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Formel 2: Juan Manuel Correa über seinen Unfall und den Tod von Anthoine Hubert

Am 31. August 2019 ereignet sich beim Formel-2-Rennen in Belgien ein verheerender Unfall. Anthoine Hubert (†22) stirbt, Juan Manuel Correa (21) überlebt schwer verletzt. Ein Jahr später kehrt er an die Unfallstelle zurück.

Vor dem Renn-Wochenende im belgischen Spa sprach Correa mit BILD am SONNTAG darüber, wie es ihm heute geht. Er erzählt von seinem Kampf zurück ins Leben - und an die Rennstrecke. Der ecuadorianisch-US-amerikanische Formel-2-Pilot schildert seine Erinnerungen an den Unfall, bei dem er fast gestorben wäre und sein guter Freund ums Leben kam, und erklärt, warum er trotzdem wieder Rennen fahren will - schon nächste Saison.

BILD am SONNTAG: Herr Correa, wie geht es Ihnen nach allem, was in den letzten zwölf Monaten passiert ist?

Juan Manuel Correa (21): „Es fühlt sich ein bisschen seltsam an, dass der Unfall wirklich schon ein Jahr her ist. Es war in vielerlei Hinsicht das längste Jahr meines Lebens. Aber auf der anderen Seite fühlt es sich auch sehr kurz an. Ich denke, das liegt daran, dass ich viele Monate im Krankenhaus und in der Reha verbracht habe. Ich habe nicht viel mehr als das machen können. Es fühlt sich ein bisschen wie ein verlorenes Jahr an. Aber wenn ich mir den Fortschritt anschaue, den ich gemacht habe, dann bin ich sehr glücklich. Da sind eine Menge gemischter Gefühle."

Sie sagen, Sie wollen wieder Rennen fahren. Wie weit ist der Weg noch, den Sie bis dahin zurücklegen müssen?

„Es ist nicht so weit weg, wie es vielleicht wirken mag. Ich habe schon große Fortschritte gemacht. Ich werde hoffentlich schon im Dezember soweit sein, wieder im Auto zu sitzen. Ich möchte nächste Saison wieder Rennen fahren. Das ist mein Ziel. Ich fange schon an, mit Teams zu sprechen, denn um diese Zeit beginnen meist die Gespräche für die nächste Saison. Es fühlt sich etwas verrückt an, daran zu denken, dass ich schon in vier Monaten wieder fahren kann. Vor allem, wenn man sich anguckt, wie meine Beine jetzt aussehen. Aber ich denke, dass das sehr wohl möglich ist. Deswegen habe ich in der Reha alles gegeben. Ich habe einen Plan über alle Operationen gemacht und wie lange ich jeweils danach pausieren muss. Den habe ich das Jahr über optimiert. Und deshalb bin ich jetzt in der Position, zu sagen, dass ich nächstes Jahr wieder im Auto sitze."

Wie genau sehen Ihre Beine denn gerade aus?

„Auf meinem rechten Bein habe ich noch diesen Fixateur (Haltesystem für gebrochene Knochen, eine Art Metallkäfig, d.Red.), der eine Art Knochenersatz ist. Der kommt im November ab. Das linke Bein ist eigentlich schon wieder fast in Ordnung. Vor ein paar Wochen hatte ich eine Operation, um meine Zehen zu richten. In zwei bis drei Wochen sollte das in Ordnung sein. Und dann ist das linke Bein im Prinzip fertig. Ich habe Glück, dass das rechte Bein das schlimmer verletzte ist. Mit rechts muss ich nur das Gaspedal drücken, was relativ einfach ist. Das linke Bein muss kräftig sein, um die Bremse zu betätigen. Mein Oberkörper ist schon bereit. Ich habe diese Woche ein paar Tests zu Kraft und Reaktion gemacht. In einigen Punkten bin ich sogar besser als letztes Jahr, was ein bisschen verrückt ist. Meine Reaktion muss ich noch ein bisschen verbessern, aber ich bin schon auf einem guten Level. Es geht gerade vor allem darum, auf das rechte Bein zu warten, den Metallkäfig abzunehmen."

Wie wird das ablaufen? Mit noch einer OP?

