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Die Welt in uns: Alpensagen heute – mehr als ein PR-Köder?

Alpensagen – jeder kennt ein paar davon – gehören für die meisten in die Märchen-Schublade. Diese wird geöffnet, wenn Kindern eine Wanderung schmackhaft gemacht werden soll oder Erwachsenen eine Urlaubsregion. Man bedient sich ihrer völlig unabhängig vom ursprünglichen Zweck und Entstehungshintergrund. Denn Sagen blühten u.a. dort auf, wo unheimliche Phänomene erklärt werden wollten. Diese sind dank der Wissenschaft inzwischen entmystifiziert, der eigentliche Zweck der Sagen also stark entkräftet. Doch der Mensch ist ein Geschichtenerzähler und als „homo narrans“ findet er neue Wege, sich mit Sagenschauplätzen zu verbinden – unter neuen Vorzeichen.


Was ist aus ihnen geworden, den alten Sagen, die im Alpenraum besonders dicht angesiedelt sind? Sind sie noch lebendig oder existieren sie nur noch als leere Hülsen in den Werbeprospekten der Regionen oder auf Themenwanderwegen, wo Sagengestalten etwa zu Quiz-Maskottchen diminuiert werden? Wenn man sich auf die Suche macht, muss man schnell feststellen: In ihrem vollen Funktionsumfang sind sie – natürlich – nicht mehr erhalten. Zu viel hat sich verändert seit ihrer Entstehung. Doch manches ist auch geblieben oder hat sich neue Wege gebahnt, um Ausdruck zu finden.


Erklärung ungewöhnlicher Phänomene

Ein See von erstaunlicher Farbe, ein bizarr verwitterter Felsturm oder kleine blaue Flämmchen rund um den Gipfel – solche Phänomene schreien förmlich nach einer Erklärung. In Zeiten, da die Wissenschaft auf diesem Gebiet noch nichts Ausreichendes zu bieten hatte, griff man der Einfachheit halber in die Wunderkiste. Und beförderte eine mythisierende Geschichte zu Tage, die einen mehr oder weniger befriedigenden Deutungsansatz bot, manchmal auch noch eine Handlungsempfehlung bereit hielt. In einer gebirgigen Landschaft, in der man mit Wetterextremen, Murenabgängen und Lawinen zurecht kommen musste, in der Schluchten, Grate und Türme die Phantasie anregten und in der die Natur ihre Macht und Gewalt regelmäßig zur Schau stellte, war ein solches Bedürfnis nach Erklärung besonders groß. Angst wird bekanntlich erträglicher, wenn sie in eine konkrete Form gegossen wird und das Diffuse verliert. Also sponnen sich feine Geschichten rund um das Alpenglühen des Rosengartens oder um die Vergletscherung des Hochkönigs. Die Sagen sind damit Antworten auf erklärungsbedürftige Tatsachen oder Ereignisse, die in irgendeiner Form eingeordnet werden mussten. „Irritierende Wirklichkeitserfahrung ist ihr Keim und ihre Gestalt eine Ausdrucksform existentieller Unsicherheit.“ drückt es Helge Gerndt1 aus.


Heute gibt es umfangreiche meteorologische und geologische Erklärungen. Außerdem zahlreiche Lehrbücher zum richtigen Verhalten im Gebirge. Für den zunehmenden Eis- und Steinschlag werden eher Faktoren wie der auftauende Permafrost oder natürliche Erosion verantwortlich gemacht als der Teufel, der aus Wut über eine gutherzige Aktion mit Felsbrocken um sich wirft. So wie etwa an der Teufelskanzel im Zahmen Kaiser, einem kühnen Felsturm, der jederzeit abzustürzen droht. Der Teufel hatte ihn für seine Predigten benutzt, die zu seinem Bedauern niemand hören wollte. Voller Wut darüber schleuderte er sie auf die Widerspenstigen – doch Gottes Hand hielt den Felsen an der heute noch zu sehenden Stelle fest. Diese Sichtweise wird heutzutage niemand mehr teilen ...


Den vollständigen Artikel lesen Sie im Alpenvereinsjahrbuch 2023.