Eigentlich sind Bakterien und Pilzkulturen im Essen meist unerwünscht. Doch wenn es um das zurzeit so beliebte Fermentieren geht, sind die kleinen Helfer unerlässlich. Bei Spitzenköchen gären neuerdings Grashüpfer vor sich hin. Und in deutschen Küchen reift selbst gemachtes Sauerkraut.
"Hilfe, es blubbert!" Solche Notrufe erhält Barbara Hosfeld in ihrer Fermentier-Facebook-Gruppe zuhauf. Die Antwort der Bloggerin besänftigt die unruhigen Hobbyköche: "Wer ein wildes Ferment ansetzt, muss damit rechnen, dass es sich auch wie ein solches benimmt", sagt sie. Soll heißen: Es lebt! Aber was genau lebt denn da in diesen mit Kraut und allerlei Gemüse gefüllten Einmachgläsern? Na, Mikroorganismen, und zwar die guten, nicht die bösen.
Fermentation, das klingt kompliziert, und das ist es im Großen und Ganzen auch. Im Kleinen wussten unsere Großeltern noch eine Menge darüber. Zuletzt ist dieses Wissen allerdings verloren gegangen. Dabei ist das Prinzip bekannt: Lassen wir ein Nahrungsmittel länger stehen, verändert es sich. Mikroben, also Bakterien, Hefen oder Schimmelpilze, machen sich daran zu schaffen. Unsere Nahrung kann dadurch verderben, unter bestimmten Umständen aber auch ihren Geschmack zum Positiven ändern und reicher an wertvollen Inhaltsstoffen werden.
Fermentierte Lebensmittel hat jeder zu Hause: Brot, Bier, Wein, Joghurt, Käse, Salami - und natürlich Sauerkraut, das Paradebeispiel schlechthin. Die meisten von uns kennen es nur noch aus der Dose. Doch zurzeit machen sich viele Menschen ihr Sauerkraut wieder selbst. Vor allem in den USA wird derzeit vielerorts fermentiert, was experimentierfreudige Köche in die Finger bekommen. Da werden Gurken, Kohl oder Rettiche in Salzlaken eingelegt, im Keller gärt Honigwein, im Schuppen reifen Wurst und Käse.
"Fermentos" nennen sich die Anhänger dieser alten Methoden. "Do it yourself", mach es selbst, heißt ihre Devise - und das ausgerechnet in einem Land, in dem die industrielle Fließbandherstellung von Lebensmitteln quasi erfunden wurde.
In Europa gehen die Spitzenköche vorneweg, vor allem die Vertreter der neuen skandinavischen Küche, in der nur gegessen wird, was die Natur vor der Haustür hergibt. Das ist im langen nordeuropäischen Winter nicht besonders viel, also wird in den wärmeren Monaten konserviert und fermentiert. In Schweden würzt der junge Aufsteiger Magnus Nilsson im "Fäviken Magasinet" seine Gerichte mit eingelegten Pflanzen. Im Kopenhagener "Noma" kredenzt René Redzepi seinen Gästen gar eine fermentierte Soße aus pürierten Grashüpfern.
Auch deutsche Köche nutzen das Verfahren. Heiko Antoniewicz, bekannt für seine ausgefallenen Kochtechniken, widmete sich zuletzt in seinem preisgekrönten Buch "Fermentation" dem Thema. In Paleo-Restaurants, in denen nur auf den Tisch kommt, was unsere Vorfahren auch schon in der Steinzeit gegessen haben, ist die Fermentation ebenfalls ein großes Thema. In Asien haben die Menschen nie damit aufgehört. Das koreanische Kimchi, das aus vergorenem Gemüse erzeugt wird, bringt so manche Nase an ihre Grenzen.