„Ja, ich muss noch zwei oder drei Operationen an dem Bein machen. Der erste Teil des Käfigs wird im September abgenommen und dann der Rest im November. Dafür muss ich jedes Mal operiert werden, weil er mit dem Knochen verschraubt ist. Das möchte ich nicht ohne Anästhesie machen. Dann kommen vielleicht hier und da noch ein paar kleinere Eingriffe. Ich habe noch eine Menge Metall in beiden Beinen, das Stück für Stück raus muss. Aber jede dieser Operationen ist quasi nichts im Vergleich zu den Eingriffen, die ich nach dem Unfall hatte. Von jetzt an ist der Weg deutlich leichter."

Wissen Sie noch, wie oft Sie operiert wurden?

„Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen. Aber es müsste zwischen 15 und 20-Mal sein."

Correas Kampf zurück ins Leben - und in den Motorsport Wie sieht Ihr Alltag aus und Ihr Training? Mit diesem Fixateur um das Bein ist der Alltag sicherlich eine Herausforderung...

„Das ist es definitiv. Ich habe mich zu Hause in Miami daran gewöhnt. Ich war dort viel im Rollstuhl. Der Körper und auch der Geist gewöhnen sich tatsächlich recht schnell daran. Aber jetzt in Frankreich (im Fahrer-Trainingszentrum, d.Red.) ist es körperlich auf jeden Fall eine Herausforderung. Ich muss hier oft Treppen rauf oder runter, wenn es keinen Aufzug gibt. Aber auch mental ist es nicht leicht. Als ich das letzte Mal hier war, war ich körperlich und vor allem mit meinen Beinen bei 100 Prozent. Jetzt ist das nicht mehr so. Das ist mental schwierig. Man muss akzeptieren, dass man nicht mehr die gleichen Dinge machen kann wie vorher. Aber das ist Teil der Reise. Ich musste bis zu diesem Punkt schon so viele Dinge akzeptieren, dass ich mich daran gewöhnt habe, neue Herausforderungen zu akzeptieren. Das Training ist immer noch hart. Ich mache eine Menge Cardio mit meinen Händen statt mit meinen Beinen. Mit einem Handbike. Ich trainiere Oberkörper und Nacken viel, das ist wichtig fürs Fahren. Wir machen auch Reha für die Beine, Mobilitätstraining, Massagen, Elektrostimulationstraining. Das Typische, nichts Verrücktes. In diesem Zentrum hier in Frankreich ist es sehr gut. Es ist sehr gut auf Fahrer zugeschnitten. Das ist das, was ich gewohnt bin und was ich liebe und was mich meinem Ziel näherbringt."

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Trainieren Sie auch im Simulator?

„Ich habe das ganze Jahr so trainiert. Ich habe zu Hause einen Simulator. Erst bin ich nur mit dem linken Bein gefahren, denn da ging der Käfig an meinem rechten Bein noch bis zu den Zehen. Ich habe mir beigebracht, alles mit links zu machen. Das Jahr über bin ich viele Rennen gefahren. Gerade zu Beginn dieses Jahres haben wegen des Coronavirus viele Profi-Fahrer Sim-Racing gemacht. Da wurde ich zu vielen Events eingeladen. Das hat wirklich Spaß gemacht und war auch ein gutes Training, um mental dabei zu bleiben."

Können Sie nächste Saison ganz normal fahren? Oder brauchen Sie dann noch Hilfsmittel?

„Ich werde jedes Auto fahren können. Ich habe Glück, dass ich Rennsportler bin und kein Fußballer oder Balletttänzer. Im Motorsport braucht man keine 100 Prozent in den Beinen, besonders nicht im rechten. Es wird alles gut. Es ist keine Frage, ob ich bereit bin, sondern wann. Ich bin zuversichtlich, dass es nächstes Jahr soweit sein wird."

„Wenn all das mir eines gezeigt hat, dann dass man tun sollte, was man liebt." In diesen Sportarten wäre Ihnen wahrscheinlich ein so schrecklicher Unfall nicht passiert. Warum wollen Sie trotz des Schmerzes, den Ihnen der Rennsport zugefügt hat, wieder zurück?

