Von Sophie Crocoll und Christian Ramthun
Wer die Wohnungsnot wirksam bekämpfen will, muss sich mit dem größten Engpass befassen: Bauland. Noch dominieren Scheinlösungen die politische Debatte, aber einige Städte und Gemeinden setzen lieber auf pragmatische Ansätze - was auch einem 93-jährigen Exminister zu verdanken ist.
Wer nach Markt Allersberg kommt, fährt durch ein historisches Tor, passiert Gaststätten mit Namen wie Zur goldenen Sonne, eine Metzgerei, eine Bäckerei, alles Familienbetriebe. Und am barocken Marktplatz gibt es neben dem Rathaus die genauso obligatorische italienische Eisdiele. Es scheint, als sei in dem Städtchen südlich von Nürnberg die Welt tatsächlich noch in Ordnung.
Doch die Beschaulichkeit trügt. Denn Markt Allersberg boomt, erlebt einen Zuwanderungsboom. Inzwischen leben 8.500 Einwohner hier. Viele pendeln ins benachbarte Nürnberg, die Bahnverbindung ist gut.
Für Bürgermeister Daniel Horndasch bringt das rasante Wachstum Aufgaben mit sich, mit denen der einstige Steuerfahnder nie gerechnet hätte: „Mein Job lautet, Bauland zu besorgen." Und das ist schwieriger als gedacht. Zwar gibt es rund um Markt Allersberg überall Äcker. Doch wo jetzt noch Weizen und Mais wachsen, entstehen nicht bald schon Häuser. Denn auch hier, weit weg von Metropolen wie Berlin, München und Hamburg, wo eigentlich viel Platz ist, gilt Boden für Wohnen und Gewerbe als rares Gut.
Um die Wohnungsnot zu lindern, muss mehr gebaut werden - darüber sind sich alle einig. Also stellt sich die Frage, warum so wenige neue Gebäude entstehen. Die Antwort liefert diese Geschichte eines Investors.
Warum sollten die Bauern ihr Land verkaufen? Warum jetzt, wenn sie in zwei Jahren vielleicht zehn Prozent mehr dafür bekommen, es auf der Bank null Zinsen gibt und sie fast 50 Prozent Steuern auf den Verkaufserlös zahlen müssten? Diese rhetorischen Fragen stellt der bäuerliche Kreisobmann Thomas Schmidt. Und er hat auch noch ein Gegenargument parat: „Unser Boden ist sicherer als ein Bankkonto." Und trotzdem: Horndasch und Schmidt treffen sich regelmäßig, um Wege aus der Krise zu finden. Denn nur wer Boden mobilisiert, kann am Ende auch Häuser bauen und die Wohnraumknappheit bekämpfen. Wie schwierig dieses Geschäft in der dicht besiedelten Bundesrepublik ist, zeigt der Preisindex, der das angespannte Verhältnis von Angebot und Nachfrage am Immobilienmarkt widerspiegelt. Häuser sind in den vergangenen zehn Jahren bundesweit um rund die Hälfte teurer geworden. Das hat auch mit steigenden Baukosten und Auflagen zu tun, aber eben nur auch. Der größte Anstieg kommt vom Bauland, das sich um zwei Drittel verteuerte.
Besonders betroffen sind die Metropolen, wo sich die Preise seit 2014 mehr als verdoppelt haben. Erst hat sich die Welle in die größeren Städte vorgefressen, nun erreicht sie deren Umland. Damit ist Bauland fast überall zum wichtigsten Engpass und damit zum Preistreiber Nummer eins am deutschen Wohnungsmarkt geworden. Es gibt nicht die eine pauschale Lösung: Sich hinsetzen und gemeinsam Probleme angehen wie in Markt Allersberg hilft. Aber auch andere Orte taugen als Vorbilder - etwa Ulm, wo die Stadt seit Langem ein Budget für vorausschauende Grundstückskäufe hat.
Um möglichst alle Ideen einzusammeln, ließ der zuständige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eine Baulandkommission tagen. Anfang Juli stellte die Runde aus Experten ihre Empfehlungen vor. Zu den Vorschlägen gehört eine Anpassung des Haushaltsrechts, damit kommunale Grundstücke nicht mehr zu Höchstpreisen verkauft werden. Gemeinden sollten Boden auf Vorrat kaufen, der Dachgeschossausbau erleichtert und Experimentierklauseln eingeführt werden, um den Lärmschutz in der Nähe von Betrieben zu lockern.
