Bei allen Wendungen der letzten Jahre, ja eigentlich schon Jahrzehnte, blieb Martin Gretschmann immer seinem Grundprinzip der verspielten Verspultheit treu. Das war bei seinen stilbildenden Beiträgen zu The Notwist genauso wie bei der aufgekratzten Electronica von Console. Und es gilt umso mehr für seine Veröffentlichungen als Acid Pauli, die im Kurzformat meist den Dancefloor ansteuern, sich dafür auf Albumlänge mit den konzeptionellen Grundlagen elektronischer Clubmusik beschäftigen. So arbeitete sich Gretschmann nach dem Rummel um das Debüt Mst auf dem Zweitwerk BLD an Break-Samples ab, ohne ein einziges Mal eine Kickdrum zu benutzen. Das Ergebnis klang wie ein in Dub getauchter Jahrmarkt: Warm, bunt und berstend voll mit Eindrücken. Das Erstaunliche am Nachfolger MOD ist nun, dass er stimmungsmäßig genau dort weitermacht, nur auf einer komplett anderen Grundlage: Statt auf Break-Samples basiert das Album auf modularen Patterns und Loops, denn es ist, wie der Name bereits andeutet, Acid Paulis Hommage an die Modularsynthesizer-Szene. Auch hier herrscht diese grundwohlige Jahrmarkt-Stimmung, die ineinander- und übereinanderlaufenden Soundstrukturen erzeugen bisweilen mitreißende Grooves. Und auch hier wurde die Kickdrum fast gänzlich herausgehalten, nur um im letzten Track dann doch noch ihren Auftritt zu bekommen. Dieser wiederum verläuft so unspektakulär als sanfte Untermalung des ganzen Rummels, dass der Tracktitel auch als Ergebnis des zwei Alben dauernden Kickdrum-Experiments herhalten kann: „No Kick, No Cry". Verspielter kann man musikalische Grundstrukturen kaum offenlegen, verspulter wahrscheinlich auch nicht.
Original
Steffen Kolberg
Zürich
Review