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Interview

UNTER BANKERN Ethnologen erforschen fremde Stämme und manchmal fremde Berufsgruppen. Stefan Leins wurde für zwei Jahre zum Banker in einer Schweizer Großbank

Stefan Leins wurde für zwei Jahre zum Banker in einer Schweizer Großbank

Herr Leins, im Film The Wolf of Wall Street« sagt der Profi zum Anfänger: »Schön die Schlange würgen.« Er rät, zweimal täglich zu onanieren, stößt Brunftschreie aus und trommelt mit den Fäusten auf die Brust. Sie haben zwei Jahre lang in der Finanzbranche gearbeitet. Welche Aufnahmeprüfung mussten Sie bestehen? Da beginnt die Komplexität des ganzen Feldes: Das im Film sind Händler, unter ihnen muss man die Kultur ablegen und zum Tier werden – das kenne ich auch. Aber meine Gruppe waren die Finanzanalysten. Da gelten völlig andere Rituale.
Welche denn?
An meinem ersten Tag in der Bank folgte mit der Begrüßung direkt die Frage: China oder Indien, wer macht das Rennen? Wer wird die neue Wirtschaftsmacht? Finanzanalysten kultivieren das blitzschnelle Antworten auf komplexe Fragen. Der Abruf von Wissen wird hochstilisiert. Händler verlassen sich dagegen eher auf ihr Gespür.
Den typischen Banker gibt es gar nicht?
Nein, es gibt keine starre Gruppenidentität. Investmentbanker äußern Skepsis gegenüber Hedgefondsmanagern. Analysten halten oft genauso wenig von Investmentbankern wie die Occupy-Aktivisten und grenzen sich auch optisch von ihnen ab, genauso wie von Ver- mögensberatern oder Händlern.
Zum Beispiel?
Händler tragen oft Hemden mit Winchester- Kragen und hellgraue und beigefarbene An- züge, Finanzanalysten schwarze oder dunkel- graue. Und Kundenberater sind die mit den teuren Uhren und Manschettenknöpfen. Gibt es dafür einen Knigge?
Das wird nicht offiziell kommuniziert. Aber wenn man dagegen verstößt, ist es wie eine offene Provokation. Während meiner Zeit gab es mal einen Praktikanten, der trug Man- schettenknöpfe. Beim Mittagessen sagte der
eine Analyst verärgert zum anderen: »Wenn der schon Manschettenknöpfe tragen will, soll er doch in die Kundenberatung gehen.« Sie sind Ethnologe. Woher kommt Ihr Interesse an Bankern?
Traditionell untersuchen Ethnologen ja eher Ziegenhirten in Mali als Banker. Aber man muss dringend genauer hinschauen, was in den globalen Zentren der Macht geschieht: Seit der Finanzkrise werden wir überhäuft mit Ge- schichten von gierigen Händlern, hemmungs- losen Abzockern, ruchlosen Datendieben. Sie zeichnen ein Bild der Finanzbranche als obs- kurer Ort, vergleichbar mit einer Schattenwelt, wie wir sie aus Vampirromanen kennen.
»Die Finanzbranche wird als Schattenwelt gezeichnet, wie aus Vampirromanen«
Der Banker als Blutsauger?
Gemäß der aktuellen Auffassung ist der Ban- ker jemand, der sein Überleben auf Kosten anderer sichert, sich moralischer Grundsätze entzieht und die Öffentlichkeit meidet. Die machen die Schotten dicht. Wir wissen so ziemlich nichts über die alltäglichen Prakti- ken der Finanzbranche.
Sie haben als Wissenschaftler das Leben in einer Schweizer Großbank untersucht und selbst als Banker gearbeitet. Haben Sie sich dort eingeschlichen?
Nein, aber der Zugang war nicht leicht. Eine Bank macht nichts umsonst, ich musste in mehreren Schriften darlegen, welchen Mehr- wert ich als Ethnologe der Bank bringe.
Der »Wolf of Wall Street« Jordan Belfort nennt seine Mitarbeiter »Terroristen« oder
»meine Krieger«, Leute also, die im Kampf ihr Leben lassen.
Ja, die Arbeit wird als Wettkampf inszeniert. Ein Krieger ist jemand, der sich einem ein- zigen Ziel unterordnet. Bei den Bankern ist es ähnlich: Sie sprechen oft über sich, als wä- ren sie selbst eine Aktie, die mal besser, mal schlechter performt und einem gnadenlosen Wettbewerb ausgesetzt ist. Das oberste Ziel ist die Leistungssteigerung, um den eigenen Marktwert zu erhöhen. Viel Arbeit und wenig Schlaf gehören dazu.
