Bevor Péter Vida nur den Mund aufmachen kann, schreit die Frau bereits: "Runter von meinem Grundstück!" Vida gehorcht und tritt den Rückzug an. Als sie ihm aber hinterherruft, er sei "bestimmt von den Zeugen Jehovas", dreht er sich doch noch mal um und stellt klar: "Nein, ich bin von den Freien Wählern."
Haustürwahlkampf ist kein Zuckerschlecken, erst recht nicht als Vertreter einer Kleinpartei. Péter Vida, 35, ist Vorsitzender der "Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegungen/Freie Wähler" (BVB/FW). Bei der letzten Landtagswahl kamen sie auf gerade einmal 2,7 Prozent.
Diesmal sehen die meisten Umfragen die Freien Wähler aktuell bei bis zu vier Prozent. Und trotzdem könnten sie nach dieser Wahl eine entscheidende Rolle spielen: Womöglich reden sie sogar mit, wenn es darum geht, wer Brandenburg künftig regiert.
Dafür aber muss Péter Vida kräftig Erststimmen sammeln und seinen Wahlkreis Barnim II direkt gewinnen, was das Portal wahlkreisprognose.de durchaus für wahrscheinlich hält. Dann würde nicht nur Vida für die BVB/FW in den Landtag einziehen, sondern auch weitere Abgeordnete - dank der in Brandenburg geltenden sogenannten Grundmandatsklausel. Diese besagt: Gewinnt eine Partei mindestens ein Direktmandat, dann wird ihr Zweitstimmenanteil bei der Vergabe von Landtagssitzen auch dann berücksichtigt, wenn er unter der Fünf-Prozent-Hürde liegt.
Vier Prozent - das könnte vier oder fünf Sitze bedeuten. Und da die Demoskopen ein enges Rennen für Brandenburg voraussagen, könnte es bei der Suche nach einer stabilen Mehrheit auf diese Sitze ankommen.
Freie Wähler schon jetzt im Landtag vertreten
Schon bei der letzten Wahl war die Gruppierung trotz ihres mageren Ergebnisses mit drei Abgeordneten ins Potsdamer Parlament eingezogen. 2014 gewann Christoph Schulze den Wahlkreis Teltow-Fläming. Schulze konnte von seinem Heimvorteil profitieren: Er hatte seinen Wahlkreis seit 1990 immer gewonnen, zuvor allerdings stets für die SPD.
Die Freien Wähler hatten schließlich drei Abgeordnete im Landtag. Doch die Gruppe zerstritt sich, Schulze und eine Kollegin traten aus, seither sitzt allein Vida noch für die BVB/FW im Parlament. "Das war eine schwere Zeit, aber wir sind gestärkt daraus hervorgegangen", sagt Vida. Sollte man tatsächlich eine Rolle bei der Koalitionsbildung spielen, sei er bereit, mit allen Parteien außer der AfD Gespräche zu führen.
Vida hofft auf einen Lokalbonus. Bei den Kommunalwahlen wurden die Freien Wähler stärkste Kraft in der Stadtverordnetenversammlung Bernaus, Vida ist Vorsitzender des Kommunalparlaments. Auch im landesweiten Vergleich schnitten die Freien Wähler in Barnim besonders gut ab.
Neun Stimmen Vorsprung entschieden den Wahlkreis
Doch Barnim II ist ein hart umkämpfter Wahlkreis. 2009 gewann die SPD-Abgeordnete und derzeitige Landtagspräsidentin Britta Stark das Direktmandat mit nur neun Stimmen Vorsprung gegen Ralf Christoffers, Kandidat der Linken. Beide bewerben sich auch dieses Jahr wieder um den direkten Einzug in den Landtag. Es könnte also eng werden für Vida.
Entsprechend intensiv kämpft er in Bernau und Umgebung um die Stimmen. Im Bernauer Zentrum dominieren die gelb-blauen Plakate der Freien Wähler, an jeder Ecke hängt sein Gesicht. Vida hat sich vorgenommen, dass bis zur Wahl an jeder Tür im Wahlkreis mindestens einmal ein Vertreter der Freien Wähler geklingelt haben soll.
Das Gebiet haben er und seine Helfer untereinander aufgeteilt. Vida selbst hat Schwanebeck übernommen, wo die Freien Wähler bei den Kommunalwahlen deutlich schlechter abgeschnitten haben. Die Anspannung des Wahlkampfes ist ihm anzumerken. Nervös tänzelt er auf und ab, wenn er darauf wartet, dass ihm die Türen geöffnet werden, das Handy legt er kaum aus der Hand.
Péter Vida hat die Gruppe BVB/FW 2009 mitgegründet. Vorher war der Politiker mit ungarischen Wurzeln bei der CDU und einer kommunalen Wählergruppe aktiv. Die Freien Wähler in Brandenburg arbeiten zwar mit der Bundesvereinigung der Freien Wähler zusammen, sind aber nicht Mitglied dort. Vida erklärt, man wolle sich vollkommen auf die Kommunal- und Landespolitik in Brandenburg konzentrieren, ohne dass vom Bund aus jemand mitmischt.
Auch inhaltlich unterscheiden sich die Brandenburger Freien Wähler von anderen, die den gleichen Namen tragen. Während etwa die Freien Wähler in Bayern zusammen mit der CSU in einer konservativ-bürgerlichen Koalition regieren, setzt man in Brandenburg auf ein liberaleres Profil und fordert im Wahlprogramm unter anderem kostenlose Kitas, den Ausbau des Nahverkehrs und mehr Unterstützung für Geflüchtete bei der Integration. "Wir sind nicht so konservativ verwurzelt wie die in Bayern", sagt Vida. Er sieht die Freien Wähler ohnehin nicht als Partei mit ideologischem Überbau, sondern eher als Sammlung kommunaler Initiativen und Gruppen.
Seit sechs Wochen ist er fast jeden Abend unterwegs, auch am Wochenende. Vidas Überzeugung ist: "Wenn man die Leute an der Tür erreicht, beschäftigen sie sich eher mit den ortsbezogenen Inhalten." Sobald jemand die Tür öffnet, versucht Vida schnell die wichtigsten Punkte loszuwerden: keine Nachverdichtung im Ort, S-Bahn nach Berlin im Zehn-Minuten-Takt - Themen, die die Leute bewegen.
Die Flüchtlingspolitik spielt eher selten eine Rolle, auch wenn sie für Vida persönlich besonders wichtig ist. Er ist Vorsitzender des Barnimer Migrationsbeirates und Vertreter im Integrationsrat des Landes Brandenburg.
Auf die Inhalte, sagt er, komme es ihm auch an, wenn nach der Wahl jemand wegen der Regierungsbildung anklopfen sollte. "Wir werden kein bloßer Mehrheitsbeschaffer sein", betont Vida. Ihm gehe es nicht um Ministerposten. Er gibt sich lieber als der bescheidene, aber forsche Politiker, der sich für die Interessen der Bürger einsetzt. An einem Regierungsbündnis will er sich nur beteiligen, wenn seine Punkte mit in den Koalitionsvertrag aufgenommen werden.
Damit es soweit überhaupt kommen könnte, will Vida bis zum Wahlsonntag an mehr als 3000 Türen geklingelt haben, um für die nötigen Stimmen zu werben. Und wenn er scheitert? Damit beschäftigt er sich angeblich nicht. "Ich will nicht Gedanken darauf verschwenden, dass es nicht klappt, wenn es gerade so gut läuft."