Im Solarium "Sonnen-Oase" läuft Salsa-Musik. Kleine Engelsfiguren stecken in den Blumenkübeln, der Kaktus auf einem runden Tisch trägt einen blauen Mini-Sombrero, Sabine M. eine pinke Daunenjacke, dazu weiße Hosen und eine rosafarbene FFP2-Maske. Ihr Teint erinnert an Donatella Versace und ist hart erarbeitet mit regelmäßigen Besuchen auf der Sonnenbank. Die Frage, ob sie gegen geimpft ist, hat sich damit schon erledigt. Natürlich, zwei Dosen plus Booster. Das Solarium, die Gaststätten, die regelmäßigen Reisen nach Österreich, darauf will die 52-jährige Zahnarzthelferin nicht verzichten. Und überhaupt: "Als Säugling hat man sich ja auch nicht wehren können", sagt sie. "Da wird alles reingeschossen. Von Pocken über Masern." Impfeuphorie klingt anders, Impfskepsis aber auch.
Es ist der Donnerstag vor Weihnachten in der bayerischen Gemeinde Hausham, Landkreis Miesbach, etwa 50 Kilometer südlich von München. Vor wenigen Wochen noch herrschte hier eine Sieben-Tage-Inzidenz von über 1000, in lagen die Impfquoten deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) spekulierte in Talkshows über einen Zusammenhang zwischen Impfskepsis, genetischer bajuwarischer Sturheit und hoher Dichte von Heilpraktikern am Alpenrand. Sein Vize Hubert Aiwanger von den Freien Wählern war schon Monate zuvor als einzig ungeimpftes Kabinettsmitglied in den Schlagzeilen. Und der Miesbacher Landrat Olaf von Löwis berichtete Anfang November der Münchner Abendzeitung erschrocken, dass er von "Leberkäspartys" in seiner Region gehört habe, bei denen ein infizierter Gastgeber seine Gäste anstecke, damit diese sich so die Impfung ersparen könnten.
Zeit für einen Besuch vor Ort, jetzt, da Omikron im Landkreis angekommen ist.
Vom Haushamer Bahnhof aus ist das Alpenpanorama zu sehen. Die Gipfel schimmern weiß, die Schneereste im Ort sind grau. 8000 Einwohner, Bauern- und Einfamilienhäuser, ein wenig Spätbarock und mittendrin ein Förderturm, eine Erinnerung an die Zeiten, als hier Pechkohle abgebaut wurde.
Die Erste, die sich nach dem Besuch im Solarium auf ein Gespräch einlassen will, ist eine Frau mit brauner Jacke und Hund an der Leine, die nur ihren Vornamen und den ihres Chihuahuas nennen will. Eva geht gerade Gassi mit Scaca und grüßt im Vorbeigehen andere Hundebesitzer. Redet man miteinander über Pandemie, BioNTech und Booster? "Nein, das ist Tabuthema. Die Haushamer sind mit sich selbst beschäftigt." Auch unter ihren Nachbarn frage niemand nach dem Impfstatus. "Es herrscht gute Stimmung, solange das Treppenhaus sauber und der Hund leise ist."
In dem Café zwischen Supermarkt und Postfiliale werden digitale Impfnachweise und Personalausweise gewissenhaft kontrolliert, die Schutzmasken sitzen eher unter der Nase. Nicht jeder will Fragen einer Journalistin beantworten, zunächst auch nicht die Frau mit Strasssteinen auf der schwarzen Mütze, die auf dem Weg zum Einkaufen ist. "Über das Impfen redet man nicht", sagt sie. Und tut es dann doch. Ihre "Quellen" hätten ihr erzählt, dass für die Herstellung der Impfstoffe abgetötete Föten verwendet würden. Also lässt sie sich nicht immunisieren? Auf die Frage will sie nicht antworten. Sie habe nichts gegen Medizin und Wissenschaft, sie habe ja selbst in der Pflege mit Menschen mit Behinderungen gearbeitet. "Aber das heißt nicht, dass die Forschung nicht an ihre Grenzen stößt", sagt sie. "Man muss prüfen, was wahr ist." Ihren Namen will sie nicht nennen. Nur ihr Alter: 53.
100.183 Einwohner hat der Landkreis , 71.069 seien erstgeimpft, fast 69.000 hätten beide Dosen und knapp 41.000 bislang einen Booster erhalten, erklärt eine Sprecherin des Landratsamtes per Mail. Das entspricht ungefähr dem bayerischen Durchschnitt. Der liegt immer noch deutlich über dem von Sachsen oder Thüringen, aber auch deutlich unter dem von Nordrhein-Westfalen, Bremen oder Schleswig-Holstein. Liegt's wirklich an der höheren Dichte von Heilpraktikern, wie der Ministerpräsident glaubt? Man könne nur zu Fakten Auskunft geben, schreibt die Sprecherin, "nicht zu persönlichen Einschätzungen".
Zum Impfzentrum für den Landkreis Miesbach geht es an der Autowaschanlage vorbei und unter der Brücke hindurch bis zum Ortsende von Hausham. Dort hat man sich in den vergangenen Monaten einiges einfallen lassen. Im Sommer wurde eine "Happy Hour" eingeführt, täglich konnten sich Leute von 17 bis 20 Uhr ohne Voranmeldung die Vakzine ihrer Wahl spritzen lassen. Seit Dezember gibt es Seniorentage für Menschen über 70. Ein mobiler Impfbus fährt kleinere Gemeinden an. Vor dem Impfzentrum schützt ein Tunnel die Wartenden vor Wind und Wetter.
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An diesem Freitagnachmittag stehen rund 30 Menschen in der Schlange, ganz hinten drei junge Männer mit neongelben Arbeitsjacken, die sich Zigaretten anzünden. Der Chef ihres Kfz-Betriebs hat ihnen für den Impftermin freigegeben. David, 18, und Peter, 16, holen sich heute die zweite Dosis ab. Alex, 20, bekommt seine erste Impfung.