1 subscription and 0 subscribers
Article

Muss meine Vulva nach Ananas duften?

Das neue Fruchtgummi „Lemme Purr“ von Kourtney Kardashian soll angeblich die vaginale Gesundheit verbessern. (Symbolbild)

„Gib deiner Vagina das süße Vergnügen, das sie verdient": Der neueste Streich aus dem Hause Kardashian ist ein Fruchtgummi für die vaginale Gesundheit. Und stößt auf massive Kritik. Gynäkologen erklären, was davon zu halten ist.


In einer Zeit, in der Influencer zeigen, dass man mit genug Finesse und Hartnäckigkeit wirklich jedes Produkt an die Käuferschaft bringen kann, zieht es auch Hollywood-Prominenz zunehmend in die Unternehmer-Branche. Rihanna verkauft Make-up, Kate Hudson Sportbekleidung, Ryan Reynolds Gin. Alles relativ normal. Und dann gibt es da noch Wellness- und Lifestyle-Labels wie die von Model Kate Moss oder Schauspielerin Gwyneth Paltrow. Während Erstere vergangenes Jahr mit dem Verkauf von „heiligem Duftnebel" Aufsehen erregte, hat sich Letztere vor allem auf die sagenumwobene weibliche Sexualität eingeschossen. So bot ihr Unternehmen Goop unter anderem bereits eine Duftkerze, die nach der Vagina der Oscar-Gewinnerin riechen sollte, und ein angeblich die Gesundheit förderndes Vaginal-Ei aus Jade an.


In dieser kuriosen Reihe hat neuerdings nun auch Reality-Star Kourtney Kardashian Barker Aufstellung genommen. Mit ihrer im September vergangenen Jahres gegründeten Linie „Lemme" vertreibt die älteste der 5K-Sisters aus der Unternehmerfamilie Kardashian-Jenner Vitamingummis und pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel. Kein leichter Start, denn besonders ihren milliardenschweren Schwestern Kim Kardashian („SKIMS", „KKW") und Kylie Jenner („Kylie Cosmetics") ist unternehmerisch schwer etwas vorzumachen. Da musste schon etwas Besonderes her, um die Aufmerksamkeit der Konsumenten zu gewinnen: das Vaginal-Wellness-Weingummi „Lemme Purr" (dt. „Lass mich schnurren").


Das Fruchtgummi besteht laut Kardashian aus Ananasextrakt, Vitamin C und klinisch untersuchten Probiotika. Es wird oral eingenommen und soll die vaginale Gesundheit fördern, den pH-Wert der Scheidenflora verbessern und für frischen Duft und Geschmack sorgen. Die gelb-orangefarbenen Drops seien zudem vegan, gluten- und gelatinefrei. Eine Dose mit 60 Fruchtgummis kostet umgerechnet knapp 30 Euro. Die 43 Jahre alte Unternehmerin begründet die Idee für „Lemme Purr“ damit, dass „das vaginale Mikrobiom empfindlich ist und leicht gestört werden kann“. Die probiotischen Bestandteile des Weingummis sollen zu einer Balance der Scheidenflora beitragen. Probiotika sind Produkte, die lebensfähige Mikroorganismen enthalten wie zum Beispiel Milchsäurebakterien oder Hefen.


Zum Launch ihres neuesten Fruchtgummis postete Kourtney Kardashian auf ihrem Instagram-Profil ein Video, in dem sie sich, umringt von Katzen, ein Gummi in den Mund steckt. Der Clip wurde ebenso auf dem „Lemme“-Account veröffentlicht. Darunter ist zu lesen: „Gib deiner Vagina das süße Vergnügen, das sie verdient (und mach sie zu einem süßen Vergnügen).“ Die vaginale Gesundheit sei ein wichtiger Bestandteil des allgemeinen Wohlbefindens einer Frau, über den aber nicht genug gesprochen würde. Weiter steht dort: „Sie wissen ja, was man sagt ... du bist, was du isst.“


Ob Kourtney Kardashian sich bei der Produktentwicklung von dem Mythos inspirieren ließ, dass sich auch Sperma geschmacklich verändern lässt, wenn Männer viel Ananassaft trinken, ist übrigens unbekannt.


Kann ein Fruchtgummi wirklich die vaginale Gesundheit verbessern?

