Oliver Günther hat viele ungewöhnliche Hobbys. Nach Feierabend reist der Zahnarzt als Medicus über die Mittelaltermärkte in Bayern.
Der Patient brüllt vor Schmerz. Er kann sich nicht wehren, er wird von drei Personen an Armen und Kopf festgehalten. Oliver Günther beugt sich über ihn, einen rostigen Nagel in der Hand, mit dem er einen Abszess im Mundraum des Patienten öffnet. Während der Eiter abfließt, erklärt Günther voller Überzeugung: "Es muss ein rostiger Nagel benutzt werden, um einen Abszess zu öffnen. Danach darf der Nagel weder vom Licht der Sonne, noch vom Licht des Mondes berührt werden!"
Es ist Sommer 2018. Furchteinflößende Szenen spielen sich ab im Schatten der Burg Rabenstein in Oberfranken. Zahnlücken werden mit Zement gefüllt, Zähne ohne Betäubung gezogen, sogar Beine amputiert. Blut und Eiter spritzen. Es wird gebrüllt, geschrien und gekreischt. Zum Glück ist all der Schmerz nur gespielt, eine Show auf einem Mittelaltermarkt.
Ungewöhnliche Hobbys als LeidenschaftOliver Günther trägt angenähte Zähne an seiner Weste, echte Zähne - 35 von Menschen und 16 von Rindern. Er ist der Arzt in der etwa 20-köpfigen Mittelalter-Gruppe Malleus Medicinae ("Medizin-Hammer"). Der Verein führt auf den Mittelaltermärkten Bayerns Shows auf, mit denen er dem Publikum die medizinischen Methoden des 15. Jahrhunderts näherbringt. "Wir machen eine Mischung aus Info und Unterhaltung", erklärt Günther, 37. Er ist Gründungsmitglied des Vereins und hat die Medicus-Show mit aufgebaut. Weil er Spaß hat am Improvisationstheater, aber auch aus medizinischem Interesse. Die Ärzte damals hätten nicht nur Zähne gezogen und Gliedmaßen abgeschnitten, sondern auch medizinisch experimentiert, sagt er. Mit Zahnfüllungen zum Beispiel, wenn auch aus Zement.
Günther ist selbst Zahnarzt mit eigener Praxis in Bindlach (Landkreis Bayreuth). Die Rinderzähne auf seiner Weste waren Übungsobjekte im Studium, die menschlichen Zähne hat er selbst gezogen. "Es ist immer ein sehr trauriger Moment, wenn ich mit einem Patienten einen Zahn auf diese Welt bringen muss", sagt er und grinst. "Aber was ist schon ein Zahn im Vergleich zur Unendlichkeit es Universums."
Günther kämpft mit dieser Unendlichkeit, deswegen klingt der Satz bei ihm nicht so pathetisch wie wohl bei den meisten anderen. "Ich interessiere mich für so unglaublich viel, dass ich befürchte, meine Lebenszeit reicht nicht aus", sagt er. Ständig erwähnt er ein neues Hobby. Didgeridoo, Samurai-Rüstungen, die Jagd - Günthers Interessen folgen keinem Schema. (...)
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