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Wie es wirklich ist seinen besten Freund mit Corona anzustecken.

Es gibt bis heute keinen Nachweis, dass ich wirklich Corona hatte. Aber mein bester Freund wäre fast daran gestorben, und ich bin sicher, er hatte es von mir. 

Dabei habe ich das Virus früh ernst genommen. Mein Bruder arbeitet als Krankenpfleger. Er warnte mich schon im Februar, wie gefährlich es ist. Ich habe mir seitdem ständig die Hände gewaschen. Und im Supermarkt die Maske aufgesetzt, die er mir geschickt hatte. Im Büro trug ich sie nicht. Da war ich in Kontakt mit einem Kollegen, der Besuch aus Norditalien hatte und sich fünf Tage später krankmeldete.


Am Wochenende, es war Mitte März, hing ich wie immer mit Christoph ab (der anders heißt, aber anonym bleiben möchte). Ich hatte schon ein Kribbeln im Hals. Manche Leute in unserem Alter haben viele Freunde; wir nicht, wir haben uns. Tage später bekamen wir beide Fieber. Eine Erkältung, dachte ich. Ich legte mich eine Weile ins Bett, mit Waschlappen auf der Stirn. An Corona dachte ich nie, nicht mal, als Christoph mich anrief und von seinem Husten erzählte. Stell dich nicht so an, habe ich gesagt und aufgelegt. Ich war es nicht gewohnt, mir um ihn Sorgen zu machen. Er ist 32 und lebt gesund. Wenn einem von uns die Nase lief, ist es immer meine gewesen. Doch nun ging es ihm mit jedem Tag schlechter. Zum Husten kam Durchfall, er verlor seinen Geruchssinn, das Fieber wurde stärker.


Einmal nachts rief ich bei ihm an. Ich hatte irgendwie ein schlechtes Gefühl. Am Telefon war Christoph so kurzatmig, dass er kaum sprechen konnte. Hals über Kopf bin ich zu ihm in die Wohnung gelaufen. Da saß er desorientiert am Bettrand, in einem Pulli, durchtränkt von Schweiß. Das Thermometer zeigte 40 Grad an. Ich wählte die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdiensts, 116 117. Es dauerte ewig, bis die Leitung frei war. Irgendwann rückten Sanitäter in Schutzkleidung an, die Christoph untersuchten und wieder gingen, nachdem sie einen Arzt verständigt hatten. Doch der kam nicht. Wir warteten die ganze Nacht. Christophs Atem wurde immer flacher. Er sagte, es fühle sich an wie sterben. Ich dachte: Mein bester Freund hat Corona. Und er hat es von mir.


Immer wieder wählte ich die 116 117. Es dauerte 24 Stunden, bis ich jemanden erreichte. Und noch einmal sieben, bis ein Arzt kam. Er ließ Christoph gleich ins Krankenhaus bringen. Ich durfte nicht mit. Auf der Station haben sie ihm Sauerstoff gegeben. Der Corona-Test war positiv. Drei Tage musste er bleiben. Ich wollte mich auch testen lassen, um endlich Gewissheit zu haben. Aber das Gesundheitsamt lehnte ab, weil ich keine Symptome mehr hatte.


Christoph geht es wieder gut, trotzdem quält mich mein Gewissen. Wie konnte ich seinen Husten runterspielen? Ihm sagen, er solle nicht jammern? Er ist mir nicht böse deswegen, sagt er. Wir telefonieren wieder jeden Tag, es ist fast wie früher. Aber eben nur fast. 

Ich denke oft an meinen Kollegen. Er ist einfach weiter zur Arbeit gekommen, obwohl damals jeder wusste, was in Norditalien los war. Der Gedanke macht mich dermaßen wütend, dass mir heiß wird. Dabei weiß ich, ich war selber genauso verantwortungslos wie er.

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