„Gute Frage. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Vielleicht bin ich verrückt oder doof oder beides. Aber es ist das, was ich liebe. Und wenn all das mir eines gezeigt hat, dann dass man tun sollte, was man liebt. Einen schlimmen Unfall kann man auch auf dem Weg zum Supermarkt haben. Ich sehe mich nirgendwo anders. Wenn ich wieder ins Auto steige, wird es mental anders sein als vorher. Denn jetzt weiß ich aus eigener Erfahrung, wie gefährlich es wirklich sein kann. Aber ich denke, ich bin bereit für die Herausforderung. Es ist meine Leidenschaft - das, was ich liebe. Und ich bin bereit, dieses Risiko erneut auf mich zu nehmen."

Wie Correa die letzten zwölf Monate erlebt hat Was war für Sie der schwerste Teil dieses letzten Jahres?

„Es ist für mich unmöglich, da nur eine Sache zu nennen. Das Jahr hatte mehrere Phasen und jede Phase ihre eigenen Herausforderungen. Das Härteste direkt nach dem Unfall war, zu erfahren, was mit Anthoine passiert ist. Das ist bis heute einer der schwersten Momente, die ich hatte. Es war ein Schock. Mit allem, was zu dieser Zeit auch noch mit mir passierte - das war einfach schrecklich. Dann war ich zwei Monate im Krankenhaus mit all den komplizierten Operationen. Am Anfang war wirklich nicht klar, ob sie mein Bein retten können. Da war immer dieses Gefühl der Unsicherheit. Wir wussten nicht, wie es weitergeht. Dann versagte meine Lunge und ich wäre fast gestorben. Ich war zwei Wochen im Koma. Es war eine Menge für mich und auch für meine Eltern, die die ganze Zeit bei mir waren.

In der zweiten Phase bin ich zurück nach Hause nach Miami und bin mit einer Behinderung in die Gesellschaft zurückgekehrt. Ich war drei Monate im Rollstuhl und musste alles in meinem eigenen Haus neu lernen: duschen und selbst zurechtkommen. Gleichzeitig habe ich eine Menge Schmerzmittel genommen, die mir auf die Stimmung geschlagen sind und Angstzustände ausgelöst haben. Da bin ich zu einem Sportpsychologen gegangen.

In der dritten Phase, in der ich gewissermaßen immer noch bin, habe ich mich schon stark an meine Situation gewöhnt. Jetzt geht es viel um Verbesserung. Es ist eine sehr positive Phase, aber trotzdem ist es noch immer hart. Ich bin immer noch die Hälfte der Zeit im Rollstuhl. Wenn ich gehe, dann am Stock wie ein alter Mann. Jede Phase hat ihre Herausforderungen. Aber ich bin daran definitiv gewachsen. Ich bin nicht mehr dieselbe Person wie vor 12 Monaten. Die Entwicklung war aber positiv. Ich sehe die Welt anders, bin reifer geworden. Ich bin unbekümmerter, ich genieße die kleinen Dinge mehr. Das klingt wie ein Klischee, aber es ist wahr. Was ich wirklich bedauere, ist der Tod von Anthoine. Die Gefahren, denen ich mich selbst ausgesetzt habe, bereue ich nicht wirklich. Sie haben mich wachsen lassen wie sonst nichts anderes."

Ein Unfall, der alles veränderte Inwiefern hat die Konfrontation mit dem Tod Ihre Sicht auf die Welt verändert?

„Sehr. Vom Tod bedroht zu sein und zu lernen, wie zerbrechlich das Leben ist. Viele Menschen werden sowas vielleicht nie erleben oder sehr spät im Leben. Das mit nur 20 Jahren zu erleben, war definitiv eine Erfahrung. Es hat mich als Menschen verändert."

Was hat Ihnen die Kraft gegeben, weiterzumachen?

„Es war hart. Aber ich denke, ich bin ein Kämpfergeist. So bin ich. Und das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich Rennfahrer bin. Man muss dafür eine Menge Opfer bringen. Das hat geholfen, so habe ich mich motiviert. Ich habe früh entschieden, dass ich zurückkommen will. Und das motiviert mich am meisten. Wieder laufen können, ein normales Leben haben - das sind Ziele für mich. Aber meine Motivation, das so schnell zu schaffen, wie ich es getan habe, das war wegen des Rennsports. Sonst wäre ich vielleicht nur bei der Hälfte im Vergleich zu dem, wo ich jetzt stehe. Ich habe immer 150 Prozent gegeben. Der Arzt hat mir am Anfang empfohlen, zweimal die Woche zur Reha zu gehen. Ich bin sechsmal gegangen. Ich habe immer mehr gemacht, teilweise auch mit dem Risiko, zu viel zu machen. Ich musste mich am Anfang kontrollieren."

