Die Tür zum Gerichtssaal öffnet sich. Kurzes Blitzlichtgewitter, hektisches Klicken. Dann legt sich der Medienansturm, die Kamerateams müssen den Saal verlassen. Der Zuschauerraum ist dicht besetzt, das Interesse ist groß. Denn der heutige Angeklagte ist nicht irgendjemand.
Julian H., mutmaßlicher Drahtzieher hinter dem Ibiza-Video, musste sich an diesem Mittwoch vor dem Landesgericht St. Pölten verantworten. Aber nicht wegen versuchter Erpressung von Ex-Vizekanzler HC Strache und Johann Gudenus, nicht weil er 2017 heimlich ein Video auf Ibiza angefertigt und 2019 Teile davon zur Veröffentlichung gebracht haben soll.
Er ist angeklagt wegen Weitergabe von insgesamt 1250 Gramm Kokain in drei Fällen in Salzburg, im niederösterreichischen Haag und in Oberösterreich, wegen des Besitzes beziehungsweise der Fälschung zweier slowenischer Ausweise, sowie der Verwendung eines gefälschten slowenischen Führerscheines in Wien.
Verteidigung und NGOs sehen H. als Opfer„Wenn sie sagen, es geht in diesem Prozess nicht um das Ibiza Video, dann liegen sie völlig falsch, Herr Staatsanwalt", sagt Oliver Scherbaum, einer von Hs Verteidigern bei seiner Eröffnungsrede. Es sei den Ermittlungsbehörden von Anfang an darum gegangen, einen Anfangsverdacht zu schaffen, um H. wegen des Videos dingfest zu machen. Hs anderer Verteidiger, Wolfgang Auer, weist auf einige Ungereimtheiten im Ermittlungsverfahren hin und sagt dazu: „Ich schäme mich als österreichischer Rechtsanwalt und Staatsbürger, dass ein so einseitiges Verfahren gegen meinen Mandanten geführt wird."
H. wurde auf Basis eines europäischen Haftbefehls ausgeliefert, führt Auer außerdem an. Nach gültiger Rechtslage dürfe man aber nur wegen jener Delikte verurteilt werden, wegen denen man ausgeliefert wird. Eine Verurteilung sei in diesem Fall also gar nicht möglich. Die Vorwürfe, die als Basis für den europäischen Haftbefehl dienten, waren nämlich andere, als jene wegen denen er nun vor Gericht steht. Die beiden Hauptbelastungszeugen seien außerdem gekauft worden, um Julian H. zu belasten, sagt die Verteidigung. Für sie steht fest: „Am Ende dieser Verhandlung wird ihre Lügerei ein Ende haben." Und: „Nach diesem Verfahren werden wir wissen, ob jemand, der Korruption aufgedeckt hat, in Österreich mit falschen Anschuldigungen aus dem Verkehr gezogen wird."
Vor dem heutigen Prozess hatten sich mehrere Menschenrechtsorganisationen, darunter Amnesty International und Reporter ohne Grenzen, hinter Julian H. gestellt. In einem offenen Brief bezeichneten sie dessen Strafverfolgung als „ausufernd" und befürchten, dass diese ganz bewusst abschreckend auf zukünftige Aufdecker sowie auf die Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit in Österreich wirken könne. Die NGO epicenter.works und Menschenrechtsprofessor Manfred Nowak stellen in den Raum, dass die Ermittlungen auf teils konstruierten Vorwürfen basieren, die Julian H. diskreditieren und ihn mundtot machen sollen. Um der Öffentlichkeit zu ermöglichen, diese Schlüsse nachzuvollziehen, veröffentlichten die NGOs den Gerichtsakt zu dem Fall (mit teilweise geschwärzten Seiten): https://epicenter.works/document/3540
Kokain genommen, nicht gehandeltJulian H. selbst sitzt mit unbewegter Miene auf der Anklagebank. Im Vorfeld der Ermittlungen hatte er Antworten verweigert, heute wird er sie geben, sagt er. Nicht schuldig, sagt er auch, die drei Übergaben von Kokain habe es nie gegeben. Er war selbst Kokain-Konsument, das gibt er zu, gehandelt habe er jedoch nicht damit. Alles was die Belastungszeugen sagen, sei erfunden, sagt der 40-jährige Österreicher, der zuletzt in Berlin wohnte.
