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Chile: Fast wie zu Zeiten Pinochets

Für die Eskalation hatte es nicht mehr viel gebraucht. Anfang Oktober wurde der Fahrpreis der U-Bahn in Hauptstadt Santiago von 800 auf 830 Pesos angehoben, umgerechnet eine Erhöhung um vier Cent. Eine Woche später brennen Barrikaden im ganzen Land, die Regierung hat den Notzustand ausgerufen, mindestens zwölf Menschen sind bereits ums Leben gekommen.

Chile war bisher das Vorzeigeland Lateinamerikas. Das erste OECD-Mitgliedsland der Region mit hohem Wirtschaftswachstum galt lange als das sicherste und stabilste Land des Kontinents, im Dezember soll der Weltklimagipfel in stattfinden. Doch das Land steht vor vielen Problemen. Das neoliberale Wirtschaftssystem, das in der Militärdiktatur von Pinochet (1973-1990) eingeführt und anschließend von den demokratischen Regierungen weitergeführt wurde, hat die Gräben zwischen Arm und Reich immer weiter vertieft. Strom, Wasser, Bildung, Gesundheits- und Rentensystem - alles ist privatisiert.

Chile ist eines der Länder mit der höchsten sozialen Ungleichheit weltweit: Ein Prozent der Bevölkerung konzentriert fast ein Drittel des Reichtums. Die Hälfte der Bevölkerung Chiles verdient weniger als 400.000 Pesos im Monat, umgerechnet etwa 500 Euro. Der Großteil der Bevölkerung gibt etwa zehn Prozent seines Monatslohns dafür aus, zur Arbeit und wieder nach Hause zu kommen. Die Mindestrente liegt umgerechnet zwischen 100 und 200 Euro. Viele Studenten müssen sich verschulden, um das Studium zu bezahlen.

Anfang Oktober waren es zunächst die Schüler, die sich gegen die U-Bahn-Preise auflehnten. In der ganzen Stadt organisierten sie sogenannte evasiones, Aktionen des kollektiven Schwarzfahrens. Am vergangenen Freitag weiteten sich die Proteste von den U-Bahn-Stationen auf die gesamte Stadt aus. Die Regierung hat die Tariferhöhung der U-Bahn zwar mittlerweile zurückgezogen, aber die Wut der Bevölkerung lässt sich nicht mehr eindämmen.

"Es geht nicht nur um die 30 Pesos, sondern es geht um 30 Jahre Machtmissbrauch", sagt Catalina Magaña von der Studentenorganisation Confech. "Wir haben genug von den miserablen Renten, von den hohen Wasserpreisen und den hohen Studiengebühren. Wir haben genug davon, dass wir uns verschulden müssen, um zu überleben. Das Land steht vor dem Kollaps. Es ist Zeit, dass die Regierung uns endlich hört."

Demonstrationen gibt es in Chile immer wieder und oft werden sie von Schülern und Studenten angeführt. Doch dieses Mal sind Menschen jeden Alters auf den Straßen und machen Lärm mit Kochtöpfen bei den sogenannten cacerolazos, einer Protestaktion aus der Zeit der Militärdiktatur. " Chile despertó", "Chile ist aufgewacht", rufen sie. Wie viele Demonstranten es genau sind, lässt sich schwer sagen. Es sind Hunderte und sie scheinen mit jedem Tag mehr zu werden.

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