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Respektpersönchen

Wien. Tretgitter aufstellen. Abbauen, an neuen Stellen wieder aufstellen und wieder abbauen. Das wird Romana Lang-Seyringers diesen Freitag machen. Ein einfacher Part. Überschaubar. Unkompliziert. Unspektakulär. Trotzdem hat sie ein mulmiges Gefühl. Zu präsent sind ihr die Bilder aus dem vergangenen Jahr. "Es kann alles und nichts passieren", murmelt die 34-Jährige.

Diesen Freitag findet der Akademikerball statt. 6000 Demonstranten werden erwartet. Wieder werden sie gegen den von der FPÖ veranstalteten Burschenschafterball in der Wiener Hofburg protestieren. Und wieder werden einige dabei sein, denen es um etwas ganz anderes geht als um einen friedlichen Protestmarsch. Vergangenes Jahr kam es zu Ausschreitungen. Fensterscheiben gingen zu Bruch, Menschen wurden verletzt. Auch die Polizei stand im Fokus. Unvorbereitet soll sie gewesen sein, nicht mehr Herrin der Lage über die gewaltbereiten Randalierer. Und brutal. Für die einen waren die Beamten zu hart, für die anderen zu weich.

Lang-Seyringer ist ein bisschen nervös. Was wird dieses Jahr passieren? Wie werden die Demonstranten auf sie reagieren, eine Schülerin, die nur die Tretgitter auf- und wieder abbaut? Keiner wird wissen, dass Lang-Seyringer frisch von der Schule kommt. Dass ihr noch wenige Monate bis zum Abschluss fehlen. Man wird keine Nachsicht dafür haben, dass sie vielleicht ein bisschen nervöser ist als ihre erfahreneren Kollegen. Ihr Gegenüber wird nur eines sehen: die blaue Uniform und das, wofür sie steht: die Polizei.

Einst stand diese Uniform für Respekt und Anerkennung. Heute ist das anders. Das Image hat sich verändert. Längst ist der Polizist nicht mehr die Autoritätsperson, die er einmal war. Heute ist er ein Dienstleister. Einer, der den Verkehr regelt, und einer, zu dem man gehen kann, wenn die Geldbörse gestohlen wird, die Nachbarn zu laut Party machen oder Papa wieder Mama verprügelt. Und wie bei jedem anderen Dienstleister steht auch seine Leistung unter permanenter Beobachtung. Jeder seiner Schritte wird genau verfolgt. Wie freundlich war er bei der Erfüllung seiner Aufgabe. Wie professionell. Wie effizient.

Jeder Ausrutscher wird dokumentiert. Jeder Fehltritt, jede Misshandlung, jeder harsche Ton zum Systemversagen eines gesamten Berufsstands erklärt. Wie war das damals mit dem Asylwerber, dem der Mund zugeklebt wurde? Wie war das mit den sexuellen Übergriffen auf weibliche Beamte durch Kollegen? Wie war das mit dem unbewaffneten Burschen, der beim Einbruch in den Supermarkt erschossen wurde?

Wer gibt freiwillig den Spielverderber? Wer heute bei der Polizei arbeiten will, braucht ein dickes Fell. Muss sich erklären können und schon einmal runterschlucken, wenn die Kollegen Mist gebaut haben. Doch wer bewirbt sich heute für den Job? Wer gibt in der hippen Spaßgesellschaft freiwillig den Ordnungshüter, den Spielverderber, den Buhmann? Sind es die idealistischen Retter in der weißen Rüstung? Die harten Rambos mit Minderwertigkeitskomplex? Oder die farblosen Beamten auf der Suche nach einem sicheren Job?

"Mir war der Kontakt zu den Menschen sehr wichtig, und ich wollte ein kleines Stück dazu beitragen, dass alles in geordneten Bahnen läuft. Die Welt kann man eh nicht verbessern", sagt Romana Lang-Seyringer. Es ist Montagvormittag in der Sicherheitsakademie, in der Marokkanergasse 3 im 3. Bezirk. Hier wird die nächste Generation der Wiener Polizei ausgebildet. In Zivil kommen sie in das Gebäude. In Uniform betreten sie die Klassen. Es sind junge Männer und Frauen, die hier durch die Flure marschieren. Von 7.30 Uhr bis 15.30 Uhr pauken sie hier unter anderem Strafrecht, Verwaltungsrecht, Kriminologie, Ethik oder Menschenrechte. Manche von ihnen stammen aus Polizeifamilien, regelrechten Polizeidynastien, sie kennen den Job von jedem Abendessen, jedem Familientreffen, jedem Ausflug. Andere kennen ihn nur aus dem Fernsehen und von Verkehrskontrollen. Die meisten der knapp 500 Schüler haben maturiert, einige gar ein abgeschlossenes Hochschulstudium.

Der Bedarf an jungen Kräften ist groß. 300 bis 400 Stellen müssen jedes Jahr in Wien wegen Pensionsabgängen nachbesetzt werden. Und alle werden nachbesetzt. Der Ansturm ist groß. Auf einen Ausbildungsplatz kommen mindestens fünf Bewerber. Die Hälfte der Bewerber sei geeignet für den Beruf. Noch habe man den Luxus, sich die Besten aussuchen zu können, heißt es aus dem Innenministerium.

Hemmungen, eine Autorität zu verkörpern Romana Lang-Seyringer wollte bei der Bewerbung nichts dem Zufall überlassen. Akribisch hat sich die gelernte Buchhalterin für die Aufnahme vorbereit. Vier Monate auf den theoretischen Teil, sieben Monate mit Personal Trainer auf den sportlichen Teil.

Frauen sind ein junges Phänomen in der heimischen Polizei. Erst 1991 wurden sie für den allgemeinen Polizeidienst zugelassen. Davor wurden sie lediglich als Politessen - Parkraumbewacher - oder als Kriminalbeamtinnen für die Befragung von Opfern von Sexualdelikten eingesetzt. Seither wächst der weibliche Anteil am Personal. Heute machen Frauen fast 30 Prozent der insgesamt 7000 Beamten in Wien aus.

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