1 subscription and 0 subscribers
Article

Auslieferung an Spanien: Wie Carles Puigdemont freikommen könnte

Es ist so etwas wie die Vorgeschichte zu dem Dilemma, das die norddeutschen Justizbehörden nun im Fall Carles Puigdemont bewältigen müssen: Im vergangenen Dezember nahm der spanische Richter Pablo Llarena den Haftbefehl gegen den katalanischen Separatisten zurück. Zuvor musste er heikle Entscheidungen treffen.

Sollte er den berühmten Anführer der Katalanen nur wegen kleinerer Delikte bestrafen? Dessen Gehilfen hingegen wegen Rebellion jahrelang ins Gefängnis stecken? Das kam für den Richter nicht in Frage. Also kassierte er den Haftbefehl, als sich abzeichnete: Belgien, wohin sich Puigdemont abgesetzt hatte, würde den abgesetzten katalanischen Präsidenten wohl nicht wegen möglicher Rebellion ausliefern. Auf diesem Tatbestand stehen in Spanien bis zu 30 Jahre Haft.

In diesem Fall hätte Llarena Puigdemont auch nur wegen geringfügigerer Anklagepunkte den Prozess machen können. Es wäre jedoch ein merkwürdiges Verfahren geworden: Untergeordnete Ex-Minister hätten sich wegen Rebellion verantworten müssen - nicht aber ihr Chef, das Gesicht der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung.

Dieses Szenario fürchtete der Richter. Und er hielt seine Gedanken fest: in der Begründung für die Rücknahme des Haftbefehls. Falls Belgien sich wirklich weigern würde, schrieb Llarena am 5. Dezember, könne es geschehen, dass "die Verfolgbarkeit der flüchtigen Beschuldigten" eingeschränkt werde. Dies würde das Verfahren erschweren. Und: Die nicht geflohenen Mitstreiter Puigdemonts, "die sich diesem Untersuchungsrichter zur Verfügung stellen", würden "so unter schlechteres Recht gestellt als die Flüchtigen".

Alles hängt am Oberlandesgericht in Schleswig

Derselbe Richter Llarena hat am vergangenen Freitag einen neuen EU-Haftbefehl erlassen. Prompt nahm die Polizei Puigdemont in Schleswig-Holstein fest. Aber ob Llarena sein Ziel in diesem erneuten Anlauf erreichen wird, ist völlig offen.

Alles hängt am Oberlandesgericht in Schleswig. Es wird demnächst über Puigdemonts Auslieferung entscheiden. Aber nur wenn es Puigdemonts Handeln als Hochverrat im Sinne des deutschen Strafrechts einstuft, kann Llarena gegen Puigdemont wegen Rebellion prozessieren. Liefern die Deutschen ihn nicht wegen des Hauptanklagepunkts aus, hat Llarena genau dasselbe Problem wie im Dezember.

Im Grundsatz sind sich die Rechtsexperten einig: Deutschland wird Puigdemont wahrscheinlich ausliefern müssen - wegen des Vorwurfs der Veruntreuung öffentlicher Mittel. Laut EU-Haftbefehl steht ihnen eine inhaltliche Prüfung der Vorwürfe nicht zu. Sie müssen vor allem untersuchen, ob die in Frage kommende Handlung auch hierzulande strafbar ist. Im deutschen Strafgesetzbuch gibt es einen solchen Paragrafen: die Untreue (§ 266 StGB).

Längst nicht so eindeutig ist die Lage beim Hauptvorwurf: Rebellion. Hier hat das deutsche Strafrecht zwar einen ähnlichen Paragrafen, den "Hochverrat gegen den Bund" (§ 81 StGB). Dieser ist aber nicht Eins zu Eins mit der "Rebelión" nach spanischem Recht vergleichbar. Zudem fordert der Tatbestand Hochverrat den Einsatz von Gewalt. Und Puigdemont hat nie Gewalt eingesetzt oder dazu aufgerufen. All das wird den deutschen Behörden zu denken geben, ob sie ihn wegen Hochverrat/"Rebelión" ausliefern.

Eine Auslieferung wegen Rebellion ist keinesfalls beschlossene Sache

"Die Auslieferung wegen Untreue bereitet als solche kaum Probleme", sagt Oliver Garcia. "Eine Auslieferung wegen Rebellion beziehungsweise Hochverrat nach deutschem Recht sehe ich allerdings nicht." Der deutsche Jurist ist Herausgeber der Datenbank dejure.org - und hat den Fall Puigdemont in den vergangenen Monaten wiederholt rechtlich durchleuchtet.

Dass die Auslieferung wegen Rebellion keinesfalls beschlossene Sache ist, deutet auch der Beschluss des Amtsgerichts Neumünster an. Aufgabe der Richterin war zunächst nur, zu prüfen, ob das Auslieferungsgesuch Spaniens auf den ersten Blick erkennbar rechtswidrig war.

Allerdings schränkte die Richterin ihren Beschluss ohne Not ein. Sie schreibt in der Begründung: "Ohne Frage bietet der Inhalt des europäischen Haftbefehls Anhaltspunkte dafür, dass die Auslieferung des Verfolgten bei umfassender Prüfung unter Abwägung der betroffenen Rechtsfragen im Ergebnis als unzulässig bewertet werden könnte." Übersetzt: Wäre es an der Richterin, zu entscheiden, hätte sie sich möglicherweise nicht für die Auslieferung Puigdemonts entschieden - erst recht nicht wegen Rebellion.

Und was geschähe in diesem Fall? "Wenn sich die Argumentation des Richters nicht grundlegend geändert hat", sagt Experte Garcia, "ist es durchaus wahrscheinlich, dass er den zweiten Haftbefehl zurückzieht."

Das hieße: Carles Puigdemont wäre wieder ein freier Mann.

Im Video: Puigdemont-Festnahme - Entscheidung über Auslieferung nach Ostern

Original