Sie sagten, dass Sie einen Sportpsychologen besucht haben. War das auf Ihre eigene Initiative hin?

„Ja, das ging von mir aus. Nach dem Unfall wurde ich psychologisch auf posttraumatische Belastungen untersucht, was bei schlimmen Unfällen und traumatischen Erfahrungen passieren kann. Mir ging es gut. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich ein wenig Hilfe gebrauchen könnte. Als ich zurück nach Miami kam, all das noch verdaute und zurück in ein normales Leben mit meiner Familie kam, habe ich meine Freunde das erste Mal wiedergesehen. Die Reha schien so weit weg. Manchmal fühlte es sich an, als wäre es zu viel zu bewältigen für mich. Ich habe mir einen Sportpsychologen in Miami gesucht. Wir haben geredet. Das hat definitiv geholfen. Ich finde, da ist nichts Falsches dran. Das tut gut. Manche Leute schämen sich vielleicht dafür, ich aber nicht. Mir hat es sehr geholfen. Das war die richtige Entscheidung. Heute spreche ich nicht mehr so häufig mit ihm, weil es mir mental viel besser geht. Ich habe eine klarere Sicht auf meine Zukunft. Aber manchmal, wenn ich mich schlecht fühle, rufe ich ihn an. Ich bin auch nur ein Mensch. Jeder sollte das tun, auch wenn er nicht einen so schlimmen Unfall hatte. Ich habe schon vor dem Unfall ab und an mit einem Psychologen gesprochen. Es hat sehr geholfen, Dinge in den Griff zu bekommen. Und er hat auch mit der Motivation geholfen."

„Für mich persönlich fühlt sich Motorsport nicht extrem gefährlich an" Finden Sie den Motorsport heute noch zu gefährlich?

„Nein. Es ist ein Sport, der Risiken birgt, wenn man die Geschwindigkeit bedenkt und das, was wir im Auto machen. Aber der Sport ist viel sicherer geworden. Es kann immer etwas verbessert werden und das wird es auch. Würden wir dieses Interview in zehn Jahren führen, wäre die Sicherheit der Autos dann sicherlich auf einem komplett neuen Niveau. Und so sollte es auch sein. Für mich persönlich fühlt es sich nicht extrem gefährlich an. Aber alles hat seine Risiken. Das ist etwas, das man bedenken muss. Wenn das okay für einen ist - gut. Wenn nicht, dann sollte man sich einen anderen Sport suchen."

Gibt es etwas Bestimmtes, das Sie verbessern würden?

„Über eine Sache habe ich schon länger nachgedacht. Ich habe mir bei dem Unfall zwei Wirbel gebrochen. Eine meiner größten Ängste ist es, noch einen Unfall zu haben, die Wirbelsäule verletzen und Schäden an den Nerven zu erleiden. Da kann man noch eine Menge verbessern, zum Beispiel in der Form des Sitzes. Wenn wir einen Rennunfall haben, geht all die Kraft in unseren Rücken. Sean Gelael hat sich in Barcelona einen Wirbel gebrochen, weil er über einen Kerb gefahren ist. Das zeigt, wie viele Kräfte durch unseren Rücken gehen. Das ist definitiv nicht ideal. Ich denke, die FIA kümmert sich sicherlich darum, denn sie sind genau wie wir um die Sicherheit bemüht. Abgesehen davon lernt man aus jedem Unfall, auch aus meinem. Hätten wir zum Beispiel gewusst, dass Alesi einen Reifenschaden hatte, hätte all das vielleicht verhindert werden können. Wäre die Streckenbegrenzung, in die Anthoine als erstes gefahren ist, eine spezielle absorbierende Barriere gewesen, hätte sie sein Auto vielleicht geschluckt und ich wäre nicht in ihn reingefahren. Es ist immer eine Frage des „was wäre, wenn" in jedem Unfall. Aber generell ist die Sicherheit sehr gut."

Ein Jahr danach: die Rückkehr an die Unfallstelle Sie sind an diesem Wochenende das erste Mal seit Ihrem Unfall wieder in Spa. Mit welchem Gefühl reisen Sie an die Strecke?

