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Russlands Angriffskrieg in der deutschen Berichterstattung: Was besser laufen müsste

Die Zuschauerränge auf dem Gelände der Leipziger Baumwollspinnerei füllen sich, der Countdown zählt runter von 30 Sekunden und es findet ein letzter Technik-Check statt. Live dazugeschaltet aus Münster wird Marina Weisband. Sie ist geboren und aufgewachsen im damals noch sowjetischen Kyiv. Schon seit vielen Jahren begleitet sie die Situation in der Ukraine - sowohl politisch für Bündnis 90/Die Grünen als auch publizistisch mit regelmäßigen Meinungsbeiträgen.

Was können deutsche Medien besser machen in der Berichterstattung über die Ukraine? Und welche Versäumnisse aus der Vergangenheit sollten unbedingt aufgearbeitet werden? Mit diesen Fragen wendet sich ARD-Moderator Helge Fuhst an Marina Weisband. Diese bekräftigt immer wieder, die deutsche Öffentlichkeit habe den diversen Stimmen Osteuropas zu wenig zugehört. Denn in vielen der ehemals sowjetischen Staaten habe man schon sehr lange vor dem großrussischen Imperialismus gewarnt: „Wir verstehen, wie Putin denkt. Wir kennen die imperialistischen Ansprüche Russlands", so Marina Weisband, die in eine Dissidentenfamilie hineingeboren wurde und Politik quasi in die Wiege gelegt bekommen hat, wie sie sagt.

Deutsche Medien im Umgang mit Putin: Naiv und aus der Zeit gefallen

An dem Umgang deutscher Medien mit der Situation in der Ukraine kritisiert Marina Weisband vor allem, dass es keinerlei Beobachtung russischer Staatsmedien innerhalb Deutschlands gebe. Schon seit acht Jahren sei der russische Staatsapparat damit beschäftigt, die ukrainische Bevölkerung zu entmenschlichen und ein klares Feindbild aufzubauen. Dieses Feindbild wiederum fuße auf dem immer wieder von Putin bedienten Narrativ des „schwachen Westens, mit dem man alles machen kann, weil er moralisch verkommen ist". Besagten Narrativen sei jedoch keinerlei kritische Beachtung innerhalb der deutschen Medienlandschaft zugutegekommen. Stattdessen sehe man Russland noch immer aus einer verklärten Perspektive der 1980er Jahre - und die sei so naiv wie aus der Zeit gefallen: „Es wird oft so dargestellt, als gäbe es noch den Putin aus 2003, der auf dem Weg sei, Demokrat zu werden. Aber der Mann ist an die Macht gekommen, indem er Hochhäuser in die Luft hat sprengen lassen, einen Vernichtungskrieg gegen Tschetschenien geführt und Grozny in Schutt und Asche gelegt hat."

Statt einer realen Beobachtung inner-russischer Debatten und Geschehnisse habe man sich zu lange um sich selbst gedreht und der eigenen Einschätzung Putins zu viel Gewicht beigemessen. Dabei hätten deutsche Medien außerdem die gesamte Zeit über unreflektiert Kreml-Propaganda wiedergegeben und sich zu wenig gewappnet gegen die verschiedensten Mittel, mit denen Russland schon seit über einem Jahrzehnt seinen Krieg gegen „den Westen" führt: durch Desinformationskampagnen, die Zersetzung demokratischer Systeme in Europa, und durch die Stärkung rechtsradikaler Parteien. Ukrainischen Diskussionen, beispielsweise über die tief in der sowjetischen Geschichte verankerten Deukrainisierungs-Kampagnen, habe man von Anfang an keinen Platz eingeräumt - und sich somit angepasst an eine Themensetzung, wie sie seitens der russischen Regierung gewünscht wird.

Das Sterben geht weiter, die Aufmerksamkeit schwindet: Wie berichtet man weiter?

Große Teile der deutschen Bevölkerung seien mittlerweile kriegsmüde. Dementsprechend lautet die Frage des Moderators Helge Fuhst: Berichten wir jetzt, mehr als drei Monate nach der russischen Invasion, zu viel oder zu wenig über den Krieg in der Ukraine? Und ist die derzeitige Berichterstattung möglicherweise zu militaristisch? „Seit acht Jahren beginnen alle ukrainischen Nachrichtensendungen mit aktuellen Gefallenenzahlen", entgegnet Marina Weisband dem sichtlich bewegt. In Deutschland habe man den Luxus, das nicht mehr gewöhnt zu sein. Es sei zwar ein natürlicher Prozess, dass mit der Zeit die Aufmerksamkeit schwindet. Das beobachte sie sogar bei ihren Freundinnen und Freunden in der Ukraine. Aber dann seien eben die Medien in der Pflicht, die Bedeutsamkeit dieses Krieges abzubilden. Dies funktioniere am besten, so sagt sie, in dem man seltener aber

einschlagender berichtet: weniger Paukenschläge, dafür in aller Deutlichkeit. Und auch die klare Thementrennung sei so nicht mehr zeitgemäß: „Alle Themen hängen zusammen, weil wir in einer komplexen Welt leben." So sei es leichter, der Bevölkerung eben diese Komplexität begreifbar zu machen, wenn man über die Schnittstellen spricht - zum Beispiel zwischen der Klimakrise und dem Krieg in der Ukraine.

Wichtig sei es, sowohl in den sozialen Medien als auch in den Massenmedien Debatten „in good faith" zu führen: also auf Grundlage einer gemeinsamen Faktenbasis und einem klaren Interesse an Frieden. Wie schwierig das sein kann, das hat Marina Weisband schon selbst erlebt. Nach täglichen Morddrohungen durch Trolle Putins habe sie sich eine Zeit lang von Twitter zurückgezogen, ihre Stimme wurde zum Schweigen gebracht. Aber, darin zeigte sie sich entschlossener denn je: „Das wird mir nicht wieder passieren." Auch dann nicht, wenn sie zehn Accounts pro Tag blocken müsse. Denn der russische Angriffskrieg, das ist in diesem Gespräch klar geworden, wird vor allem auch medial geführt.

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