4 subscriptions and 2 subscribers
Article

Hürdenlauf: Internationale Studis an der UDE

Fiktionsbescheinigung, Sperrkontosumme - sagt dir nichts? Dann bist du wahrscheinlich deutsch. 19 Prozent der Studierenden an der Uni Duisburg-Essen sind international. Malina aus Georgien erzählt, warum vieles nervt und sie trotzdem bleiben will. Und Udo Rasum vom Akademischen Auslandsamt erklärt, warum internationale Studierende oft pleite sind.

Malina aus Georgien* steckt in einer misslichen Lage. Sie ist als internationale Studentin an der Uni Duisburg-Essen (UDE). Als wir im Juli das letzte Mal über die Soziologiestudentin berichtet haben, war ihre Aufenthaltserlaubnis abgelaufen, aber die Essener Ausländerbehörde hatte erst drei Monate später einen Termin zur Verlängerung, obwohl Malina ihn schon vor Monaten beantragt hatte. Damals hatte sie eine lange Mail an die Ausländerbehörde geschickt, ihre Situation beschrieben und um einen früheren Termin gebeten. Was hat sich seither ergeben? „Gar nichts", antwortet sie und lacht bitter. „Die haben sich nicht gemeldet. Ein paarmal habe ich dort angerufen, aber die Warteschleife ist unendlich lang und ich habe aufgegeben. Ich warte bis zu meinem Termin im Dezember und schaue dann, wie es weitergeht."

Mit diesem Problem ist sie nicht allein. Wie die im Oktober berichtete, beklagt UDE-Professor Martin Karlsson den Umgang der Essener Ausländerbehörde mit seiner vietnamesischen wissenschaftlichen Mitarbeiterin. Sie warte seit Wochen auf einen Termin dort und könne die Behörde nicht erreichen, auch weil die Telefonwarteschleife drei bis vier Stunden lang daure, so der Bericht. Außerdem spreche das Personal dort kein Englisch.

Auch die Organisation Pro Asyl Essen kritisiert die Situation: „Die Wartezeiten, vor allem für Anmeldungen und Verlängerungen der Aufenthaltstitel, müssen drastisch reduziert werden. Wir fordern die Stadtspitze auf, dringend dafür zu sorgen, dass die Wartezeiten reduziert und die Erreichbarkeit verbessert wird." Schuld an der Problematik ist ein drastischer Personalmangel. Die Behörde in Essen gab auf Fragen der akduell dazu bis Redaktionsschluss keine Antwort. Auf Termine bei der Behörde sind die Studierenden dringend angewiesen, denn sie stellt die Formulare aus, mit denen sie sich legal in Deutschland aufhalten und studieren dürfen. Sie brauchen sie für einen Job, ein Konto, einen Handy- und Mietvertrag.

Verbesserte Situation in Duisburg

In der Duisburger Ausländerbehörde sah es vor einem Jahr ähnlich aus. Damals berichtete die über die Zustände dort. Dutzende Studierende campierten nachts bis zu sieben Stunden vor der Tür, um einen Termin zu vereinbaren, doch viele bekamen trotzdem keinen. Die Presse berichtete, die Uni machte Druck. Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link versprach Personalverstärkung.

„Es gibt derzeit keine Schlangen vor der Duisburger Ausländerbehörde", gibt ein städtischer Pressesprecher bekannt. Doch noch immer kommen internationale Studierende erst mit einer Vorlaufzeit von neun Wochen an Termine. Das Akademische Auslandsamt der UDE ist im Kontakt mit den Behörden, um die Situation der Studierenden zu verbessern. Udo Rasum berät dort internationale Studierende bei Problemen mit Behörden oder finanziellen Engpässen. Er beobachtet die Terminlage mit Sorge.

„Gerade in Essen gibt es nicht genügend Sachbearbeiter. Das ist dieses Jahr tatsächlich ein großes Problem", moniert er. „Ich mache hier seit 2013 diese Beratung, aber so groß wie dieses Jahr war das Problem mit den langen Wartezeiten bei der Ausländerbehörde noch nie." In absoluten Krisenfällen bekomme er manchmal einen Notfalltermin für die Studierenden, die allein kein Gehör bei der Behörde finden.

