von Torsten Haselbauer
Sechs Tage lang bereiste der homosexuelle türkische Schiedsrichter Halil Dinçdağ Berlin und Leipzig und pfiff zwei Spiele. In seiner Heimat darf er das schon lange nicht mehr.
Es ist ein Flug in eine ungewisse Zukunft. Am Sonntag verließ der türkische Schiedsrichter Halil Dinçdağ unter Tränen Deutschland. Von Leipzig flog er zurück nach Istanbul, „tief gerührt und überwältigt von der Solidarität und dem Mitgefühl, das ich hier erfahren habe", wie der Schiedsrichter kurz vor seiner Abreise erklärte. Sechs Tage lang war Dinçdağ auf Einladung der Fußballvereine Tennis Borussia Berlin und Roter Stern Leipzig in Berlin und Leipzig unterwegs gewesen.
Ein Held und Kämpfer Unterstützt wurde der Aufenthalt Dinçdağs vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg in Berlin. Der türkische Schiedsrichter hielt zwei Vorträge über sein Leben und pfiff zwei Fußballspiele. „Das darf ich in der Türkei schon lange nicht mehr. Die Türkei ist ein Fußball-Macholand", erklärte der 37-jährige Dinçdağ. In der Türkei ist er ein Held, ein Kämpfer und ein Vorbild für alle sexuell nicht angepassten Menschen. Im Jahr 2009 outete sich der Schiedsrichter, der in der zweiten und dritten türkischen Liga Fußballspiele geleitet hatte, als homosexuell. „Damit war mein altes Leben vorbei", erinnert sich der Referee.
Sein neues, zerstörtes Leben begann im Januar 2009. Da wurde Dinçdağ vom türkischen Militärdienst wegen „psychosexueller Störungen" ausgemustert. Anschließend suspendierte ihn der türkische Schiedsrichterverband. Sein Antrag auf die Wiederzulassung als Schiedsrichter ist nie ernsthaft geprüft worden. Stattdessen wurde es der sensationsgierigen türkischen Presse zugespielt. Die lieferte über Wochen Schlagzeile auf Schlagzeile.
Interview mit Folgen In einer Fernseh-Talkshow bekannte sich Dinçdağ schließlich offen zu seiner Homosexualität - mit schlimmen Folgen. Der Schiedsrichter floh aus seiner Heimatstadt Trabzon in die scheinbar sichere Anonymität der Millionenmetropole Istanbul. Doch in seinen Beruf als lokaler Radiomoderator fand er keinen Einstieg mehr. Er passe nicht zur „Senderpolitik", wurde ihm mitgeteilt. Der homosexuelle Referee fiel in eine schwere Depression und ist seit fünf Jahren arbeitslos. Kein Einzelfall: Homosexuelle und transidente Menschen verlieren in der Türkei schnell ihre Arbeit, wenn sie sich zur ihrer Sexualität bekennen. Schlimmer noch: Im Jahr 2012 wurden laut der türkischen Organisation „KAOS GL", die sich für sexuelle Minderheiten einsetzt, sechs Trans-Menschen und fünf Homosexuelle ermordet.
Mehr zu Homosexualität im Sport „Wir wollten das Schicksal von Halil Dinçdağ in Deutschland bekannt machen. Wir glauben, das ist uns gut gelungen", zieht Torsten Siebert vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg eine Bilanz von Dinçdağs Kurzreise. Siebert weist gleichzeitig darauf hin, dass sich in Deutschland noch kein männlicher Profischiedsrichter zu seiner Homosexualität bekannte. „Das dauert auch noch", vermutet er. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) unterstützte Dinçdağs Reise nicht. Gut 500 Menschen kamen dennoch zu seinen Vorträgen und Einsätzen als Schiedsrichter in Berlin und Leipzig. Viele türkische Journalisten standen am Spielfeldrand und berichteten in ihre Heimat.
Kampf vor Gericht Jetzt bereitet sich Dinçdağ in Istanbul auf seinen wohl wichtigsten Einsatz vor. Er hat den türkischen Fußballverband auf Schmerzensgeld und Schadensersatz verklagt. Am 22. April soll das Urteil gefällt werden.