Die Vorschläge der Kommission fügen sich ein in eine Reihe politischer Vorstöße, die mal mehr, mal weniger praxistauglich sind. So hat die Bundesregierung im Zuge der Grundsteuerreform gerade erst einen Gesetzentwurf beschlossen, der den Kommunen erlauben soll, unbebautes Bauland zusätzlich zu besteuern. In Tübingen will Oberbürgermeister Boris Palmer von den Grünen ein Baugebot für unbebaute Grundstücke durchsetzen. Und in Berlin wird bereits diskutiert, was woanders zumeist noch ein Tabu ist: Notfalls soll es Enteignungen von Wohnungseigentümern geben.
Viele der mitunter populistischen Vorschläge zur Bekämpfung der Wohnungsnot haben eins gemeinsam: Sie sorgen kaum dafür, dass mehr gebaut wird. Denn dafür braucht es den Grund und Boden. Dass diese Erkenntnis im Jahr 2019 für viele noch eine Überraschung ist, verwundert, weil das Baulandproblem seit Jahrzehnten bekannt ist. Ein Besuch im Altenheim, im Münchner Augustinum, wo Hans-Jochen Vogel lebt. Der frühere Münchner Oberbürgermeister, Bundesbauminister und SPD-Vorsitzende ist inzwischen 93 Jahre alt. Manche Probleme bleiben ein Leben lang, weiß Vogel. Bauland gehört dazu.
Komplizierte Graswurzelarbeit
Anfang der Siebzigerjahre war die Situation ähnlich wie heute, „eine Explosion der Baulandpreise", erinnert sich Vogel. „Der Spiegel" etwa schrieb 1970 von „Phantasiepreisen" und der „Hochkonjunktur von Grundstücksspekulanten". Vogel wollte als verantwortlicher Bauminister dagegen etwas tun und einen sogenannten Planungswertausgleich einführen. Gemeint ist, beim Verkauf von Bauland die Wertsteigerung abzuschöpfen, die sich allein aus der Ausweisung als Bauland oder der Ankündigung von Infrastrukturmaßnahmen ergibt.
Dahinter steckt folgende Begründung: Anders als bei Häusern, die man schafft oder erhält, tun Bodeneigentümer nichts dafür, den Wert ihres Grundstücks zu steigern. Sie profitieren lediglich davon, dass eine Kommune überhaupt erst Bauland ausweist oder die nötige Infrastruktur schafft. Die Kosten dafür trägt der Staat, also die Steuerzahler. Den Gewinn, nun Boden in attraktiver Lage zu besitzen, aber haben die Grundstückseigentümer für sich.
Leistungslose Bodenwertsteigerung nennen Ökonomen das. Dirk Löhr, Professor für Steuerlehre und Ökologische Ökonomik an der Hochschule Trier, beziffert sie derzeit auf 150 Milliarden Euro jährlich. Vogel schwebt deshalb auch ein spezielles kommunales Ankaufsrecht für unbebaute Grundstücke vor. „Das bedeutet Enteignung."
Für neue Wohnungen fehlen Bauland und Handwerker, heißt es. Oft verhindern jedoch Spekulanten, dass gebaut wird. Kommunen wollen sie ausbremsen, treffen jedoch häufig die falschen.
Enteignung. Das Wort hat plötzlich wieder Konjunktur, seit Wohnungsnot und explodierende Mietpreise Bürger und Politik beschäftigen. Mal wieder. Zwar sind Enteignungen in Deutschland Alltag, wenn es um den Bau von Straßen, Radwegen oder neuen Bahntrassen geht. Aber Enteignungen als Instrument für Wohnungsbau? Und womöglich noch mit einem Vogel'schen Planungswertausgleich? Bürgermeister Horndasch hält davon nichts. Sogar „gar nichts", sagt er. Denn dann würde sein eh schon mühsames Geschäft noch schwieriger. „Gerade die Franken würden auf stur stellen." Die Folge wären langwierige juristische Auseinandersetzungen ums Bauland. In den nächsten acht bis zehn Jahren würde sich nichts mehr in Markt Allersberg tun, die Wohnungsnot nähme zu, fürchtet er. Deshalb ist Horndasch auch verärgert über „die in Berlin". Der parteilose Bürgermeister meint damit allerdings nicht die Bundesregierung, sondern den rot-rot-grünen Senat. „Mit ihren Enteignungssprüchen und Mietpreisbremsen verschrecken sie Investoren, und zwar landesweit." Unruhige Zeiten seien aber schlecht für Investitionen, Das sieht Kreisoberbauer Schmidt genauso: „Enteignungen würden die Stimmung kaputt machen."