„Die Uni hat natürlich ein Interesse daran, ihre Studierenden, aber auch Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler vernünftig mit Terminen versorgt zu wissen. Wir sind eine Uni mit starker internationaler Ausrichtung und circa 19 Prozent internationalen Studierenden, die sind ein wichtiger Faktor für uns", betont Rasum und wünscht sich mehr Personal für die Behörde. Malina hat diesen Monat ihren Termin in Essen und hofft, danach wieder eine Weile Ruhe zu haben.

10.000 Euro auf dem Konto

Doch Terminmangel beim Ausländeramt ist nicht die einzige Hürde, die internationale Studierende nehmen müssen. Schon für ihren Start hier brauchen sie einiges an Geld. 8.640 Euro musste Malina damals vor sechs Jahren auf ihrem Konto haben, um hier studieren zu dürfen. Die sogenannte Sperrkontosumme soll garantieren, dass die internationalen Studierenden hier ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können, denn sie bekommen von staatlichen Stellen kein Geld. „Das ist immer der BAföG-Höchstsatz für ein Jahr", erklärt Rasum die Sperrkontosumme. „Bisher waren das 8.640 Euro. Der BAföG-Höchstsatz wurde zum Wintersemester allerdings schon erhöht und steigt nochmal im Januar 2020. Damit steigt die erforderliche Summe für internationale Studierende auf 10.236 Euro. Das stellt auch viele Studierende, die schon länger hier sind, vor ein Problem."

Mit ihrem Sperrkonto bezahlen sie alles, was sie zum Leben brauchen, müssen aber die volle Summe jedes Mal wieder auf ihrem Konto haben, wenn sie bei der Ausländerbehörde sind, um ihre Aufenthaltserlaubnis zu verlängern - üblicherweise jährlich. Malina ärgert sich über das System: „Wenn man einen Job hat und gutes Geld verdient, sollte man nicht trotzdem noch tausende Euro zusammenkratzen müssen, um das Sperrkonto zu decken." Gerade zum Studieneinstieg hält sie die Regelung für überflüssig: „Es würde doch niemand in ein Land gehen, ohne sich finanzieren zu können. Niemand würde sich in eine so unsichere Lebenslage begeben, das ist doch unlogisch", beschwert sie sich.

Dass sie schon vor Studienbeginn fast 10.000 Euro von ihren Eltern brauchte, fand Malina damals nicht schlimm. „Ich war noch in Georgien und wusste nicht, dass Deutsche das nicht machen müssen", erinnert sie sich. „Erst als ich hier war, ist mir klargeworden, wie unterschiedlich die Zugänge zu bestimmten Bereichen sind." Malinas Familie konnte sie immer unterstützen. Andere Studierende haben weniger Glück, weiß Udo Rasum. „Es kann schon schwierig sein, überhaupt Geld von der Familie zu bekommen. Im Iran zum Beispiel hat das Geld wenig Wert, wenn man in Euro umtauscht. Auch der Transfer an sich ist von dort sehr schwierig. Darum sind Iraner oft bei mir in der Beratung. Auch die bestehenden Sanktionen gegen den Iran erschweren die Situation weiter."

Kein BAföG für Malina

Malina fand nach einem Jahr in Deutschland einen Job und konnte sich besser selbst finanzieren. Kurz darauf machten Geldsorgen ihr allerdings doch Angst, ausreisen zu müssen: „Ich hatte meinen Job gekündigt, weil er mir nicht gefallen hat, und dann lange keinen neuen gefunden. Da war ich ziemlich knapp bei Kasse und musste mir von Eltern und Freunden Geld leihen." Nur durch Glück lag in diesem Zeitraum ohne Job kein Termin bei der Ausländerbehörde, sonst wäre ihre Aufenthaltserlaubnis in Gefahr gewesen.

Malina arbeitet heute 20 Stunden pro Woche als wissenschaftliche Hilfskraft. Die Arbeitszeiten internationaler Studierender sind streng geregelt: „Als Sprachkursstudent darf man nur in den Ferien etwas verdienen", erklärt Udo Rasum. „Wenn man dann ins Fachstudium wechselt, darf man mehr arbeiten - in 120 vollen oder 240 halben Tagen im Jahr. Wer wissenschaftlich an der Uni oder in Praktika fürs Studium arbeitet, muss seine Arbeitszeit nicht auf diese Tage anrechnen." Jobs sind für die internationalen Studierenden essentiell, denn sie bekommen kein BAföG. „Das verstehe ich nicht", sagt Malina verärgert. „Ich muss ständig nebenbei 20 Stunden arbeiten. Darum dauert mein Studium länger, es ist stressig und es bleibt weniger Zeit zu lernen."