„Ich bin mir noch nicht sicher. Ich bin neugierig und freue mich darauf, weil ich viele Leute aus dem Fahrerlager wiedersehen werde, die ich sehr vermisst habe. Es wird toll, wieder in meiner gewohnten Umgebung zu sein. Aber es wird auch emotional sein, wieder an der Strecke zu sein - an dem Wochenende, ein Jahr später. Wir werden sehen. Ich freue mich schon darauf, aber es wird auch hart."

Warum haben Sie den weiten Weg aus Miami auf sich genommen?

„Es ist ein Weg für mich, ein Kapitel abzuschließen, Anthoine Tribut zu zollen und mich der Strecke zu stellen. Es klingt vielleicht dumm, aber ich habe das Gefühl, dass da zwischen mir und der Strecke noch etwas unerledigt ist. Ich will mich dem stellen und sehen, wie ich mich fühle. Und weitermachen."

Inwiefern ist der Unfall noch Teil Ihres täglichen Lebens? Verfolgt er Sie?

„Er verfolgt mich nicht wirklich. Aber ich denke definitiv jeden Tag daran. Aber ich denke nicht, dass das weggeht, wenn ich die Strecke besuche. Es geht vielleicht mit den Verletzungen vorbei. Sie sind das, was mich am meisten an den Unfall erinnert. Jedes Mal, wenn ich mein Bein anschaue und ein Metallkäfig drumherum ist, erinnert es mich daran. Ich denke, das wird sich nicht verändern. Aber ich bin sehr neugierig darauf, wie ich mich fühle, wenn ich dort bin. Ich habe keine Angst vor den Gefühlen. Ich werde nicht versuchen, sie zu verstecken. Wir werden sehen, was passiert."

Der schreckliche Crash: „Der Schmerz war so schlimm, dass ich nicht atmen konnte" An welche Erinnerungen vom Unfall denken Sie am meisten zurück?

„Ich erinnere mich an alles. Ich weiß noch genau, wie der Unfall passiert ist. Es war erst ein ganz normaler Samstag. Ich bin aufgestanden, bin an die Strecke gegangen. Ich hätte niemals gedacht, dass ich nicht zurück in das Hotelzimmer kommen würde. Dann ging das Rennen los. Ich hatte ein schlechtes Qualifying am Vortag, bin also von recht weit hinten gestartet. Die erste Runde, dann die zweite. Wir fuhren die Eau Rouge hoch. Dann ging es ganz schnell und völlig unerwartet. Ich bin den Berg hochgefahren. Dann war da ein Trümmerteil, das meinen Frontflügel getroffen hat. Mein Frontflügel geriet unter mein Auto und ich habe die Kontrolle verloren. Ich bin die Anhöhe hoch und als ich an der Kuppe ankam, raste ich auf Anthoines Auto zu. Ich sah nur das Auto vor mir. Ich hatte nicht wirklich die Zeit, darüber nachzudenken und habe mich nur intuitiv auf den Aufprall vorbereitet. Das Gruseligste war der Schmerz, den ich sofort in den Beinen gefühlt habe. Da wusste ich, dass etwas ganz schrecklich falsch läuft. Normalerweise spürt man wegen des Adrenalins eine halbe Stunde nach dem Crash nichts. Aber ich habe sofort den Schmerz gespürt. Es war schrecklich. Mein Auto landete falschherum und begann hinten zu brennen. Mein Überlebensinstinkt kam durch und ich habe mich abgeschnallt und bin aus dem Auto gekrochen. Aber meine Beine waren wie abgetrennt. Ich dachte in dem Moment, ich hätte sie verloren und sie wären nur noch durch den Rennanzug an meinen Körper gebunden. Ich habe meine Beine hinterhergeschleppt. Mein rechtes Bein steckte im Cockpit fest und es war völlig verdreht. Ich wusste also, dass da etwas nicht in Ordnung war. Der Schmerz war so schlimm, dass ich nicht atmen konnte. Als die Sanitäter kamen, bat ich sie, mich zu betäuben. Ich war komplett in Panik und alles tat so weh. Es war schrecklich. Am nächsten Tag bin ich im Krankenhaus in Belgien aufgewacht. Aber um ehrlich zu sein, erinnere ich mich danach gar nicht so wirklich. Wegen meiner Lunge war ich danach im Koma. Meine erste wirkliche Erinnerung nach dem Unfall ist, wie ich vier Wochen nach dem Crash aus dem Koma in London aufgewacht bin."

