Wie wäre es, wenn jeder Mensch jeden Monat einen festen Betrag auf dem Konto hätte und niemand dafür etwas tun müsste? Das ist die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Ein Forschungsprojekt will nun testen, welche Effekte das Grundeinkommen hat und sucht aktuell wieder nach Freiwilligen, die drei Jahre lang 1.200 Euro überwiesen bekommen sollen. Bis zum 10. November kann sich jederonline bewerben. Bereits seit dem Jahr 2014 verlost ein Verein aus Berlin solche Grundeinkommen in Höhe von 1.000 Euro an bisher mehr als 650 zufällig ausgewählte Menschen. Doch es gibt auch Vorbehalte. Finanzminister Olaf Scholz und auch der Arbeitsminister Hubertus Heil sind beispielsweise dagegen. Sie fürchtendie Kosten und Menschen, die dann nicht mehr arbeiten und sich lieber ausruhen. Doch würden sie das wirklich? Hier berichten drei Menschen, die das Grundeinkommen bereits erhalten haben, was sich damit für sie verändert hat.
"Ich habe sofort gekündigt"Michael Görmar-Paarsch, 41, freiberuflicher Darsteller aus Leipzig
Schon seit Jahren wollte ich eine Veränderung, doch die Monate vergingen und es blieb alles beim Alten. Dann kam der Anruf von einen Freund, der gesehen hat, dass ich gewonnen habe und ich wusste: jetzt oder nie! Drei Tage, nachdem ich das Grundeinkommen gewonnen hatte, habe ich meine Personalchefin angerufen und meinen Job sofort gekündigt. Sie hatte mich zwölf Jahre vorher als einen der ersten männlichen Erzieher der Stadt Leipzig eingestellt. Doch die Arbeit im Kindergarten hat mir schon länger keine Freude mehr gemacht. Es war immer das Gleiche. Ich war schon länger demotiviert deswegen. Den Gewinn sehe ich als himmlischen Tritt in den Allerwertesten an, denn erst durch das monatliche Grundeinkommen habe ich gewagt, mir meinen Traum zu erfüllen: Ich habe mich als Darsteller auf Mittelaltermärkten selbstständig gemacht.
Ich verdiene nun als "Bruder Ignatius" mein Geld. Denn auf den Märkten spiele ich diesen Charakter, einen Ablasshändler aus dem Mittelalter. Ich verkaufe dort an einem Stand 36 verschiedene Briefe, die das Leben erleichtern und von Sünden befreien sollen. Wie im 15. und 16. Jahrhundert, als es in der katholischen Kirche noch Ablassbriefe gab. Natürlich sind sie bei mir ein bisschen anders. Mein Verkaufsschlager ist zum Beispiel der Brief für Sauferei und Völlerei. Demnach darf hundert Tage lang niemand meckern, wenn man selbst saufen, fressen oder rauchen war. Das kostet dann fünf Euro. Für vergessene Hausaufgaben gibt es einen Rabatt. Schülerinnen und Schüler haben ja noch nicht so viel Taschengeld. Nur der General-Ablassbrief kostet ein bisschen mehr, 50 Euro, aber der gilt auch ein Leben lang. Ich denke mir immer neue verrückte Dinge aus. Das macht mir Spaß.
Das erste Mal bin ich vor fünfzehn Jahren als dominikanischer Mönch bei einem Jubiläum in meiner Heimat aufgetreten. Ich komme aus dem kleinen Ort Ablass. Auf die Idee, Ablassbriefe zu verkaufen, ist mein Vater gekommen, er meinte, dass ich gut reden kann. Wir haben Briefe mit schwarzem Tee gefärbt und eine Schuhputzkiste umgebaut. Bruder Ignatius war geboren und ich wollte die Idee weiterspinnen. Seitdem war ich an Wochenenden auf Mittelaltermärkten unterwegs und habe meinen fiktiven Charakter weiterentwickelt. Mittlerweile gebe ich auch Trauungen und nehme Beichten ab, aber bisher haben nur zwei Menschen das Angebot angenommen. Die brauchten jemanden zum Reden, ich habe ihnen zugehört und kein Geld dafür kassiert.
"Wegen Corona habe ich nichts verdient. Da war das Grundeinkommen eine wichtige Stütze" Michael Görmar-PaarschAls Erzieher habe ich so viel verdient, dass es knapp für die Finanzierung meiner Familie reichte. Wenn es auf dem Mittelaltermarkt gut läuft, dann kann es doppelt so viel wie mein früheres Gehalt sein. Wenn schlechtes Wetter ist oder die Leute keine Lust haben, Geld auszugeben, dann verdiene ich weniger. Wegen Corona habe ich nichts verdient, weil alle Märkte und Veranstaltungen ausgefallen sind. Da war das Grundeinkommen eine wichtige Stütze.
Durch das Grundeinkommen konnte ich meinen Stand umbauen, der jetzt wie ein kleines Kloster aussieht. Einen Teil der 1.000 Euro, die ich zwölf Monate bis zum Dezember 2019 bekam, habe ich für schwierige Zeiten weggelegt. Und die kamen durch Corona schneller als gedacht. Drei Monate lang konnte ich die wegfallenden Veranstaltungen damit überbrücken. Erst als das Geld aufgebraucht war, habe ich dann Arbeitslosengeld beantragt. Das Grundeinkommen hat mir in der schwierigen Zeit geholfen und ich musste nicht sofort zum Staat gehen, um Hilfe zu bekommen. Wenn ich das Geld immer noch bekommen würde, dann bräuchte ich gar keine staatliche Unterstützung. Mittlerweile laufen auch wieder die Märkte an, natürlich ist es anders mit den Hygienemaßnahmen, aber ich freue mich, dass es überhaupt wieder losgeht.
Ich habe drei Kinder, sie sind sieben, zehn und zwölf Jahre alt. Meine Frau ist als Projektmanagerin oft auf Reisen. Heute ist sie weniger unterwegs, bekommt aber ein festes Gehalt. Wie bei jeder normalen Familie sprechen wir uns ab, wer die Kinder aus der Schule abholt oder das Mittagessen kocht. Durch meine Selbstständigkeit hat sich auch in der Familie etwas verändert. Ich arbeite jedes Wochenende, aber wir finden gemeinsame Zeit.
"Ich will nicht zurück in meinen alten Alltag im Kindergarten" Michael Görmar-Paarsch
Ich will nicht zurück in meinen alten Alltag im Kindergarten. Und ich bereue nicht, dass ich meinen sicheren Job aufgegeben habe, denn ich fühle mich als mein eigener Chef viel besser. Die Urgroßmutter meiner Kinder hat das nicht ganz verstanden, sie war sich sicher, dass ich nach einem Jahr wieder als Erzieher arbeiten würde, wenn das Grundeinkommen nicht mehr auf mein Konto eingeht. Doch ich bin nun in einem neuen Lebensabschnitt, den mir das Geld ermöglicht hat. Und ich wünsche mir, dass viele Menschen die Chance dazu bekommen, ihr Leben zu verändern. Egal, ob sie viel oder wenig verdienen, ob sie viel oder wenig besitzen. Alle sollten eine solche finanzielle Sicherheit bekommen, um noch mal neu anfangen zu können.