Malina hatte allerdings auch vor kurzem nochmal Sorgen um ihren Job und damit um ihre Sperrkontosumme. Da sie wegen des Personalmangels der Essener Ausländerbehörde ihre Aufenthaltserlaubnis nicht rechtzeitig verlängern konnte, wurde ihr eine sogenannte Fiktionsbescheinigung ausgestellt, eine Art Übergangsformular. Laut dem Düsseldorfer Aufenthaltsrechtsanwalt Marcel Keienborg eine Methode der Behörden, ihren Arbeitsaufwand zu verringern. Er spricht von einer Zettelwirtschaft.

Laut Udo Rasum kein Einzelfall: „Gerade wegen des Terminmangels stehen viele nur mit einer Fiktionsbescheinigung da. Innerhalb der EU könnte man sich damit noch relativ frei bewegen, obwohl wir das auch nicht unbedingt empfehlen, aber wenn man in einen Drittstaat reist, wird die Einreise zurück in die EU schwierig."

Was ist denn bitte eine Standardabweichung?

Malina hatte wegen der Fiktionsbescheinigung Angst, ihren Job zu verlieren. Sie hatte zusätzlich das Problem, dass sie statt dem gesetzlich vorgeschriebenen amtlichen Dokument lediglich einen Mailtext als Fiktionsbescheinigung bekam, trotz Beschwerde bei der Essener Ausländerbehörde. Damit ihren Arbeitsvertrag bei der Uni verlängern zu lassen, war gar nicht so einfach. „Ich musste mit vielen Stellen sprechen und hatte großes Glück. Die Uni hat meinen Vertrag bis einen Tag vor meinem Termin bei der Behörde verlängert", erzählt sie erleichtert. „Von dem Termin, bei dem ich hoffentlich meine Aufenthaltserlaubnis bekomme, renne ich damit sofort zur Univerwaltung, damit die mir schnell einen neuen Vertrag aufsetzen." Wenn alles glatt geht, hat sie so lückenlos Arbeit. Wenn der Behörde aber beispielsweise irgendein Dokument fehlen sollte, wird Malina gekündigt.

Dass Fiktionsbescheinigungen ein Problem auf dem Arbeitsmarkt sind, weiß auch Udo Rasum. Die Dokumente sollten - zumindest wenn sie als amtliche Papiere vorliegen - eigentlich für eine Anstellung ausreichen; so sieht es das Gesetz vor. Aber die Realität ist häufig anders, erzählt der Berater: „Zum Beispiel, wenn man nur eine Fiktionsbescheinigung für drei Monate hat. Das akzeptieren viele Arbeitgeber nicht, weil sie die Sicherheit haben wollen, die Studierenden länger beschäftigen zu können."

Die rechtlichen Rahmenbedingungen für das Studium für Internationale in Deutschland liefert Paragraph 16 des Aufenthaltsgesetzes. Sie dürfen hier studieren, müssen meist aber vorher einen Sprachkurs absolvieren und einen Deutschtest bestehen. „Innerhalb von einem Jahr bis 15 Monaten ungefähr sollte der Sprachkurs abgeschlossen sein, dann sollte man sich ins Fachstudium umschreiben", erklärt Udo Rasum die Rechtslage.

Malina hat ihren Deutschkurs damals schon in Georgien absolviert. Damit konnte sie sich nach ihrer Einreise im Alltag gut verständigen und knüpfte erste Freundschaften. Als sie dann ihr Studium begann, hatte sie trotzdem ziemlich zu kämpfen: „Das erste Semester war eine Katastrophe", erinnert sich Malina. „Das geht allen so. Ich habe einfach kein Wort verstanden!" Das Problem war die wissenschaftliche Sprache. „Ich habe Stunden damit verbracht, das Wort ‚Standardabweichung' zu übersetzen." Wie sich Werte in der Wahrscheinlichkeitsgrafik um den Mittelwert verteilen, hat Malina mittlerweile verstanden. Nach einem Jahr wurde es leichter in Vorlesungen mitzukommen, aber es blieb mühsam. „Wo die Kommilitonen einen Text nur lernen, müssen wir ihn erst übersetzen", erklärt Malina. Jetzt komme sie gut klar, und mithilfe von Freund*innen, die korrekturlesen, ist sie auch mit ihren Hausarbeiten mittlerweile zufrieden.