Das Fermentieren erlernen Interessierte auf Internetseiten wie Barbara Hosfelds Blog wildefermente.de. In Facebook-Gruppen tauschen sich "Fermentierer" untereinander aus. "Am Anfang haben die meisten einen gewissen Respekt", sagt Hosfeld. Kein Wunder, schließlich steht das wilde Spiel von Mikroorganismen im krassen Gegensatz zu den keimarmen Industrielebensmitteln unserer Zeit. Woher soll man schon wissen, dass da keine Krankheitserreger im Spiel sind?
Erreger haben keine Chance"Wenn man das Grundprinzip befolgt, kann eigentlich nicht viel schiefgehen", sagt Hosfeld. Beim Kraut bedeutet das, dass der klein geschnittene Kohl nach und nach mit ausreichend Salz in ein Gefäß gestopft wird. Das Salz und das Quetschen entzieht dem Gemüse die Flüssigkeit. Es entsteht eine Lake. In diesem sauren Milieu haben Erreger wie etwa das gefürchtete Clostridium botulinum keine Gelegenheit, sich zu vermehren. Stattdessen übernehmen Milchsäurebakterien die Regie.
Beim Gärprozess entstehen dabei wertvolle Vitamine. Sauerkraut hat mehr Vitamin C als Weißkohl im rohen Zustand. Und es ist viel länger haltbar. Kein Wunder also, dass es bei Seefahrern, die früher oft unter der Vitaminmangelkrankheit Skorbut litten, sehr beliebt war. Der englische Entdecker James Cook hatte es als Erster fässerweise mit an Bord.
Unterstützung für "gute" BakterienNeue Untersuchungen haben zudem belegt, dass einige Mikroben, die wir mit fermentierten Lebensmitteln zu uns nehmen, sich gut mit unseren eigenen Mikroorganismen im Darm vertragen und ergänzen. "Da kommen einige an", bestätigt der Bonner Lebensmittelmikrobiologe Prof. André Lipski. Als Allheilmittel sollte man fermentiertes Essen dennoch nicht betrachten. "Gesunde Ernährung besteht immer aus einer Mischung." Wer sich also nur von Joghurt ernähre, werde mit der Zeit ebenfalls Mangelerscheinungen spüren.
Für die promovierte Biologin Hosfeld sollten fermentierte Lebensmittel in der Ernährung trotzdem generell eine wesentlich wichtigere Rolle spielen. Multiple Sklerose, Morbus Crohn, Rheuma: "Fast alle neuen Zivilisationskrankheiten sind Autoimmunerkrankungen", sagt die Expertin. Dass ein gestörter Bakterienhaushalt im Darm, bedingt durch Antibiotika, Alkohol oder aufgenommene Chemikalien, dabei eine ursächliche Rolle spielt, wird neuesten Studien zufolge immer wieder deutlich.
"Wir haben lange Zeit alles dafür getan, gute wie schlechte Bakterien niederknüppeln", sagt Hosfeld. Das blubbernde Einmachglas im Küchenschrank könnte ein weiterer Schritt zu einer gesunden Ernährung sein. Wenn es uns dann auch noch besser schmeckt als die Fertigware aus der Dose, ist doch eigentlich alles bestens.
Schritt für Schritt zum Sauerkraut
Weißkohl klein schneiden oder hobeln und in eine Schüssel geben. Pro Kilogramm Kohl 20 Gramm Salz dazugeben. Nach Geschmack Kümmel und Wacholder untermengen. Den zerkleinerten Kohl mit dem Salz ordentlich verkneten, damit Flüssigkeit austritt. Das Kraut sehr fest in ein Einmachglas mit Gummiverschluss oder einen Gärtopf stopfen, bis es sich komplett unter der Lake befindet. Im Glas idealerweise Gewichte auflegen, damit der Inhalt unter der Flüssigkeit bleibt. Das Glas zumachen, den Gärtopf möglichst luftdicht mit einem Brett verschließen und mit einem Stein beschweren. Zwei Tage bei Raumtemperatur stehen lassen, danach für sechs Wochen an einen kühleren Ort stellen. Original