"Das 3-D-Porträt wird sich durchsetzen"
Familien, Hunde und eine nackte Nonne, eingescannt und dreidimensonal gedruckt – das ist längst keine Science Fiction mehr. Und der Markt wächst. Zu Besuch in drei Hamburger 3D-Figuren-Läden.
Der Mann war sehr schick angezogen, wie aus einem Modemagazin", sagt Tom Pilger (46), Mitarbeiter der Fotoabteilung im Saturn. Der Herr im Anzug wollte aber kein Foto machen, er kam wegen des prismenförmigen Apparats zwischen Kassen und Ausgang. Er habe sich auf das Kreuz in der Mitte der Box gekniet. Dann habe er gefragt: "Kann man der Figur später einen Ring in die Hände legen?" Der Kunde wollte seiner Freundin mit der 3-D-Figur von sich selbst einen Hochzeitsantrag machen. "Ein hochemotionaler Moment", sagt Pilger.
Dann muss er zurück an die Arbeit: Eine Frau Mitte fünfzig kommt mit Tüte in der Hand von der Kasse und läuft an den ausgestellten Figuren vorbei. Sie lugt durch die geöffnete Tür in das Gerät. "Kommen sie nur rein", sagt Pilger beflissen und macht eine einladende Geste. Eine Viertelsekunde dauere der Scan, erklärt er der Dame, eine zehn Zentimeter kleine Figur koste 99 Euro. Für ein Weihnachtsgeschenk sei sie aber spät dran – zwei bis sechs Wochen dauere es, bis das Produkt fertig sei. Das dämpft die Begeisterung der Frau nicht: "Ja toll, wie lange steht das denn hier?", fragt sie. "Seit einem Jahr jetzt, und so wie's läuft – für immer", antwortet Pilger. Gerade jetzt im Weihnachtsgeschäft wurde verkleinert wie noch nie.
3-D-Generatoren sollen bald in allen großen Saturn-Filialen stehen, sagt Max Straßer, stellvertretender Geschäftsführer des Saturn-Partners 3D Generation. Straßer und seine Kollegen haben viel vor. "Gerade eröffnen wir drei Shops in drei Wochen." In Zukunft: "Weitere eigene Stores und Kooperationen, auch international." Mit diesem Plan sind sie nicht allein.
In Laufweite entfernt, in einer Passage nahe des Jungfernstiegs, liegt eine Filiale des Start-ups Twinkind. Gründer Timo Schaedel und seine Frau haben 2013 den ersten 3-D-Figuren-Laden Hamburgs – und damit den Wettbewerb unter den Verkleinerern – eröffnet. Eine Mitarbeiterin führt die Treppe hinauf. Sie wirkt auf dezente Weise stylisch, wie alles im Laden. Kinder nennen den weißen, eiförmigen Scanner gerne "Ufo", erzählt sie. Tatsächlich verstärken die Regenschirme vor dem Blitzapparat das Gefühl, man könne gleich damit wegfliegen. Im Inneren des "Ufos" gilt es erst mal, sich mit dem Blick für eine Linse zu entscheiden. Gar nicht einfach – 93 Kameras fotografieren im selben Moment aus allen Winkeln.
In diesem Scan-Raum hängen noch mehr Spiegelreflexkameras als in dem Apparat im Saturn, der Vorgang läuft jedoch ähnlich ab: Die Fotoapparate lösen gleichzeitig aus, auf dem Computer werden die vielen Einzelbilder zu einem dreidimensionalen Körper zusammengesetzt und nachbearbeitet. Die Daten werden an einen 3-D-Drucker geschickt. Das Gerät schichtet ein zehntel Millimeter dicke Schichten aus gipsartigem Pulver aufeinander. Entsprechend der Informationen kommen an bestimmten Punkten Tinte und ein Bindemittel hinzu, färben das Material ein und halten es zusammen. So entsteht Schicht für Schicht ein Quader aus losen Partikeln, in dessen Mitte die vorverklebte Figur liegt. Wichtig sei es, den Drucker gut instand zu halten, sagt Twinkind-Gründer Timo Schaedel. Wenn die feine Mechanik nicht genug gepflegt wird, entsteht, was er "Lasagneschichten" nennt: Auf der Figur zeichnen sich die einzelnen Lagen aus dem Druck ab.
Wie von einem Auto, auf dem Schnee liegt, muss dann der lose Gips entfernt werden, übrig bleibt die Figur. Meist sind die Miniaturen hohl, auch das Material im Inneren wird herausgelöst. Das läge an den hohen Materialkosten für das gipsartige Pulver, erklärt eine Anbieterin. Was übrig bleibe, werde wiederverwendet. Das geschrumpfte Abbild wird zuletzt per Hand gereinigt und mit einem Infiltrat übergossen.