Wer zu langsam ist, fliegt raus

Udo Rasum kennt diese Sprachprobleme aus seiner Beratung. Vor allem wegen ihnen ist für internationale Studierende eine längere Regelstudienzeit angesetzt, erklärt er. „Normalerweise geht man davon aus, dass ein internationaler Student zehn Jahre Zeit für seinen Studienzyklus hat. Für die Sprachkurse braucht er ein Jahr, eineinhalb vielleicht. Für Bachelor und Master wird von der eineinhalbfachen Regelstudienzeit ausgegangen. Also neun Semester für den Bachelor, sechs Semester für den Master. Gegebenenfalls ist dann noch Zeit für eine Promotion, das kann aber knapp werden."

Malina macht bald ihren Masterabschluss und kam mit der angesetzten Studienzeit gut klar. Das geht aber nicht allen so; und wer den Zeitplan nicht einhält, kann ausgewiesen werden. „Im Jahr 2019 wurde bisher in 26 Fällen die Aufenthaltserlaubnis abgelehnt. Der Grund war meist die fehlende Studienleistung", erklärt Sebastian Hiedels, Pressesprecher der Stadt Duisburg, im November auf Anfrage.

Das bedeutet zusätzlichen Druck, wenn man mal eine Klausur nicht besteht. Gerade zu Studienbeginn fallen die Klausuren den internationalen Studierenden besonders schwer, berichtet Malina. Sie flog im ersten Semester durch fast jede Klausur, schaffte nur eine mit der Note 3,0. „Da war ich richtig stolz", erinnert sie sich lachend. „Die anderen Klausuren musste ich nachschreiben. Weil mein Aufenthaltstitel zwei Jahre lief, habe ich es aber bis zum nächsten Termin bei der Behörde geschafft, alles Nötige zu bestehen."

„Im Großen und Ganzen funktioniert es"

„Auch deutsche Studierende schaffen die Regelstudienzeit ja oft nicht", betont Rasum. „Deswegen ist es ganz normal, dass es bei den internationalen auch ein bisschen länger dauern kann." Wer den Studiengang wechseln möchte, sollte das innerhalb der ersten drei Semester tun, da dann die Berechnung nochmal bei Null anfängt. Später empfiehlt Rasum, den Wechsel nicht komplett fachfremd zu machen, um zumindest einige alte Prüfungsleistungen anrechnen lassen zu können.

Malina hat vor, auch nach ihrem Master in Deutschland zu bleiben. „Ich habe mir hier ein Leben aufgebaut. Mein Studium lässt sich nicht so einfach auf die Systeme in anderen Ländern übertragen. und die ganzen Fachbegriffe habe ich ja auch auf deutsch gelernt", argumentiert sie. Beim Übergang in die Berufswelt kann sie es etwas lockerer angehen lassen als andere internationale Studierende, denn Malina hat kürzlich hier geheiratet. Damit fällt sie rechtlich in eine andere Kategorie und muss viele der Regelungen nicht mehr erfüllen. Andere internationale Studierende, die ihren Abschluss machen und in Deutschland bleiben wollen, bekommen für die Jobsuche ein Visum über 18 Monate. Schaffen sie es in der Zeit nicht, eine ihrem Abschluss angemessene Anstellung zu finden, müssen sie das Land verlassen.

Malina zieht nun am Ende ihres Studiums mit gemischten Gefühlen ein Fazit zum deutschen System für internationale Studierende: „Im Großen und Ganzen funktioniert es, und die meisten schaffen es irgendwie. Aber ich finde, man legt den Menschen Steine in den Weg. Wir stehen unter einem starken psychischen Druck wegen der ständigen Kontrolle." Sie hat Verständnis dafür, dass die Behörde manches kontrollieren muss. „Aber in dem Maße ist das übertrieben und belastet einen sehr", befindet sie. „Wir müssen auf alles mögliche achten, auf das die deutschen Studis nicht achten müssen." *Name und Herkunftsland wurden geändert.

Original