„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser." Der Leitspruch des Revolutionärs Wladimir Iljitsch Lenin ist so bekannt wie falsch. Denn Vertrauen ist nicht nur die Grundlage jedes Wirtschaftens, es fördert Kreativität, macht innovativ - und ist ein effizienter Problemlöser.
Ein Essay von Stefan Schlögl - 28. März 2018
Wir leben in beschleunigten Zeiten. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Innovation und Transformation sind die Treibmittel einer sich rasend schnell verändernden digitalen Gesellschaft, mehr Zukunft war selten in der Geschichte der Menschheit. Voll erfasst davon sind Unternehmen und Konsumenten.
Überall ist von neuen, fantastischen Begriffen wie Crowdsourcing, Disruption oder Influencern die Rede, Fön und Toaster verbandeln sich im Internet der Dinge zum Smart Living, während in der Smart City schon bald die autonomen Fahrzeuge wuseln.
Kreativität, einst eher Sache von Künstlern und Schöngeistern, hat sich zu einem eigenen Geschäftszweig, den „Creative Industries" ausgewachsen.
Zudem schießen mirakulöse Kryptowährungen an den Börsen durch die Decke, erwecken im Wochentakt neue Smartphone-Apps unsere Aufmerksamkeit, wird der Ausbau, die Vernetzung der Wissensgesellschaft vorangetrieben.
Komplizierte ZeitenGleichzeitig jedoch, so geht die Klage, werde es immer schwieriger, den Überblick zu behalten, das tatsächlich Innovative von Werbeslogans, Belanglosigkeiten und schrillen Emo-Kicks zu scheiden. Was heute als Versprechen für die Zukunft erscheint, ist morgen vielleicht bloß eine Utopie, der gefeierte Firmenboss beim nächsten News Update doch nur ein Ankündigungsweltmeister.
Wir leben also auch in komplizierten Zeiten. Bloß gut, dass es einen Ordner der Dinge gibt, einen Kompass, der einem zumindest ein paar Um- und Irrwege erspart, einen Begriff, der verlässlich dann eingemahnt, beschworen und gefordert wird, wenn Überblick gefragt ist: Vertrauen.
Ohne Vertrauen geht im Leben, im Wirtschaftleben gar nichts. Bitcoins, nichts mehr als eine Ansammlung von Bits und Bytes auf einem Server, werden durch das Vertrauen, dass deren Wert steigt, erst zu einem Spekulationsobjekt. Aber auch die Metallstücke und Papierstückchen in unseren Geldbörsen verwandeln sich dadurch erst in Kapital, für das wir etwas erwerben können.
Banken schmücken sich nicht nur damit („Vertrauen ist der Anfang von allem."), sondern vertrauen darauf, verliehenes Geld wieder zurückzubekommen. Jeder Download einer App setzt das Vertrauen voraus, dass damit ein fairer Deal zwischen Käufer und Verkäufer zustande gekommen ist. Oder prüfen Sie jedes Mal die aufpoppenden Vertragsbedingungen bis zur letzten Fußnote?
Vertrauen als Wirtschaftsfaktor
Vertrauen, das ist so etwas wie die Essenz des täglichen Wirtschaftens. Eine Mischung aus harten, belastbaren Zusagen, wie etwa Garantien, Vertragsklauseln und Zahlungszielen, aber auch weichen Faktoren, wie die eigene Erfahrung, Optimismus (bzw. Pessimismus), oder dieser schwer greifbare, rätselhafte Mittler namens Sympathie.
Ganz gleich, von welcher Seite man dieses Gefühl, diese Einstellung betrachtet, Vertrauen ist ein Wirtschaftsfaktor, dessen Bedeutung gar nicht hoch genug angesiedelt werden kann. Führungskräfte, höhere Facharbeiter, Manager wollen ohne das V-Wort gar nicht mehr auskommen.
Das belegt auch eine im deutschen Sprachraum einzigartige Umfrage, die regelmäßig von der Wertekommission, einer Initiative für Führungskräfte in Deutschland, durchgeführt wird.
Alljährlich befragen die Studienautoren leitende Manager zur aktuellen Bedeutung von „Kernwerten" wie Respekt, Mut, Integrität oder Verantwortung. Allein 2017 machten knapp 600 Führungskräfte mit, das Ergebnis brachte einen klaren Sieg für das V-Wort - das seit 2010 übrigens am öftesten auf Platz eins gereiht wurde.
Überzeugung, Sicherheit, SpielräumeEntscheidend jedoch ist, abseits des bemerkenswerten Seriensiegs, wie die Wertekommission „Vertrauen" definierte, nämlich als „subjektive Überzeugung der Richtigkeit bzw. Wahrheit von Handlungen und Einsichten" sowie als „Verhalten, das dem Gegenüber Sicherheit" gibt. Darüber hinaus gilt das Vermögen, „anderen Spielraum zu ermöglichen" als entscheidender Faktor.
„Überzeugung", „Sicherheit" und „Spielräume", das sind nichts weniger als jene drei Schlüsselwörter, um der Bedeutung des Vertrauens im täglichen Wirtschaften auf die Spur zu kommen.
Außergewöhnliches versuchenÜberzeugung heißt zuerst einmal, an das eigene Handeln zu glauben. Die Gewissheit zu haben, das Richtige zu tun, auf sich selbst zu vertrauen. Denn nur wer auf seine eigene Erfahrung und Kompetenz baut, kann auch Vertrauen gewähren und das Risiko schultern, vielleicht enttäuscht zu werden oder einen Kontrollverlust zu erleiden. Selbstvertrauen heißt nicht zuletzt, Außergewöhnliches zu versuchen.
Wie ein Elon Musk etwa, der mit seinen Tesla-Elektroautos ausgerechnet auf eine neue, alte Antriebstechnik vertraute, die in der Geschichte des Automobils gleich mehrmals totgesagt wurde.
Wie ein Steve Jobs, der das Mobiltelefon zu einem smarten, universellen Kleincomputer weiterentwickelte. Wie aber auch der niederösterreichische Schuhhersteller Heini Staudinger, der eine kleine Waldviertler Manufaktur in ein Erfolgsmodell für nachhaltiges und regionales Wirtschaften verwandelte.