Wie eine Mischung aus Bügeleisen und Handmixer
Das Equipment für den Druck sei bei allen ähnlich, sagt Twinkind-Gründer Schaedel. Die großen Unterschiede lägen "in der Scan-Technik und der Prozesskette bis zur fertigen Figur". Sein Start-up arbeite an einem neuen Fotogrammetriescanner, er spricht von "400 Kameras, noch mehr Winkeln". Langfristig sei das Ziel, die aufwendige Nachbearbeitung – etwa das Modellieren von Rockfalten und Haarsträhnen oder die Farbkorrektur – gegen null gehen zu lassen, komplett zu automatisieren. "Das 3-D-Porträt wird sich durchsetzen", glaubt Schaedel. Es sei nur die Frage, in welcher Form. Auf Veranstaltungen oder in eigenen Läden? Steht in Großstädten alle zwei Kilometer ein 3-D-Scanner? Werden es gar Automaten zur Selbstbedienung sein?
Während die Technik immer besser und das Produkt bekannter wird, bleibt die Hamburgerin Ivonne Leuchs bei der Methode, mit der alles angefangen hat: dem Handscanner. Eigentlich war er für die Industrie entwickelt worden. In Japan hatten 2012 Künstler im Rahmen einer Ausstellung angeboten, Menschen damit abzubilden und die gedruckte 3-D-Figur im Anschluss zu verkaufen. Das brachte Leuchs auf die Idee, ein Studio zu eröffnen.
Heute steht die 46-Jährige in ihrem "Raum für Haptografie" in Ottensen und wickelt das Gerät aus einem Küchentuch. Es sieht aus wie eine Mischung aus Bügeleisen und Handmixer. Ein langes Kabel führt zum Computer, auf dem sich langsam der Mensch zusammensetzt, den sie gerade einscannt. Drei Minuten dauert es, bis sie eine normal große Person gescannt hat. Die Künstlerinnen in Japan hatten noch etwa 15 Minuten gebraucht. Für Babys und Kleinkinder ist jedoch auch Leuchs zu langsam – sie halten nicht lange genug still. Einen sehr ruhigen Hund habe sie letzte Woche aber geschafft.
"Der Laden ist mein Wohnzimmer", sagt die 46-Jährige. Kaffee und Kuchen sind im Preis mit inbegriffen. Der ist bei allen Hamburger Anbietern fast identisch. Egal ob bei Saturn, im hippen Twinkind-Store, im Laden der Münchner Gruppe Youlittle in Eppendorf oder eben im Atelier von Ivonne Leuchs – überall kostet die kleinste Figur 99 Euro. Leuchs ist sich allerdings sicher, dass die großen Unternehmen mit neuer Technik bald günstiger werden. Sie selbst wird beim Handscanner bleiben. "Einen Aufbau für über 100.000 Euro mit lauter Spiegelreflexkameras kann ich mir einfach nicht leisten." Dafür kämen Kunden zu ihr, "die sich kaum in den Saturn stellen würden". Kunden kommen mit eigenen Ideen wie einer Plastikbüste als Puzzle; technisch versierte Familienväter, die bei der Nachbearbeitung am Computer über die Schulter schauen; Künstler mit besonderen Wünschen.
"Macht ihr auch nackte Nonnen?" Diese Anfrage verwunderte Leuchs erst, doch sie war schnell gewonnen. Der Hamburger Schmuckdesigner Jonathan Jonson ließ seine Freundin kniend und nur mit einer Nonnenhaube bekleidet scannen. Der Unterschied, eine angezogene oder eine nackte Person zu scannen sei nicht groß, sagt Leuchs, sie sei da unbefangen. "Wir haben es ein bisschen wärmer gemacht, damit sie nicht friert", sagt die Haptografin und lacht. Wie immer während Akt-Scans hätte sie außerdem natürlich die Schaufenster zugehängt. Der gescannte Körper war die Vorlage für das Design von Jonsons Parfüm Obscenity, die Nonne schmückt vergoldet oder versilbert den Verschluss der Flasche.
Immer wieder kämen auch private Kunden, um ein dreidimensionales Abbild ihres nackten Körpers machen zu lassen, sagt Leuchs. Damit habe sie zwar nicht gerechnet, als sie den Laden 2014 aufgemacht hat, aber spezielle Aufträge hätten sich zu ihrer "Nische in der Nische" entwickelt. Das Massengeschäft mit 3-D-Figuren werden andere besetzen, glaubt sie, dafür bleibe es bei ihr spannend. "Wenn ich jetzt einen Anruf bekomme: heute Abend, eine Tabledancerin auf dem Kiez – dann packe ich den Scanner ein und fahre hin."
Original