte haben nur andere ein Geschlecht, während die eigene Position als universell gilt."[26]

Genau das gilt heute allerdings nicht mehr. Männlichkeit an sich ist zum identitätspolitischen Merkmal geworden. Sie ist nicht mehr die Norm, sondern tendenziell Attribut einer Gruppe unter vielen. Natürlich wurden früher auch bestimmte Aspekte und Ideale von Männlichkeit diskutiert, gab es Identitäten der soldatischen, bürgerlichen oder Arbeitermännlichkeit, doch blieb hegemoniale Männlichkeit selbstverständlich und unangetastet. Feministische Kritik hat dazu geführt, dass es diese Selbstverständlichkeit so nicht mehr gibt.

Wie sehr das Selbstverständnis infrage gestellt ist, zeigt sich daran, dass männliche Herrschaft von Männern selbst zum Thema gemacht wird, aus zwei gegensätzlich erscheinenden Positionen heraus: Zum einen wird sie aus der strategischen Minderheit heraus als angeblich nicht mehr existent beklagt, zum anderen wird insistiert, männliche Überlegenheit sei naturgegeben.

Doch unabhängig davon, welche der beiden Positionen vertreten wird, hegemoniale Männlichkeit wird durch sie markiert; sie wird sichtbar. Einerseits wird dadurch deutlich, dass das Patriarchat erodiert. Andererseits gilt es zu konstatieren, dass Männer selbst die männliche Herrschaft thematisieren und markieren. Sie machen hegemoniale Männlichkeit zu etwas Politischem: Als Patriarchat mobilisieren sie für das Patriarchat. Und immerhin: Zum Zustand der Selbstverständlichkeit können sie nicht zurück. Was einmal sichtbar geworden ist, wird nicht einfach wieder unsichtbar.

Der Beitrag basiert auf dem jüngsten Buch der Autorin „Politische Männlichkeit. Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen", das im Suhrkamp Verlag erschienen ist.
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