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Holzschuppen für die Frau

Hören Sie es schon hämmern? Vielleicht ist das Ihre Nachbarin, die gerade einen She Shed aufbaut. Zumindest eine deutsche Baumarktkette ist sich sicher, dass mit der Frühlingsbrise auch der Trend zum Damenschuppen zu uns herüberweht. In den USA haben sich in den vergangenen Jahren viele Frauen ein Holzhäuschen im Garten aufgestellt und nach ihren Bedürfnissen gestaltet. Auf Instagram und Pinterest füllen die Fotos all der Ateliers, Home Offices und Nähstübchen, die sich die Frauen in den Schuppen eingerichtet haben, Seiten.

Den großen US-Baumärkten hat die She-Shed-Nachfrage ein zweistelliges Umsatzplus in der Sparte der Gartenhäuser eingebracht. Kein Wunder also, dass da die Strategen von „Es gibt immer was zu tun"-Hornbach ganz schnell aktiv geworden sind und She Sheds für den deutschen Markt in Auftrag gegeben haben. Zum Beginn der Gartensaison 2017 kann man schon zwischen 17 verschiedenen Modellen wählen: Da gibt es zum Beispiel die Version „River House" mit Flügeltür und zwei Fenstern oder die Variante „Almelo" mit Spitzdach, die in natur und schwedenrot zu haben ist.

Beim Marketing für seine She-Shed-Kollektion haut der Baumarkt auf die Pauke: Die Holzschuppen könnten „Ich-Zeit-Häuser, Yoga-Höhlen, Lese-Inseln, Kreativ-Hütten oder auch lichtdurchflutete Nähstuben im Freien" sein. Yoga, lesen, nähen - was Frauen halt so machen, Hauptsache, die Schuppenbesitzerin „tobt sich in ihrer Ecke des Gartens kompromisslos aus".

Endlich in Ruhe Topflappen häkeln, nein Danke

Getobt hat angesichts solch berückender Prosa erst mal der Shitstorm. Die She-Shed-Werbekampagne wurde für die Verleihung des „Goldenen Zaunpfahls 2018" vorgeschlagen. Der Preis wird seit diesem Jahr für Produkte und Kampagnen verliehen, die Rollenbilder besonders plump und unreflektiert reproduzieren. Und ein paar Wochen später lästerte Nina Pauer in der „Zeit", der Schuppen wecke Assoziationen der restlos unterforderten Hausfrau, die dringend etwas gestalten möchte.

Nur: Warum eigentlich? Man muss sich die She Sheds nicht zwingend als pink tapezierte Wellnessoasen vorstellen, in der erschöpfte Hausfrauen Achtsamkeitsmalbücher kolorieren. Stattdessen lassen sich die Schuppen genauso gut als Orte begreifen, wo Frauen konzentriert arbeiten und ihre Projekte ungestört entwickeln und vorantreiben können.

Die Rolle, die ein eigener Raum für den Denk- und Schaffensprozess spielt, hat Virginia Woolf schon 1929 beschrieben. In „Ein Zimmer für sich allein" analysiert sie, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Kunstwerke entstehen können, und warum bis zu ihren Lebzeiten beispielsweise bedeutend weniger Lyrik von Frauen als von Männern verfasst wurde. Sie kommt zu dem Schluss, dass es Frauen neben Geld vor allem an Raum mangelte, um schöpferisch tätig zu sein: „Wenn eine Frau schrieb, dann musste sie im gemeinsamen Wohnraum schreiben." Dort aber „haben Frauen niemals eine halbe Stunde (...), die ihnen ganz alleine gehört", vielmehr seien sie „allen Arten zufälliger Unterbrechung ausgesetzt". Für Woolf ist offensichtlich, dass nur „ein Schloss in der Tür die Möglichkeit bedeutet, selbstständig nachzudenken". Ein Zimmer für sich allein zu haben, sei genauso entscheidend dafür, wie über sein eigenes Geld zu verfügen.

Nur 15 Prozent der Frauen arbeiten nach der Elternzeit Vollzeit

Fast 100 Jahre später haben die von Woolf beschriebenen Verhältnisse mehr mit der deutschen Gegenwart zu tun, als man glauben könnte. Sobald Paare hierzulande Kinder bekommen, entwickelt sich die Rollenverteilung in der Mehrheit der Familien schnell wieder ganz traditionell. Eine Studie des Allensbacher Instituts für Demoskopie aus dem Jahr 2015 zeigt: Vor der Geburt des ersten Kindes waren 71 Prozent der befragten Eltern mit Kindern unter sechs Jahren gleichzeitig in Vollzeit erwerbstätig, nach der Elternzeit für das erste Kind waren es aber nur noch 15 Prozent. In 72 Prozent der Familien ist die Frau anschließend in Teilzeit oder geringfügig beschäftigt, während der Mann voll arbeitet oder gleich alleinverdienend ist.

Den Großteil der unbezahlten Haus- und Fürsorgearbeit in den Familien leisten weiterhin Mütter: Sie kleben Pflaster auf verschrammte Knie, helfen bei den Hausaufgaben, räumen Spülmaschinen ein und Kinderzimmer auf. Dafür wenden sie nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft täglich doppelt so viel Zeit auf wie Männer. In der Konsequenz verbringen Frauen, die Kinder haben, im Durchschnitt deutlich mehr Zeit zu Hause als Männer.

In einer Großstadt wie Berlin verfügen Mütter in der Regel aber nicht über ihr eigenes Zimmer. Mit der Ankunft eines Kindes in eine größere Wohnung umzuziehen, ist für viele angesichts der Mietsteigerungen der letzten Jahre gar nicht mehr drin. Und so wird kurz vor der Geburt eben das Arbeitszimmer in ein Kinderzimmer umgewandelt. Der Schreibtisch wandert dann ins Wohn- oder Schlafzimmer, und die Mutter hat künftig die Wahl, ob sie ihre Gedanken lieber zwischen Bett und Wäscheständer oder mitten im Wohnzimmer sammeln möchte, während die Kinder auf dem Bobbycar vorbeirasen oder die Schränke ausräumen.

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