SENDETERMIN So., 12.01.20 | 23:35 Uhr
Ungarns neues Kulturgesetz
Kurz vor Weihnachten demonstrierten in Budapest Tausende Menschen gegen ein Gesetz, das der Regierung Einfluss auf unabhängige Theater geben soll. "Ihr wisst doch genau: Theater ist grundsätzlich kritisch und oppositionell. Und wenn nicht, dann ist es verdammt langweilig und verlogen", ruft Béla Pintér, freier Regisseur.
In nur zwei Tagen wurde die Modifizierung des Kulturgesetzes von der Regierung Orbán durch das Parlament gebracht. Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei regieren seit zehn Jahren und haben Budapest auch im Stadtbild ihren Stempel aufgedrückt. Der Platz vor dem Parlament sieht wieder aus wie in den 30er Jahren. Dabei ist Budapest jung und weltoffen. Das intellektuelle Herz Ungarns ist keine Fidesz-Hochburg. Bei den Kommunalwahlen im Herbst erlitt die Regierungspartei hier eine Niederlage.
Mit Gergely Karácsony wird erstmals ein Oppositionspolitiker Bürgermeister. "Das Kulturgesetz ist politische Willkür. Ein Gesetz, über das früher zwei Jahre lang verhandelt wurde, wird jetzt in zwei Tagen angenommen. Und im Grunde steht da drin: Wenn du Staatsgeld willst, dann einige dich mit dem Staat. Auf welcher Grundlage genau, wie viel Geld das bedeutet, was der Staat erwartet? Je nachdem, worauf die aktuelle Regierung so Lust hat!"
Regierung kürzt Stück für Stück Subventionen"Das ist einfach Rache, weil Budapest die Opposition gewählt hat. Denn hier gibt es die meisten Theater. Es ist ein wichtiges Merkmal von Budapest, wenn nicht das wichtigste überhaupt: das unheimlich bunte und reiche kulturelle Leben. Klar, dass sich die Regierung etwas ausdenken musste, um das zu unterbinden", sagt Róbert Alföldi. Er war Direktor des ungarischen Nationaltheaters. 2013 wurde er abgesetzt. Er hat verfolgt, wie die Regierung Stück für Stück die Subventionen gekürzt hat. "Ich kann vor allem über Theater sprechen. Aber es betrifft nicht nur die Theater, das betrifft auch die Kulturhäuser auf dem Land, es betrifft die kleinen Städte, wenn die Organisatoren dort versuchen, Qualitätskultur in die Stadt zu holen. Auch das konnte man durch dieses Geld möglich machen."
Von wagemutigem Theater zu antisemitischen TextenAm Nationaltheater hat Alföldi früher provokantes und wagemutiges Theater gemacht. Heute inszeniert sein Nachfolger ein Stück nach Texten des antisemitischen Heimatdichters Albert Wass. Ein Narr, der in den Wunden bohrt, ist unerwünscht. "In Ungarn gibt es Machthaber, die jede Fragestellung, jede Analyse, jedes wirkliche Gespräch, jeden Gedankengang über ein Thema - das kann ein Wirtschaftsthema oder ein konkretes Thema aus der ungarischen Geschichte sein - als Angriff empfinden. Und man wird gleich zum Heimatverräter erklärt", sagt Alföldi.
Am Abend spielt Alföldi in einem kleinen Privattheater, das nach der Streichung der Subventionen 90 Prozent seiner Mitarbeiter entlassen musste. Er gibt ausgerechnet einen skrupellosen Politikberater. Die Vorstellung ist ausverkauft.
MeToo-Fall als Begründung fürs neue KulturgesetzTheater sind in Ungarn wichtige Institutionen. Wie das Katona Theater - das jetzt ins Fadenkreuz der Regierung geraten ist. Es gab einen "MeToo-Fall", bei dem ein Regisseur Schauspielerinnen belästigt hat. Den nutzt die Regierung nun als Begründung für das neue Kulturgesetz. "Wir finden, dass dieser Fall Konsequenzen haben muss. Aber womöglich hätte die Gesetzesänderung auch davon unabhängig kommen können", sagt Kanzleramtsminister Gergely Gulyás. Der Fidesz mache es immer so, sagt Budapests Bürgermeister Karácsony. "Sie haben eine politische Absicht, sie finden irgendeinen Fall, der wird hochgespielt und dann sagen sie: Den muss man lösen und darum brauchen wir jetzt genau diese Veränderung."
Theaterleute setzen Hoffnungen in oppositionellen BürgermeisterDie Hoffnungen der Theaterleute in der Hauptstadt ruhen jetzt auf dem neuen Bürgermeister. Trotz seiner beschränkten Mittel setzen sie darauf, dass er sie freikauft. Große Erwartungen. "Wir streben eine Vereinbarung mit der Regierung an, durch die wir Theater, die großem politischen Druck ausgesetzt sind, aus der staatlichen Finanzierung herausretten", so Karácsony. "Die finanziert dann die Kommune. Bei den Häusern, um die es weniger politische Debatten gibt und an denen die Direktoren für lange Zeit ernannt sind, halten wir eine gemeinsame Finanzierung für eine reelle Option."
"Meiner Meinung nach wird die Hauptstadt nicht genug Geld haben, um alle Theater selbst zu betreiben. Bestimmte Theater werden sie gezwungenermaßen der Regierung überlassen", sagt Schauspieler und Regisseur Róbert Alföldi. Die Kommissarin der EU für Kultur, Mariya Gabriel, teilt "ttt" mit, dass die Personalpolitik an Theatern Sache der Mitgliedstaaten sei. Aber sie werde die Situation weiter beobachten.
(Beitrag: Sugárka Sielaff)
Stand: 12.01.2020 20:47 Uhr