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Wie Corona den Auslandsaufenthalt erschwert

Im zweiten Mastersemester ohne Bachelorabschluss - in dieser seltsamen Situation befindet sich Johanna Reißberg. Ihr fehlt für den Bachelor nur noch ein Auslandsaufenthalt, doch die Pandemie macht ihr da einen Strich durch die Rechnung. Seit einem Jahr versucht sie vergeblich, ein bürokratisches Kuddelmuddel zu entwirren, für das niemand zuständig sein will.

„Das kann jetzt aber ein bisschen dauern", ist Johannas erster Satz im Interview. Denn ihr Fall ist kompliziert. Eigentlich will die 27-jährige Lehramtsstudentin von der TU Dortmund an die Universität Duisburg-Essen (UDE) wechseln und dort ihren Master machen. Doch für ihren Bachelor in Englisch und Kunst muss sie drei Monate im englischsprachigen Ausland verbringen. Die fünf Credit Points dafür sind alles, was ihr noch zum Bachelorabschluss fehlt, sie hat längst alle Veranstaltungen belegt und ihre Bachelorarbeit geschrieben. Ohne Abschluss kann sie sich aber nicht in dem UDE-Master einschreiben.

Johanna wollte von Juli bis Oktober 2020 ein Praktikum an einer Sprachschule in Eastbourne im Südosten Englands absolvieren. Dann aber schloss die Sprachschule wegen der Corona-Pandemie und sagte Johannas Praktikum ab. Reiseverbote taten ihr Übriges. Johanna blieb in Deutschland. Im Juni wurde ihr und ihren Kommiliton:innen an der TU mitgeteilt, sie müssten den Auslandsaufenthalt später nachholen und würden dann erst ihren Bachelorabschluss bekommen, erzählt sie. Bis dahin belegt Johanna übergangsweise Master-Veranstaltungen an der TU Dortmund und ist dort gleichzeitig im Bachelor und im Master eingeschrieben - an der falschen Universität.

Keine Ersatzleistung möglich

Eigentlich wollte sie aber nach dem Bachelor an die UDE wechseln. Doch die UDE geht anders mit dem Problem um als die TU; dort kann man eine Alternativleistung zum Auslandsaufenthalt erbringen, schließt damit seinen Bachelor ab und kann dann ins Masterstudium wechseln. Den Dortmunder Kompromiss, den Auslandsaufenthalt zu verschieben, erkennt die UDE nicht an; ohne Bachelor-Abschluss keine Master-Immatrikulation.

Johanna bemüht sich um Lösungen; schlägt dem Modulbeauftragten an der TU vor, ein Praktikum in Deutschland zu machen, eine Hausarbeit zu schreiben, von hier online für eine englische Schule zu arbeiten - ohne Erfolg, wie sie erzählt. „Ein Auslandsaufenthalt ist eine besondere Erfahrung, die sich kaum mit einer anderen Leistung wie beispielsweise einer Hausarbeit ersetzen lässt", erklärt Lana Reil, Pressesprecherin der TU, und verweist auf die Möglichkeit, auch ohne Bachelorabschluss Masterveranstaltungen zu belegen. „Für den Großteil unserer Studierenden ist das ein gangbarer Weg. In Einzelfällen werden gemeinsam andere Wege gefunden", verspricht sie, und nennt hier die Mastereinschreibung an der TU und einen späteren Wechsel an die UDE: „Dort könnte man sich die in Dortmund erbrachten Leistungen anerkennen lassen."

Niemand fühlt sich verantwortlich

Doch das kommt für Johanna nicht infrage, sie hat sich für den Master an der UDE entschieden und befürchtet außerdem, dass die UDE die Leistungen der TU nicht alle anerkennen könnte. Zumal ihr Master schon zwei Semester dauert und daher die Zeit für einen Uniwechsel knapp wird. Also versucht sie weiter, eine individuelle Lösung zu finden, und wendet sich an alle Stellen, die ihr einfallen. Doch niemand kann ihr helfen.