Allein durch Kritik an Berlin entsteht allerdings auch in Markt Allersberg kein einziges Haus. Was also tun? Reden. Verhandeln. Entscheiden. Bürgermeister und Bauern setzen sich immer wieder zusammen, es ist eine komplizierte Graswurzelarbeit.
Was auch damit zu tun hat, dass es nicht reicht, neues Bauland auszuweisen. Für jedes neue Bau- oder auch Gewerbegebiet muss auch eine entsprechende Ausgleichsfläche für den Naturschutz geschaffen werden. Es müssen also gleich zweimal Flächen organisiert werden. Das ist in der Regel ein zusätzliches Problem. Manchmal aber auch Teil der Lösung. Denn einige Landwirte erfüllen gern die ökologischen Ausgleichsauflagen, natürlich gegen Entlohnung.
Aber die allgemeine Bereitschaft zum Konsens reicht auch nicht. Denn es gibt noch ein steuerliches Problem, das der Verkauf von Bauerwartungsland für die Bauern mit sich bringt. Denn die Äcker und Weiden sind Teil des Betriebsvermögens, und Veräußerungsgewinne sind voll zu versteuern. Das kann fast die Hälfte des Verkaufserlöses kosten. So etwas nennen Bauern inzwischen auch einen Anreizkiller.
Für den Bundestagsabgeordneten Sebastian Brehm (CSU) ist es deshalb ein „Riesenthema". Eine Arbeitsgruppe seiner Partei entwickelt ebenfalls gerade allerlei Ideen zur Mobilisierung von zusätzlichem Bauland. Auch Steuerfachmann Brehm hat sich was ausgedacht: Wenn Bodenverkäufer ihren Gewinn binnen fünf Jahren reinvestieren, zum Beispiel in neue Wohnungen mit einer Sozialbindung für 20 Jahre, soll ihnen die Gewinnsteuer erlassen werden.
Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen (SEM)
Um das Vorkaufsrecht durchzusetzen, kann die Kommune eine solche Maßnahme für ein räumlich begrenztes Gebiet beschließen. Dann muss sie laut Gesetz nachweisen, dass das Vorkaufsrecht dem „Wohl der Allgemeinheit" dient und offen legen, wie sie das Bauland nutzen will. In die Grundbücher der betroffenen Grundstücke wird ein Vermerk zur SEM eingetragen.
Solche Entwicklungsmaßnahmen beschließen vor allem Großstädte, um größere Flächen für Wohnbauprojekte zu erschließen. Die Kommune kann dabei die Bodenpreise einfrieren, Grundstücke erwerben, Verkaufsgewinne in Infrastruktur investieren und notfalls Eigentümer enteignen.
Bürgerinitiativen wie Heimatboden in München zweifeln daran, dass eine SEM ohne Enteignung rechtlich zulässig sei. Für solche Fälle gebe es andere Maßnahmen, die weniger stark in die Rechte von Grundstückseigentümern eingriffen. Sie nennt als Beispiel die sozialgerechte Bodennutzung (Sobon).
Es könnte eine Lösung sein, würde das Steuerrecht aber auch nicht gerade vereinfachen. „Doch es wäre eine Maßnahme im Sinne der sozialen Marktwirtschaft", meint Brehm - in Abgrenzung zu linken Enteignungsvorschlägen.
Am besten wäre es jedoch, gar keinen Mangel an Bauland entstehen zu lassen. Ein Credo, mit dem Ulm seit 125 Jahren gut lebt: Die Baulandpreise in der Stadt sind in den vergangenen zehn Jahren vergleichsweise moderat gestiegen - um knapp 40 Prozent (siehe Grafik Seite unten). In Ulm leitet Ulrich Soldner seit fast drei Jahrzehnten die Abteilung Liegenschaften. Im Besprechungszimmer hängen trotzdem keine vergilbten Plakate, sondern Pläne für künftige Baugrundstücke und einen Industriepark.
