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#diesealtenleute: Die schreckliche Wucht der Babyboomer

Wie lähmend die Auseinandersetzung mit den Alten sein kann, bekam Kevin Kühnert erstmals mit Anfang zwanzig zu spüren. Der heutige Juso-Vorsitzende wollte sich bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus als Direktkandidat aufstellen lassen, sein SPD-Ortsverein kam in einer Seniorenfreizeitstätte in Berlin-Lichtenrade zusammen.

Ob er nicht erst mal klein anfangen wolle, fragten anwesende Genossen, Altersschnitt: um die sechzig. Er sei ja noch so jung! "Ich würde vorschlagen, wir nominieren den Kevin erst mal für die Bezirksverordnetenversammlung", sagte einer. Das könne er ja fünf Jahre lang machen, "dann sehen wir weiter". So erzählt es Kühnert.

Das war im Herbst 2010. Schon damals war Kühnert nicht irgendein Neugenosse, sondern stellvertretender Vorsitzender der Berliner Jungsozialisten. Als Respektlosigkeit habe er die Bemerkungen seiner Parteikollegen empfunden, sagt Kühnert. "Das waren die Spielregeln älterer Herrschaften, von denen viele nur zur Weihnachtsfeier auftauchten."

Heute ist Kühnert, 28, Chef der Jusos in Deutschland. Seit er auf dem SPD-Sonderparteitag gegen die Große Koalition opponierte, ist sein Name auch Menschen außerhalb des politischen Betriebs ein Begriff. Für viele Ältere in der SPD ist er trotzdem noch immer der Kevin und sein Aufstand nicht mehr als eine jugendliche Übersprungshandlung. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks sagte, dass Kühnert nun erst mal sein Studium abschließen und zu arbeiten anfangen werde, bevor er in der Partei Karriere mache. Der Fall Kühnert hat eine Debatte um den Umgang der Parteien mit ihrem Nachwuchs ausgelöst.

Besonders die Volksparteien mit ihren großen, trägen Apparaten haben ein Problem. Nach einem Aufruf des Onlinemagazins bento, das zur SPIEGEL-Gruppe gehört, teilten Jungpolitiker unter dem Hashtag #diesejungenleute ihre Erlebnisse. Ihre Reaktionen zeigen, wie herablassend viele Ältere den Jungen gegenüber auftreten und wie schwer sich die Parteien mit jener Erneuerung tun, die sie öffentlich fordern.

Jamila Schäfer, 24, gilt als eines der größten Talente der Grünen, auf dem Parteitag Ende Januar wurde sie zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. Nach der Wahl habe ein älterer Parteikollege, so erinnert es Schäfer, zu ihr gesagt: "Mensch, wer hätte denn das gedacht? Eine 24-Jährige im Bundesvorstand. Aber Glückwunsch." Schon vorher fühlte sich Schäfer in Sitzungen nicht selten ignoriert: "Oft haben die Verantwortlichen so getan, als wäre ich gar nicht da", sagt sie. "Da guckt der erfahrene Spitzenpolitiker einfach weiter auf sein Handy."

Diese Art von Arroganz trifft junge Politiker auf allen Ebenen, in der Bundespolitik genauso wie im Ortsverband, wo sie es eigentlich leichter haben, weil es dort noch weniger von ihnen gibt als in den Städten. Als Daniel Matulla, 30, seinen Parteikollegen erzählte, dass er sich für die CSU-Akademie bewerben wolle, ein Programm für talentierte Nachwuchskräfte, habe er zu hören bekommen: "Geh doch erst mal Plakate kleben." Immerhin ist Matulla heute Vorsitzender der CSU in Roth bei Nürnberg, in jenem Ortsverband, in dem man ihm damals den gut gemeinten Ratschlag gab.

Dass viele ältere Parteimitglieder jung mit dumm gleichsetzen, wurde der Berliner Jusovorsitzenden Annika Klose, 25, in einer ihrer ersten Sitzungen auf Kreisebene klar. Die Runde habe über ihren Antrag zur Gleichstellungspolitik diskutiert, als ein älterer Genosse sie angefahren habe: Sie sei zu dumm, um sein Gegenargument zu verstehen.

Niemand im Raum habe sie in Schutz genommen, auch sie selbst habe sich kaum gewehrt. "Ich wollte nicht gleich zu Beginn Chefanklägerin für ein strukturelles Problem sein." Heute würde sie es anders machen, sagt sie. Immer wieder komme es vor, dass ältere Parteikollegen die angeblich "fehlende Lebenserfahrung" anführten, wenn sie ihr widersprächen. "Als seien wir Jungen Utopisten und Traumtänzer und müssten uns von denen sagen lassen, wie der Hase läuft."

Auch wenn CDU und SPD im Wahljahr 2017 mehr Neueintritte verzeichneten: Die Volksparteien schrumpfen seit fast 30 Jahren kontinuierlich. Erfahrungen wie jene von Annika Klose zeigen, dass die Jungen der Parteien vielleicht auch deshalb überdrüssig sind, weil sie dort von oben herab behandelt werden und nichts zu sagen haben.

Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann spricht von einer "generationalen Echokammer", in der die älteren Jahrgänge einander in ihrer skeptischen Haltung gegenüber den Jungen bestätigen würden. Zwar wurden auch diejenigen, die heute über fünfzig sind, vermutlich einmal aufgrund ihres Alters belächelt. "Aber durch die Anzahl der Babyboomer entwickelt sich eine schreckliche Wucht", glaubt Hurrelmann.