Hier am Campus der TU will Johanna eigentlich nicht mehr studieren. [Foto: Sophie Schädel]

Die Fachschaft verweist sie an die Prodekanin des Instituts, der Prüfungsausschuss sagt, ihm seien die Hände gebunden, weil das Land NRW den Auslandsaufenthalt im Lehrerausbildungsgesetz (LABG) vorschreibt. Das Institut für Internationales kann auch nicht helfen und schreibt, die Entscheidung über Leistungen liege beim zuständigen Dezernat. Doch das Dezernat findet ebenfalls keine Lösung und entscheidet seit November nicht über Johannas Härtefallantrag. Die TU verweist sie an die UDE, die UDE verweist sie an die TU. „Es ist einfach super frustrierend, zu wissen, dass andere Unis das anders handhaben", ärgert sich Johanna. Warum die TU Dortmund behauptet, laut LABG keine Alternativen zum Auslandsaufenthalt anbieten zu können, während unter anderem die UDE genau das für ihre Studierenden ermöglicht, beantwortete die TU auf Presseanfrage der akduell nicht.

Das BAföG-Amt macht Druck

Johanna läuft währenddessen die Zeit davon: Ihr BAföG steht auf dem Spiel. Eine Übergangslösung wie in ihrem Fall fördert das Amt höchstens für zwei Semester. Und die sind im Oktober um. „Ich weiß immer noch nicht, wie ich bis dahin die Leistung erbringen kann, weil ich sie nicht erbringen darf. Das ist sehr belastend."

Johanna bleiben drei Möglichkeiten: Sie kann ihr Studium an der TU Dortmund abschließen. Aber sie will es sich nicht nehmen lassen, ihre Uni selbst zu wählen. Sie ist vor drei Jahren von Dortmund nach Duisburg gezogen und möchte hier auch ihr im Master anstehendes Praxissemester absolvieren. „Das ist keine Befindlichkeit, das ist mein Recht", findet sie.

Bleiben noch zwei weitere Möglichkeiten: Sie könnte in den Bachelor an die UDE wechseln, um dort die Alternativleistung zum Auslandsaufenthalt zu erbringen. Doch ob die UDE alle ihre Bachelormodule und die schon geleisteten Mastermodule von der TU anerkennt oder sie dann einige davon erneut absolvieren müsste, ist nicht sicher. Außerdem würde sie wahrscheinlich kein BAföG bekommen, denn das gibt es, nachdem sie das bereits für ihren Bachelor an der TU bekommen hat, nur noch für ein Masterstudium. „Egal, für welche Lösung ich mich entscheide, es ist immer zu meinem Nachteil." Dabei versprachen Unis, Wissenschaftsministerien und Co. zu Beginn der Pandemie, Lösungen zu finden, damit keinen Studierenden die Pandemie zum Nachteil gereicht.

Reisen trotz Pandemie: Für Johanna keine Option

Die letzte Möglichkeit: Johanna könnte einen neuen Auslandsaufenthalt organisieren. Das kommt für sie aber nicht in Frage, gerade jetzt, wo man auch innerhalb von Deutschland nicht verreisen soll. Außerdem fehlt ihr das Geld: „Ich habe auf meinen Auslandsaufenthalt gespart. Die Ersparnisse musste ich dann aber für meinen Lebensunterhalt hier in Deutschland aufbrauchen, weil ich kein BAföG bekommen habe."

Johanna nimmt Corona ernst. „Ich finde nicht, dass man mit so einer ‚Ja kann man mal machen'-Einstellung mal einfach so ins Ausland reisen sollte. Ich will unter diesen Umständen nicht in ein anderes Land mit einem anderen Gesundheitssystem reisen. Dass das trotzdem gefordert wird, ist absurd." Was es in ihren Augen braucht, ist ein einheitlicher Umgang der Universitäten mit der Pandemie. Solange das Land hier keine klaren Regeln vorgibt, entscheiden die Universitäten nach eigenem Gusto, und Studierende wie Johanna bleiben auf der Strecke.

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