Das erinnert an den Studenten, der letztes Jahr während seines Praktikums bei einer Investmentbank gestorben ist. Lernt man diese Logik schon in der Ausbildung? Kognitionswissenschaftler haben mal ein spieltheoretisches Experiment mit Wirt- schaftsstudenten zum Beginn und Ende ih- res Studiums gemacht: Nach dem Studium agierten sie deutlich egoistischer, da hat sich die Leistungsideologie schon festgesetzt. Viele Studenten wollen, trotz des miesen Rufs, Investmentbanker werden. Warum? Vielleicht weil sie eine Illusion von der Fi- nanzwelt mit unendlichen Möglichkeiten haben und denken, dass sie um die Welt jetten. In den ganz hohen Positionen ist das auch so. Die meisten arbeiten aber einfach am PC und kommen nur in der Welt rum, wenn sie dafür ihr gesamtes Privatleben opfern. Da sehe ich als Wissenschaftler wahrscheinlich mehr von der Welt.
Ist es die Erotik des Geldes?
Die meisten werden überdurchschnittlich entlohnt. Aber ich denke, es geht um das Gefühl von Macht. Wenn Sie 150 Millionen Euro um den Globus schieben können, ist das sexy. Sie haben das Gefühl, per Maus- klick die Welt verändern zu können. Als Finanzanalyst musste ich bestimmte Ent- scheidungen treffen, bei denen womöglich Millionen auf dem Spiel standen.
Gibt es deswegen kaum jemanden, der aus der Finanzindustrie aussteigt?
Ich kenne viele Banker, die starke Ausstiegs- fantasien hegen. Sie wollen Geld sparen und sich damit auf eine Insel absetzen, ein Restau- rant aufmachen oder etwas Gemeinnütziges und Sinnvolles tun. Sie kritisieren das System sehr hart, nur nicht öffentlich.
Wenn man sich Spielfilme der 1930er bis 1950er anschaut, sieht man dort andere Banker als in » e Wolf of Wall Street«: Nette Männer, die aus der eigenen Hoch- zeitskasse Geld an ihre Kunden zurück- zahlen oder Arbeitslosen zu Jobs verhelfen. Die Rolle des Bankers hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte stark verändert. Die Ge- schichte gibt solchen Erzählungen recht, da geht es nicht nur um die eigene Bereicherung, sondern um den Dienst an der Gesellschaft. Der linke Politiker Alfred Escher zum Bei- spiel gründete die Schweizerische Kreditan- stalt, den Vorläufer der Credit Suisse, um den Eisenbahnbau in der Schweiz zu finanzieren. Wie hat sich das Image der Banker in der letzten Zeit verändert?
Historisch betrachtet, war der Banker eher ein langweiliger Sachbearbeiter. Die aufstrebende Finanzbranche, getrieben von einer enormen Deregulierung ab den Achtzigern, hat neue Typen wie den Hedgefondsmanager, den Broker oder den Investmentbanker hervor- gebracht. Im Zug dieser Expansion stieg der Banker mit seinen hohen Verdiensten zu einer Art Promi auf. Seit der Krise hat er wiederum eher den Status eines geächteten Kriminellen.
»Kokain ist keine Droge für Finanzanalysten. Sie sind zu strebsam. Kokain passt eher zum Händler«
Hat Ihnen die Arbeit als Banker gefallen?
Ja, sie ist äußerst interessant. Analysten in- terpretieren die Märkte. Sie häufen aktuelles Wissen an, lesen das Wall Street Journal, gu- cken Bloomberg TV und CNBC, verfolgen die Börsenentwicklungen. Es gab da sogar eine bankinterne Bibliothek, um sich Bücher auszuleihen. Auf die Zukunft projiziertes Wissen bedeutet immer Zugang zu Ge- schäftsmöglichkeiten. Aber ich war einem viel größeren Stress ausgesetzt als sonst. Wenn ich
um zehn nach sieben Uhr morgens im Büro ankam, war ich einer der Letzten.
Was ist mit dem exzessiven Leben, den harten Drogen, den schnellen Autos?
Der Analyst fährt vielleicht ein schnelles Auto. Aber sonst muss ich Sie enttäuschen. Das hat nach der Krise nachgelassen und ist auch eher im angelsächsischen Raum üblich. Da gehört dazu: saufen, ficken, nicht schlafen, immer am Start sein. Die Schweizer Banker protzen nicht so, sie sind verschwiegener. Ehrlich keine Drogen? Das Büro von Bernie Madoff, dem Milliardenbetrüger, wurde »Nordpol« genannt, weil dort enor- me Mengen von Kokain gefunden wurden. Kokain wäre wahrscheinlich nicht die Droge für Finanzanalysten. Das passt eher zum Händler, welcher sich oft mit dem American- Dream-Typen identifiziert, der aus der Gosse kommt und jetzt Millionen verdient. Die Ana- lysten sind strebsame, gut situierte Leute aus der Mittelschicht. Die würden eher zu Medikamenten, vielleicht Ritalin, greifen.