Die Parteien werden von Menschen dominiert, die meist in den Siebziger-, Achtziger- oder Neunzigerjahren eintraten und sich nun auf Posten und in Gremien breitgemacht haben. Im aktuellen Bundestag stammt fast die Hälfte der Abgeordneten, 347 von 709, aus den Jahrgängen 1955 bis 1969. Das Durchschnittsalter im SPD-Parteivorstand liegt bei 49 Jahren, im Vorstand der CDU bei 56 Jahren. Im Gremium der SPD sind nur zwei Politiker unter 35, bei der CDU niemand.

Wenn die SPD den 39-jährigen Lars Klingbeil zu ihrem Generalsekretär wählt, dann ist das allenfalls eine geringfügige Verjüngung. Aber es ist kein Generationenwechsel, der doch dazu beitragen könnte, dass die Anliegen der jungen Wähler wie eine andere Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik eine stärkere Lobby bekommen. "Wenn in den Parteien in zwei, drei Jahren nicht wieder mehr junge Menschen mitarbeiten, haben wir ein Problem", sagt Generationenforscher Hurrelmann. Er fürchtet, dass dann noch weniger junge Deutsche zur Wahl gehen.

Clemens Holtmann, 28, wollte in die Politik, um etwas zu bewegen. Er überlegte, in die SPD einzutreten, und ging zu mehreren Ortsvereinssitzungen in Berlin-Prenzlauer Berg. "Ich wollte verhindern, dass die Menschen im Mittelmeer ertrinken", sagt Holtmann. Stattdessen habe man im Ortsverein nur über die Neugestaltung einer Straßenkreuzung geredet. Holtmann war enttäuscht über so wenig Einflussmöglichkeiten. Mit Gleichgesinnten gründete er seine eigene Partei: "Demokratie in Bewegung". Bei der letzten Bundestagswahl erhielt sie 60.000 Stimmen.

Scheuen die Jungen den mühsamen Weg, den eine Parteikarriere mit sich bringt? Machen sie es sich zu leicht? Ist das jene Anspruchshaltung, die die Babyboomer den Millennials so gern vorwerfen?

Fest steht, dass die Organisation der Parteien in Ortsvereine, Bezirksverbände et cetera ein Modell der Nachkriegszeit ist. Der Lebensrealität vieler junger Menschen, die heute hier studieren und morgen dort arbeiten, entspricht das nicht mehr. Und in der Kommunikation hinken die Parteien hoffnungslos hinter dem zurück, was junge Menschen aus ihrem Alltag gewohnt sind.

Diana Kinnert ist 26 Jahre alt, konservativ, aber mit Baseballcap. Wenn die CDU zeigen will, wie modern sie ist, dann wird gern Kinnert vorgeschickt. Kinnert hat gelernt, das für sich zu nutzen. Sie geht in Talkshows und hat ein Buch geschrieben: "Für die Zukunft seh' ich schwarz". In der Wirtschaftswelt würden Unternehmen schnell merken, wenn etwas schieflaufe, sagt Kinnert. "Die Parteien haben trotz sinkender Mitgliederzahlen einfach 20 Jahre so weitergemacht."

2014 holte Generalsekretär Peter Tauber, 43, sie in seine Parteireformkommission. Dort leitete sie die Arbeitsgruppe "Jugend". Zwei der Ergebnisse nach mehr als drei Jahren: CDU-Mitglieder können sich nun über eine App miteinander vernetzen. Und es gibt Skype-Konferenzen, damit die Parteiführung wegen einer kurzen Ansprache nicht gleich durchs ganze Land reisen muss. Kinnert spricht von "kleinen Schritten".

Auch SPD-Chef Martin Schulz versprach nach dem Desaster bei der Bundestagswahl einen Erneuerungsprozess. Generalsekretär Klingbeil soll den Wandel vorantreiben. Bis Ende 2018 will er unter anderem über Onlineforen nachdenken, die eine digitale Alternative zum Ortsverein sein und ein Engagement unabhängig vom Wohnort ermöglichen sollen.

Den Einfluss junger Politiker in den Gremien stärken solche Initiativen nicht unbedingt. Dazu müssten die Parteien den Nachwuchs gezielter fördern, wie sie es in der Vergangenheit auch schon mit ihren weiblichen Mitgliedern getan haben.

Die Jusos plädieren dafür, dass in jedem Vorstand, vom Ortsverein bis zur Parteispitze, künftig eines ihrer Mitglieder sitzt. "Es geht darum, überhaupt am Informationsfluss beteiligt zu werden", sagt Juso-Chef Kühnert. Auf dem Parteitag im Dezember wurde mit Johanna Uekermann erstmals eine gerade ausgeschiedene Juso-Vorsitzende ins SPD-Präsidium gewählt.

Auf dem Parteitag ging es auch um den Antrag von SPD++, einer Gruppe junger, digitalaffiner Genossen. Jeder vierte Posten in den Führungsgremien auf Bundes- und Landesebene und jeder fünfte Listenplatz müsse an einen Kandidaten unter 35 gehen, so ihre Forderung. Der Vorschlag war unter den Delegierten so unpopulär, dass darüber gar nicht erst abgestimmt wurde.

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