„Wien ist besser als Ulm", sagt Soldner gleich zu Beginn des Gesprächs, als wolle er einer Enttäuschung vorbeugen. Er meint damit: In der österreichischen Hauptstadt werden zwei Drittel aller Mietwohnungen öffentlich gefördert - ein Grund, warum Wien derzeit international als Mekka der Wohnpolitik gilt. In Ulm ist es nur ein Drittel der Mietwohnungen. Allerdings weist Soldner auf einen Unterschied hin: „Im Verhältnis gesehen, hat Wien lange nicht die Baulandreserven wie wir."
Etwa 4500 Hektar Land gehören der Stadt Ulm, mehr als ein Drittel des Stadtgebiets, sie hält Reserven für 4000 neue Wohneinheiten. Die Stadt kauft oft auf Jahrzehnte im Voraus Flächen, um sie irgendwann für Wohn- oder Gewerbegebiete oder auch im Tausch für andere Grundstücke zu nutzen. Zwölf Millionen Euro pro Jahr sind dafür im Haushalt eingeplant. Aber wenn sich eine besondere Gelegenheit zum Kauf bietet, genehmigt der Gemeinderat auch einmal das dreifache Budget.
Das ermöglicht der Stadt einen besonderen Umgang mit Boden: In Ulm können Investoren Bauland nur von der Stadt selbst erwerben - denn ein Bebauungsplan wird erst dann rechtskräftig, wenn alle vorgesehenen Grundstücke der Stadt gehören. Es komme schon auch vor, dass man einen Eigentümer nicht überzeugen könne, an die Stadt zu verkaufen, gibt Soldner zu: „Aber dann entsteht dort halt kein Baugebiet." Im Grunde wirkt Ulm als Zwischenhändler: Die Stadt kauft Eigentümern ihren Boden zum Wert von Bauerwartungsland ab - etwa für 80 Euro pro Quadratmeter - und gibt ihn dann laut Soldner „zu angemessenen und familienfreundlichen" Preisen wieder ab. Bei erschlossenem Bauland für das Wohnen liegt der Preis bei 150 bis 300 Euro pro Quadratmeter. Die ursprünglichen Eigentümer hätten trotzdem einen erheblichen Wertzuwachs, sagt Soldner - „aber der Bodenwert schießt nicht von fünf auf 500 Euro hoch".
Außerdem müssen sich Käufer in Ulm verpflichten, ihre Immobilie in einem bestimmten Zeitrahmen fertigzustellen - bei Einfamilienhäusern eineinhalb Jahre - und selbst einzuziehen. Andernfalls droht eine Vertragsstrafe. Bleiben Grundstücke unbebaut, müssen sie an die Stadt zurückverkauft werden - und zwar zum von ihr einmal gezahlten Kaufpreis. Es komme selten vor, dass solche Fälle einträten, sagt Soldner: „Aber wenn, werden wir etwas unangenehm."
So konsequent sind andere Kommunen nicht. 2017 zählte das Statistische Bundesamt einen Überhang von mehr als 650.000 bereits genehmigten, aber noch nicht fertiggestellten Wohnungen - seit 2008 steigt diese Zahl. Allein in Berlin könnte es den Genehmigungen nach knapp 50.000 Wohnungen mehr geben. Das sei aus Sicht von Investoren durchaus verständlich, sagt Michael Voigtländer, Immobilienexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln: „Wir erleben den ökonomischen Fehlanreiz, dass es sich - auch wegen enorm gefallener Zinsen - für Investoren lohnt, Grundstücke zurückzuhalten." Und zu warten, weil die Preise von Jahr zu Jahr steigen. Da ist der Großinvestor in Berlin nicht anders als der Landwirt in Markt Allersberg.
Ob Bauer oder Oligarch - überall verschärfen Spekulanten so die Wohnungsnot. Es sei denn, die Kommunen vereinbaren von Anfang an ein klares Baugebot und setzen es anschließend auch konsequent um. Wie in Ulm. Oder sie reden miteinander wie in Markt Allersberg.
Ohne zu viele Worte. Ohne allzu viel politischen Aktionismus.
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