Viel weniger Frauen als Männer gründen Unternehmen, aber in Ostdeutschland ist ihr Anteil auffällig höher als im Westen. Warum? Fünf persönliche Geschichten aus Postdam, Chemnitz, Jena, Rostock und Zörbig.
10. November 2022 TEXT UND PROTOKOLLE: Silke Weber FOTOS: Kirsten Bethge
Typisch Ostfrau! Einfach machen statt meckern. Gilt das, was die Deutschen in den 5860 Tagen Kanzlerinnenschaft als den merkelschen Pragmatismus kennenlernen durften, auch für den Unternehmerinnengeist? Frauen gründen immer noch seltener als Männer. Überraschenderweise ist in den ostdeutschen Bundesländern der Frauenanteil aber etwas höher, laut einer exklusiven Studie des Lübecker Wirtschaftsinformationsdienstes Databyte für die „Wirtschaftswoche". Auf dem ersten Platz steht Mecklenburg-Vorpommern (21,3 Prozent), gefolgt von Sachsen-Anhalt und Sachsen - im Bundesschnitt wurden 17,5 Prozent aller neuen Firmen 2020 von Frauen gegründet - der deutsche Start-up- Verband kam auf 15,9 Prozent. Die „Potsdamer Neuesten Nachrichten" riefen Potsdam gar zu „Deutschlands Gründerinnen-Hauptstadt" aus, da dort die Hälfte der Firmen von Frauen gegründet wird. Vorteil Ostdeutschland - was könnten die Gründe sein?
Die Frauen in der DDR waren wie selbstverständlich in der Berufswelt integriert: 1989 arbeiteten 91 Prozent der Ostfrauen - der damals weltweit höchste Wert. Im Westen: 43 Prozent. Die Westfrau leitete Emanzipation wissenschaftlich her, die Ostfrau lebte sie. Die Kinderbetreuung war im Westen Aufgabe der Familie, meist der Mutter. In Ostdeutschland dagegen herrschte das Idealbild der arbeitenden Frau, dafür gab es eine Infrastruktur mit guten Betreuungsmöglichkeiten für den Nachwuchs. Drei Viertel der Gründer und Gründerinnen sind tatsächlich zwischen 25 und 44 Jahren alt. In einem Alter also, in dem die meisten Menschen auch eine Familie gründen.
„Es war normal, dass Frauen ein eigenes Einkommen hatten, selbständig für sich sorgten, selten blieben sie zu Hause. Ich glaube, so was überträgt sich auch auf die nächste Generation."
Lisa Wittig vom Netzwerk XXChange in Sachsen
„Es war normal, dass Frauen ein eigenes Einkommen hatten, selbständig für sich sorgten, selten blieben sie zu Hause. Ich glaube, so was überträgt sich auch auf die nächste Generation", sagt Lisa Wittig vom Netzwerk XXChange in Sachsen, die jungen Frauen unterstützt, den Mut für eine Unternehmensgründung zu finden.
Viele Top-50-Start-ups sind in Thüringen. Insbesondere in Jena gibt es mit Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen ein gutes Ökosystem für Innovationen. „Vielleicht zieht das auch Gründerinnen", sagt Christiane Kilian, Vorständin der Stiftung für Technologie, Innovation und Forschung. Der Anteil der Spitzentechnologiegründungen an allen Gründungen ist in Thüringen der höchste im Bundesländervergleich. „Frauen werden präsenter", sagt Kilian. Gerade ihre Generation der um die 1980 geborenen sei typisch Ostfrau: anpackend und pragmatisch.
Eine Geschichte aus der aktuellen Ausgabe des Magazins der F.A.Z. „Frankfurter Allgemeine Quarterly"Die gesamtdeutsche Start-up-Szene hätte aber noch Nachholbedarf, sie brauche vor allem mehr Frauen, konstatiert der Female Founders Monitor des deutschen Start-up-Verbands. Wie kann das klappen? Fünf Gründerinnen aus Potsdam, Chemnitz, Jena, Rostock und Zörbig erzählen hier ihre persönlichen Geschichten.
