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Anschlagsopfer außen vor

Die Stadt Mölln will ein Netzwerk „Tatorte rassistischer Gewalt" aufbauen. Betroffene kritisieren, dass sie nicht in die Planung einbezogen sind.

HAMBURG taz | „Ihr seid nicht schuld an dem, was war, aber verantwortlich dafür, dass es nicht mehr geschieht." Mit diesem Zitat des Schoah-Überlebenden Max Mannheimer überschreibt die Stadt Mölln den Infoprospekt für ein neues Vorhaben: Ein Netzwerk von Tatorten rassistischer Gewalt in Deutschland soll entstehen.

Gemeinsam mit anderen Städten, in denen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten rassistisch oder rechtsextrem motivierte Anschläge verübt wurden, will Mölln das Vorhaben umsetzen. Am Donnerstag und Freitag findet dazu in der Kleinstadt im Kreis Lauenburg das Auftakttreffen statt.

Ein Netzwerk „professioneller Mahn- und Lernorte" soll geplant und realisiert werden, heißt es in dem Prospekt. Alle diese Orte und Taten müssten in einen Zusammenhang gestellt werden, „der über das Mahnen oder Gedenken hinausgeht", heißt es weiter. Unter anderem sind Ver­tre­te­r:in­nen der Städte Hanau, Rostock, Hoyerswerda und Solingen eingeladen, um an dem Austausch teilzunehmen und erste Ideen zu beratschlagen.

Nicht eingeladen sind hingegen die Betroffenen und Angehörigen der Opfer selbst. Das kritisiert ­ Ibrahim Arslan. Er ist einer der Überlebenden des Mordanschlags von Mölln. In der Nacht zum 23. November 1992 verlor er seine Großmutter Bahide Arslan, seine Schwester Yeliz Arslan und seine Cousine Ayşe Yılmaz bei dem rassistisch motivierten Brandanschlag. Arslan engagiert sich seit vielen Jahren in der Antirassismus-Arbeit.

Nur ein Angehöriger eingeladen

Lediglich sein Vater sei vor geraumer Zeit zu dem zweitägigen Austausch eingeladen worden. „Ansonsten wurde niemand aus meiner Familie über die Veranstaltung informiert und auch keine Familienangehörigen aus den anderen Städten wurden eingeladen oder wissen von diesem Vernetzungstreffen", sagt der 36-Jährige. „Die Grundvoraussetzung für ein solches Treffen sollte sein, dass alle Betroffenen einbezogen werden", sagt er weiter.

Dabei gehe es nicht nur um die Betroffenen aus Mölln, sondern auch um die Angehörigen der Opfer aus Hanau und anderen Städten. Nur einen einzigen Betroffenen einzuladen, um sagen zu können, man habe jemanden aus den Familien dabei, reiche nicht aus, so Arslan.

Möllns Bürgermeister Jan Wiegels (SPD) sagt am Telefon, bei diesem ersten Treffen seien wahrscheinlich keine Betroffenen dabei, auch wenn man eine Person aus Mölln eingeladen habe: „Wir wollen uns erst mal als Städte austauschen und gucken, ob diese Idee trägt." Zu Beginn wolle man über organisatorische Dinge sprechen und noch nicht über konkrete Inhalte. Daher seien zum Auftakttreffen keine weiteren Betroffenen eingeladen worden.

Dass dafür aber Bundestagsabgeordnete wie Nina Scheer (SPD) als auch Landtagsabgeordnete eingeladen sind, wirft Fragen auf. „Es sollen auch Bundesgelder in das Projekt einfließen", sagt Bürgermeister Wiegels dazu. Nina Scheer sagt auf taz-Anfrage, sie gehe davon aus, dass der „Austausch unter Einbindung der Betroffenen Bestandteil des Konzeptes und somit enthalten" sei. In der Einladung an die Gäste heißt es, man wünsche sich, auch Betroffene aus den jeweiligen Städten begrüßen zu dürfen. Warum diese bei dem Auftakttreffen nun doch nicht dabei sein werden, ist unklar.

Betroffene sollen „im nächsten Schritt" einbezogen werden

Bürgermeister Wiegels verweist auf den Verein „Miteinander leben", der nach dem Brandanschlag 1992 gegründet wurde und das Netzwerktreffen in Mölln mitorganisiert. Ibrahim Arslan sagt aber, er und andere Betroffene aus Mölln fühlten sich von dem Verein nicht repräsentiert: „Sie kooperieren weder mit meiner Familie noch haben sie uns in irgendeiner Form unterstützt oder uns Zugang zu ihrer Begegnungsstätte gewährt", so Arslan.

Bürgermeister Wiegels versichert, im nächsten Schritt sei aber geplant, auch Betroffene zu involvieren: „Wenn es darum geht, wie man das inhaltlich ausgestaltet, wird das natürlich nur mit den Betroffenen zusammen gehen."

Ibrahim Arslan hätte sich dennoch einen Beteiligung von Beginn an gewünscht: „Betroffene und Angehörige sind keine Statisten, sondern die Hauptzeugen des Geschehenen. Aus diesem Grund sollte man sie immer mit einbeziehen", fordert er.

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