Die erste Zeugin, Katharina H., wurde selbst wegen Drogendelikten verurteilt und inhaftiert. In ihrem eigenen Prozess erzählte sie von Vorfällen im Zusammenhang mit Suchtgift, in die sie, ihr Freund Slaven K. und Julian H. verwickelt gewesen sein sollen - darunter die drei angeklagten Übergaben von Kokain. Beim heutigen Prozess will sie abgesondert vernommen werden. Sie könne nicht aussagen, wenn Julian H. im selben Raum sei.
Doch eine Befragung der Frau ist kaum möglich, sie spricht gebrochenes Deutsch, atmet schwer, redet schnell und wirr und bricht in Tränen aus. Sie hat eine Panikattacke, sagt sie. Sie habe zu viel Angst vor Julian H. der ihr angeblich einmal eine Waffe an den Kopf gehalten haben soll. Der Richter bricht die Einvernahme ab, die Frau ist nicht vernehmungsfähig und muss deshalb zum nächsten Termin noch einmal aussagen.
Gekaufte Zeugen?Der andere Belastungszeuge, Slaven K., wurde ebenfalls wegen Drogendelikten verurteilt und inhaftiert. Bevor Julian H. verhaftet wurde, hatte er gesagt, dass H. nichts mit Drogen zu tun hatte, nach Hs Verhaftung änderte K. seine Meinung und beschuldigte diesen. Seine Angaben und die Angaben von Katharina H. zu den Vorfällen weichen voneinander ab, was Zeit, Mengen des Kokains und Orte angeht. Er meint, Katharina H. bringe durch ihren langjährigen Suchtgiftkonsum eventuell vieles durcheinander, im Grunde stimme aber was sie sage.
K. gibt zu, dass er insgesamt 55.000 Euro von einem Medieninhaber und Lobbyisten eines bekannten Glücksspielkonzerns erhalten habe, im Gegenzug über zahlreiche Informationen zu Julian H. um Drogen sei es dabei aber nie gegangen. Ein weiter Zeuge S. soll ebenfalls Informationen zu H. an den Medieninhaber verkauft haben. Er erscheint nicht zum Prozess. Hs Verteidiger und H. selbst vermuten, dass S., K. und Katharina H., von dem Medieninhaber bezahlt wurden, damit diese H. beschuldigen. Beweise haben sie dafür aber nicht.
Weitere Zeugen notwendigDer Richter will den Medieninhaber als Zeuge laden, sowie die Frau des Slaven K. Die Verteidigung stellt weitere Beweisanträge, darunter Auswertungen von Handydaten von Handys, von denen Katharina H. behauptet sie gehören Julian H., ein Schriftgutachten zu einem Notizzettel, der laut Katharina H. von Julian H. geschrieben worden sein soll und seinen Suchtgifthandel beweisen soll, sowie ein psychologisches Gutachten, das klären soll, ob Katharina H. überhaupt als Zeugin zugelassen werden kann.
Was den gefälschten slowenischen Führerschein angeht, den Julian H. bei einer Verkehrskontrolle in Wien zeigte, übernimmt H. die Verantwortung. Der letzte Anklagepunkt: Ein Freund von Julian H. fand einen anderen slowenischen Führerschein und einen slowenischen Personalausweis, ausgestellt auf eine Rumänin in Julian Hs Koffer. Beides habe er zurückgeben wollen, sagt H. dazu. Den Führerschein habe er gar nicht in Auftrag gegeben, den Personalausweis schon und zwar für eine Operation seiner Sicherheitsfirma. Dabei habe es aber Missverständnisse gegeben. Der Prozess wird Mitte Oktober fortgesetzt. Es bleibt spannend.
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