Die Firma habe ich 2004 gegründet, wollte aber eigentlich schon 1995 gründen. Ich brauchte dafür viel Geld. Wenn sie eine Physiotherapie aufmachen, brauchen sie eine Liege und wenig Startkapital. Wenn sie eine Stahlbaufirma aufmachen, brauchen sie Maschinen und ein paar 100 000 Euro. Ich bin selbstbewusst zur Bank gegangen. Das machste jetzt, habe ich zu mir gesagt, das kannste, los geht's!
„Den Banken habe ich gesagt: blond, Frau, Stahlbau. Ich wollte es und habe verbissen weitergemacht. Aber ich habe viele Anläufe nehmen müssen."
Bettina Kretschmer, 65 Jahre, Geschäftsführerin von Contall, Container- & Behälterbau Kretschmer in Zörbig, Sachsen-Anhalt
Ich komme aus der Landtechnik. Ich habe zu DDR-Zeiten für einen Betrieb gearbeitet, der Mähdrescher, Traktoren oder Anhänger instand gesetzt hat. Davor habe ich Wirtschaftsinformatik studiert. Weder die erste Bank gab mir einen Kredit noch die zweite. Für Bankberater war das sicher ein Problem: Frau, blond, Stahlbau. Ich wollte es und habe einfach weitergemacht. Weil es mit dem Kredit nicht gleich geklappt hat, habe ich erst mal als Niederlassungsleiterin angefangen zu arbeiten. Nach der Wende hatte ich einen bayrischen Unternehmer kennengelernt. Er hat sich in den früheren Betriebsteil eingemietet und eine Niederlassung Ost gegründet. Ich glaube, ich war sein Testobjekt. Er hatte zwei Töchter und wollte mal ausprobieren, was man mit Frauen so erreichen kann. Fast zehn Jahre später habe ich ihm die Maschinen und Bestände abgekauft. Wir haben uns im Einvernehmen getrennt, das war mir wichtig. Ich habe dann das Grundstück gekauft und meine eigene Firma gegründet. Die Banken hatten inzwischen ein anderes Verständnis und haben ja auch gesehen, was ich geleistet hatte. Die Bayern waren lediglich die Geldgeber und sowieso nie vor Ort gewesen. Mein Unternehmen produziert neben klassischen Containern für Lkw in der Entsorgungs-, Abriss- und Schrottbranche viele Sonderbauten.
Ich freue mich über jede Frau in meiner Branche. Da gibt es ein paar, aber nicht viele. Manchmal sehe ich eine Rückentwicklung bei der Jugend. Wir waren jung, selbstbewusst, wollten arbeiten - heute wollen viele ein Kind kriegen, heiraten, nur paar Stunden arbeiten oder zu Hause bleiben. Wir hatten alle eine sehr gute Ausbildung, auch in technischen Berufen. Wir haben sehr jung geheiratet, das war so üblich. Ich mit 19. Mit 24 habe ich ein Kind bekommen. Da war ich schon spät dran. Aber wir haben nie unsere Männer gefragt, was wir machen sollen. Die Männer fanden das auch nicht schrecklich. Die sind ja auch ihren Weg gegangen.
Vor etwa 12 Jahren ist meine Tochter ins Unternehmen eingestiegen. Ich weiß noch, ich saß lange im Büro, habe die Post abgearbeitet, und dann hielt ich ihre Bewerbung in den Händen: „Assistenz der Betriebsleitung". Mit Lebenslauf und Zertifikaten. Ich habe sie angerufen, wir haben beide geheult, und dann ging es los.
Ich hoffe, das Unternehmen in ein paar Jahren in ihre Hände zu geben. Aber Vollzeitgroßmutter werde ich dann nicht. Das würde meinen Enkel bestimmt überfordern. Ich war ja auch bislang nicht die behütende Großmutter. Ich will mich lieber noch ein paar sozialen Projekten widmen, an Schulen gehen, Auszubildende unterrichten und gewinnen.