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Rotes Fußvolk auf Sinnsuche

erschienen am 21.1.2017, mit Co-Autor Bernd Vasari



Wien. Die Basis macht Druck. Die Basis kocht. Die Basis rebelliert. Nie wird so laut, so oft und so medienwirksam in der Wiener SPÖ über "die Basis" nachgedacht, wie in Zeiten personenpolitischer Umbrüche. Plötzlich ist die Basis ganz groß und ein jeder gibt sich als Basisversteher zu erkennen, übt sich im volksnahen Übersetzen und erklärt fachmännisch, was die da "unten" eigentlich wirklich von denen "da oben" in der Partei halten. Schließlich will man die Macht der Masse hinter sich wissen, wenn Kandidat A oder B zum Zug kommt.

Und es ist eine breite Masse. 45.000 Mitglieder hat die Partei. Die Zahl ist ein Traum für jeden Wahlkampfmanager. Tausende Multiplikatoren, die loyal die Botschaft der Partei ins Volk tragen. Doch was, wenn die Botschaft nicht mehr so klar ist? Wenn die tausenden Multiplikatoren nicht mehr wissen, wofür eigentlich die Partei, die sie sich einmal als Gesinnungsgemeinschaft auserkoren haben, noch steht?

Wer die Probleme der SPÖ verstehen will, muss sich unten umsehen, in den Sektionen, der kleinsten politischen Einheit der sozialdemokratischen Partei. 364 gibt es in der ganzen Stadt. Hier übt man sich in Politik alter und neuer Schule. Hier trifft man einander regelmäßig, mal um Heizkosten zu sparen, weil es im Lokal so lauschig ist, mal um sich Woche für Woche eine gerechtere Welt vorzustellen. Ein Rundgang zwischen verkopften Wohlstandskindern, pensionierten Schichtarbeitern und neu erwachten Rebellen in verlorenen Hochburgen.

Floridsdorf: Die Denkmalschützer

Finster ist es am Rand von Floridsdorf. Keine Menschenseele ist hier an Wiens östlicher Grenze zu Niederösterreich am frühen Abend zu sehen. Einsam stapft man vorbei am Meer von Einfamilienhäusern. Hier in der "Nordrandsiedlung" sind überall die Rollos heruntergezogen. Nur aus einem Fenster im Kellergeschoß des Gemeindebaus Kainachgasse 37 dringt Licht auf die Straße. Hier ist der Sitz der SPÖ-Sektion 13. Es ist 20 Uhr. 15 Männer und Frauen haben sich hier versammelt. Sie alle sind jenseits der 50. Artig haben sie sich um die zu einem U zusammengestellten Tische gesetzt. Im Rücken ihre ideologischen Ahnen. An den holzgetäfelten Wänden hängen Schwarzweiß-Porträts ehemaliger SPÖ-Chefs von Victor Adler bis Bruno Kreisky. Fred Sinowatz ist das aktuellste Gesicht - vor mehr als 30 Jahren trat er als Bundeskanzler zurück.

Die Anwesenden stört das nicht. Man hat sich an das Inventar längst gewöhnt. Schließlich ist man seit Jahrzehnten Mitglied der Partei. Um Innenarchitektur sollen sich andere Gedanken machen, sie müssen sich um Inhalte kümmern. So hat es ihnen die Partei vorgelebt. Schließlich waren sie noch dabei, als die SPÖ die großen Würfe für sozial Benachteiligte plante - und vor allem umsetzte. Was andere aus Geschichtsbüchern kennen, haben diese Männer und Frauen hautnah miterlebt. Wie die Partei eine Volkshochschule nach der anderen gebaut hat, die Arbeiter mit günstigen Gemeindewohnungen versorgte und sich um den Ausbau des öffentlichen Verkehrs kümmerte. "Früher fuhr von hier in der Früh, zu Mittag und am Abend eine Schnellbahn. Das war's", erzählt die 75-jährige Helga Farkas. "Heute fährt sie alle Viertelstunden und wir haben einen U-Bahnanschluss." Manfred Anderle nickt zustimmend. Der Sektionsleiter sitzt am Kopfende der Tischformation. Sein Leben lang war der 59-Jährige in Gewerkschaften tätig. In der Sektion 13 agiert er als Bindeglied zwischen SPÖ-Elite und der Basis. Die Reden und Programme von Michael Häupl, Christian Kern und Co. werden von ihm übersetzt und den Sektionsmitgliedern so aufbereitet, dass sie auch jeder versteht.

Wie viele Hackler gibt es eigentlich bei uns?

Denn mit dem Verstehen hapert es seit einigen Jahren. Daran, was die da oben sich wieder ausgedacht haben. Die Hierarchie in der Partei, sie wurde in der Sektion noch nie in Frage gestellt. Wer der neue Parteichef oder Stadtrat wird, ist Chefsache. Da hat die Basis nichts mitzureden. Das sei schon immer so gewesen. Doch ihre Partei hat sich verändert. Das spüren auch die Genossen in der Sektion. Irgendwo auf dem Weg ist das Narrativ der Partei der einfachen Leute flöten gegangen. Da eine Luxusdachgeschoßwohnung für Funktionäre, dort eine Privatisierung, angetrieben vom Bürgermeister, und als verräterischer Evergreen ein ehemaliger Bundeskanzler, der für postsowjetische Diktatoren zu guten Gagen lobbyiert. Wie sollen sich die Genossen da noch als Partei der sozial Schwachen verkaufen?

"Die SPÖ hat sich von der Arbeiterschaft entfernt. Wie viele Hackler gibt es eigentlich bei uns im Bezirk?", fragt Georg. Der Mittfünfziger mit dem markanten Schnauzer ist Schichtarbeiter in einer Druckerei. Er blickt in stumme Gesichter. Er antwortet selbst: "Die da oben haben gar keine Beziehung mehr zu den Arbeitern. Sie wissen nicht mehr, wie es ist, wenn du um 4 Uhr in der Früh aufstehst, damit du rechtzeitig in die Firma kommst. Und sie schauen zu, wie es uns immer schlechter geht."

Die Frage, wofür die SPÖ heute eigentlich noch steht, können die Genossen selbst nicht beantworten. Dabei ist Dankbarkeit in ihren Reihen noch eine politische Kategorie. Die Stadt werde gut verwaltet, sagt Sektionsleiter Anderle. "Die Müllabfuhr funktioniert und es gibt keine Obdachlosen mit Kindern auf der Straße. Schauen Sie sich einmal andere Städte an." Doch dass es für viele Wähler nicht mehr reicht, gut verwaltet zu werden, hat die SPÖ in Floridsdorf bei den vergangenen Gemeinderatswahlen zu spüren bekommen. Im Oktober 2015 kam die zweitplatzierte FPÖ bis auf tausend Stimmen an die SPÖ heran. Viele Sprengel wählten sogar mehrheitlich blau. So denken halt die Bewohner in einem Flächenbezirk, war der lapidare Erklärungsversuch von Genossen aus den innerstädtischen Bezirken. Das passiert nun einmal, wenn sich die Partei nur noch auf autofreie Zonen und Grünflächen für Bobos konzentriert, so der Konter jener, die so gerne an der Inszenierung der parteiinternen Flügelkämpfe mitwirken.

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