Aber können solche Produkte wirklich die vaginale Gesundheit fördern? Der Gynäkologe und Frankfurter Bezirksvorsitzende des Berufsverbandes der Frauenärzte (BVF) Eckhard Wendt sagt dazu klar: „Wahrscheinlich ist es nicht gefährlich, aber nützen wird es nichts.“ Denn es gebe keine Verbindung zwischen dem Verdauungssystem, wo die Fruchtgummis nach dem Essen landen, und der Vagina. Also könnten sie dort auch nicht ihre angepriesenen Wirkungen entfalten – weder in Bezug auf den pH-Wert des Scheidenmilieus noch auf Geruch oder Geschmack. Die in „Lemme Purr“ enthaltenen Bakterien seien zwar ein bekannter Keim, von dem man jedoch nur wisse, dass er einen Einfluss auf die Darmflora habe. Wenn eine Frau also etwas für ihre Scheidenflora tun wolle, „dann wäre es schon sinnvoll, das direkt in der Scheide zu tun“, fasst Wendt zusammen. Im Normalfall sei das aber unnötig, wenn nicht gar schädlich. Denn die Vagina kann sich laut Wendt gut selbst reinigen – solange man sie nicht störe. Beispielsweise Überpflege durch Scheidenspülungen kann, so Wendt, das vaginale Milieu erheblich verändern. Diese Probleme seien dann aber „in der Regel hausgemacht“, fügt Wendt hinzu.


Auch Kollegin Inge Reckel-Botzem, Frauenärztin und stellvertretende hessische Landesvorsitzende des BVF, nennt die Behauptungen von Kardashian zur Wirkung ihrer Fruchtgummis „wissenschaftlich nicht haltbar“. Sie erklärt, dass im Falle einer bakteriellen Scheideninfektion normalerweise Lactobazillen (Milchsäurebakterien) in Zäpfchenform verschrieben werden. Diese können direkt in die Scheide eingeführt werden, um den pH-Wert des Vaginal-Milieus zu stabilisieren. In jedem Fall sei es aber besser, „wenn eine Dame das Gefühl hat, sie hat viel Ausfluss und das riecht komisch, dass sie zu mir kommt und nicht irgendwelche Kardashian-Fruchtgummis schluckt“, sagt Reckel-Botzem.

Bezüglich des versprochenen Ananas-Duftes der Vulva weist Wendt darauf hin, dass der natürliche Intimgeruch des Körpers eine wichtige Rolle in Bezug auf Interaktionen und körperliche Anziehung spiele. Die Wahrnehmung dieser Gerüche geschehe über das Riechhirn, „das ist ein ganz alter Teil des Körpers“. Wenn man jemanden also „nicht riechen kann“, klinge das zwar lässig, habe aber einen tieferen Sinn. Der Duft einer Frucht sei nicht natürlich. „Das wird unser Riechhirn nicht akzeptieren.“


„Es ist 2023 und wir kapitalisieren immer noch die Unsicherheiten von Frauen?“

Doch Kourtney Kardashian setzt nicht nur falsche medizinische Standards. Auch die mediale Betrachtung und Inszenierung von Frauenkörpern spielt hier eine Rolle. Kardashian hat zwar recht, die vaginale Gesundheit ist in der Tat ein Thema, über das zu wenig gesprochen wird. Doch mit „Lemme Purr“ verfestigt die Unternehmerin vorherrschende Tabus (zum Beispiel das einer wie auch immer riechenden Vulva) – und befeuert die Unsicherheit von Frauen den eigenen Körper betreffend. In einer Zeit, in der viele Frauen oft unter unerreichbaren Beauty- und Körperstandards leiden, erklärt sie mit ihrem Produkt nun auch noch den weiblichen Intimbereich zur Problemzone. Nicht genug, dass man sich Gedanken über potentielle Fettpölsterchen an Bauch und Hüften oder Cellulite an den Beinen macht – jetzt soll man sich auch noch für Geruch und Geschmack der Vulva schämen?


Die – nicht besonders subtile – Message hinter den Weingummis: Mit dir stimmt etwas nicht. Das kann man noch optimieren! Und das von einer prominenten und gemeinhin als begehrenswert geltenden Person wie Kourtney Kardashian, die eigentlich ein Vorbild sein könnte.


Dementsprechend kritisch fallen auch die Reaktionen auf „Lemme Purr“  auf Social Media aus. Unter dem Werbe-Post auf Kardashians Instagram-Account schreibt eine Userin: „Noch ein Beispiel dafür, wie unnötige Produkte beworben werden, damit Frauen sich unsicher fühlen und sie kaufen.“ Eine andere nennt die Fruchtgummis „gefährlich und unethisch“, Kardashian würde damit das Patriarchat unterstützen. Eine dritte Nutzerin kommentiert: „Es ist 2023 und wir kapitalisieren immer noch die Unsicherheiten von Frauen?“







Original