SPIEGEL: Frau Hasters, nervt es, als schwarze Person über Rassismus zu reden?
Hasters: Es gibt oft einen Anspruch an nichtweiße Menschen, dass sie Expertinnen sind und Antworten haben müssen. Zu mir sind oft Menschen gekommen - beispielsweise auf Partys - und haben mich nach meinen Rassismuserfahrungen gefragt. Ich kann sehr gut verstehen, wenn man sagt: "Ich muss das nicht für euch machen. Ich muss niemandem irgendwas erklären." Wenn das Reni Eddo-Lodge oder ich oder all die anderen Menschen tagtäglich machen, dann helfen wir Menschen, die nicht genug über Rassismus wissen. Natürlich mit dem Interesse, dass weiße Menschen ihr Verhalten ändern. Ich würde mir wünschen, dass weiße Menschen nicht nur mit nichtweißen, sondern mit anderen weißen Menschen über Rassismus reden, weil es auch unter Weißen besprochen werden sollte.
SPIEGEL: Auf einem Blog haben Sie eine Kolumne über Identität und Rassismus geschrieben, was war Ihr Auslöser ein Buch zu schreiben?
Hasters: Er fing an mit der Bundestagswahl, es war ein Tag im September 2017, an dem ich komisch drauf war, weil ich wusste, dass die AfD in den Bundestag kommen würde. Ich hatte das Bedürfnis, das auch in die Welt zu schicken, und habe einen Facebook-Post geschrieben. Aufbauend darauf habe ich die Kolumne geschrieben. Dann habe ich gemerkt, dass ich so viel zu sagen habe, und gemerkt, dass es noch viel Erklärungsbedarf für Menschen gibt, die mir überfordert oder verwirrt vorkamen - so ist das Buch entstanden.
SPIEGEL: Was haben Sie damals auf Facebook geschrieben?
Hasters: Alle fanden es doof, dass die AfD in den Bundestag kommt - zumindest in meiner Blase. Aber für mich, als schwarze Person, bedeutete das noch mal etwas anderes. Das bedeutete, dass ich mich persönlich bedroht oder angegriffen fühle. Dass ich Angst habe, dass sich Dinge ändern können, die gegen mich arbeiten, die gegen meine Mutter und Familie arbeiten können, gegen viele andere Menschen arbeiten, die auch von Rassismus betroffen sind. Die AfD ist eine Partei, die spalten möchte, zwischen den "echten Deutschen" und denen, die nicht wirklich deutsch sind. An dem Tag vor zwei Jahren musste ich an meine Großeltern väterlicherseits denken, also an meine weißen Großeltern, weil ich nun auch einen Rechtsruck erlebe. Mit meinen beiden Schwestern habe ich vorher oft scherzhaft überlegt, wo man hingehen würde, wenn man in Deutschland nicht mehr leben könnte. An diesem Tag fühlte es sich nicht mehr nach einem Scherz an - sondern wie ein Plan B.
SPIEGEL: In Ihrem Buch thematisieren Sie die AfD nicht. Warum?
Hasters: Rassismus war schon vor der AfD da und ich möchte nicht, dass Menschen sich darauf ausruhen, dass sie niemals die AfD wählen würden und sich deswegen nicht angesprochen fühlen, nach dem Motto: Rassisten sind nur Nazis, und Rassisten sind nur Menschen, die die AfD wählen. Darauf will ich nicht hinaus, deswegen habe ich es weggelassen.
SPIEGEL: Wie reagieren Sie, wenn gesagt wird: Nicht schon wieder ein Buch über Rassismus?
Hasters: Es gibt Leute, die reagieren so: "Oh nee, nicht schon wieder Rassismus, das haben wir jetzt verstanden, das kann wieder weg, keinen Bock mehr, darüber zu reden." Rassismus ist seit 500 Jahren in unserer Gesellschaft. Das ist nichts, was schnell geklärt ist. Das Thema ist noch lange nicht durch. Tut mir leid, wir sind erst am Anfang - da wird noch was kommen.
SPIEGEL: Kann Rassismus überwunden werden?
Hasters: Ich glaube schon, dass man eine Haltung gegen rassistische Strukturen einnehmen und gegen Denkweisen ankämpfen kann. Das bedeutet, anzuerkennen, dass Rassismus nicht etwas ist, was man loswird, indem man einfach entscheidet, dass man keine Rassistin ist. Wir kennen die Welt nicht, in der Rassismus nicht existiert, deshalb weiß ich es ehrlich gesagt nicht.
SPIEGEL: Sind Menschen, die von Rassismus betroffen sind, frei von Rassismus?
Hasters: Der Unterschied ist, dass Rassismus gegen einen selbst arbeitet. Das heißt, wenn man nicht frei von rassistischen Denkmustern ist, dann ist man auch nicht frei von Selbsthass und Erniedrigung. Das ist etwas, wogegen nichtweiße Menschen arbeiten müssen. Sich dagegen wehren und anerkennen, dass ihre Perspektive auf die Welt nicht weniger wert ist, dass sie selbst nicht weniger wert sind. Es bedeutet auch, dass man es sich nicht zum Ziel machen muss, so zu werden wie weiße Menschen.
SPIEGEL: Sie schreiben, weißen Menschen wäre es unangenehm, sich selbst als weiß zu bezeichnen.
Hasters: Ich habe bemerkt, dass es viele Menschen komisch finden, mich als schwarz zu bezeichnen. Ihnen ist das Thema um Hautfarbe und Rassifizierung unangenehm, weil sie es nicht kennen, eine Kategorie zu sein und kein Neutrum, was sich diesem ganzen Rassifizierungsdiskurs entziehen kann. Es gibt die Schwarzen, Asiatinnen, indigene Menschen - aber weiße Menschen gehören ihrer Ansicht nach irgendwie nicht dazu.
SPIEGEL: Ihrem Buch haben Sie den Titel "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten" gegeben. Wieso?
Hasters: Ich habe erlebt, dass Leute fast schon kreativ sind darin, wie sie sich wehren gegen die Anerkennung von Rassismus in unserer Gesellschaft. Diese ganzen Abwehrmechanismen: "Hast du das schon mal so gesehen", "Also eigentlich, wenn man es genau nimmt" oder "Das ist doch jetzt auch rassistisch, wenn du mich als weiß bezeichnest". Es ist ein Servicebuch mit der Absicht, dass der Diskurs und das Verständnis von Rassismus erweitert wird - und wir eine Phase einläuten, wo wir nicht mehr zurückspringen auf die Frage, ob es Rassismus überhaupt gibt. Es gibt viele, die ihre Hände hochnehmen und sagen: "Ich habe mich damit noch nie auseinandergesetzt." Ab einem gewissen Punkt ist das keine Entschuldigung mehr. Ihr solltet gewisse Dinge einfach wissen!