Was haben Sie im Moment vor dem Zusammenprall gedacht?

„Das war so ein „oh, f***"-Moment. Es war wirklich unheimlich. Es würde mich nicht mal wundern, wenn ich in dem Moment laut geflucht hätte. Es war sehr wichtig, dass ich die Chance hatte, mich auf den Crash vorzubereiten und meine Muskeln anzuspannen. Das hat wahrscheinlich meine Wirbelsäule vor weiteren Schäden gerettet. Ich hatte glaube ich fast 70 g Kräfte. Es ist unglaublich, dass ich bei Bewusstsein geblieben bin und dass ich keine Schäden am Rückenmark hatte. Ich hatte sehr viel Glück - und das auch, weil ich die Chance hatte, mich auf den Aufprall vorzubereiten."

Erinnerungen an einen Freund, der nicht überlebte Haben Sie in dem Moment begriffen, was mit Anthoine passiert war?

„Nein. Ich habe in dem Moment nicht wirklich darüber nachgedacht, dass da noch ein Auto war. Dafür blieb keine Zeit. Ich bin direkt nach dem Aufprall komplett in den Überlebensmodus gegangen, konnte nur noch über meine Schmerzen nachdenken und konnte kaum atmen."

Wann haben Sie erfahren, dass Anthoine nicht überlebt hat?

„Ich habe es am nächsten Morgen im belgischen Krankenhaus erfahren. Aber dann bin ich ins Koma gefallen. Als ich wieder aufgewacht bin, konnte ich mich erst an nichts mehr vom Unfall erinnern. Da mussten sie es mir erneut sagen. Es war also ein doppelter Schock. Aber ich glaube, unterbewusst wusste ich es doch irgendwie, aber wollte es vielleicht nicht so richtig wahrhaben."

Was sind Ihre liebsten Erinnerungen an Anthoine?

„Wir hatten einige tolle Partys. Letztes Jahr waren wir in Monaco zusammen bei der Afterparty, haben bisschen was getrunken und hatten sehr viel Spaß. Ich war auch ziemlich gut mit seiner Freundin Julie befreundet. Anthoine war ein wirklich toller Kerl. Er war einer von denen, mit denen ich auch außerhalb der Rennen hier und da mal Nachrichten geschrieben habe. Im Dezember 2018 haben wir in der Formel 2 im selben Team getestet. Wir haben uns viel über unsere Pläne ausgetauscht und darüber, wer zu welchem Team geht. Wir haben in dem Winter viel geschrieben. Er war ein cooler Typ. Man konnte mit ihm sprechen ganz wie mit einem normalen Menschen. Er war sehr höflich. Auch seine Familie. Sie sind so toll mit mir umgegangen. Obwohl sie gerade ihren Sohn verloren hatten, haben sie sich um mich gesorgt, haben meinen Eltern geschrieben und haben nach mir gefragt. Seine Freundin hat mich in London im Krankenhaus besucht, als ich im Koma lag. Meine Eltern haben davon sogar ein Foto gemacht. Sehr nette Menschen."

Sind Sie noch heute in Kontakt mit Anthoines Familie?

„Ja, wir schreiben uns manchmal. Nicht allzu oft, aber wir sind definitiv in Kontakt."

Hatten Sie nach Ihrem Unfall noch viel Kontakt mit Leuten aus dem Formel-2-Umfeld?

„Ich bin noch mit vielen aus dem Fahrerlager in Kontakt. Leute aus unterschiedlichen Teams, verschiedene Fahrer, mit denen ich befreundet bin. Wenn man das so lange gemacht hat, ist das trotzdem dein Leben, auch wenn du gerade keine Rennen fährst. Deswegen freue ich mich auch sehr, dieses Wochenende viele Leute persönlich wieder zu sehen. Ich denke, sie freuen sich auch schon, werden mir eine Menge Fragen stellen."

Ein Jahr nach dem Unfall ist Correa noch immer Teil der Formel-2-Welt Wer sind Ihre besten Freunde in der Formel-2-Welt?

„Von den Fahrern bin ich mit Callum Ilott gut befreundet. Er war letztes Jahr mein Teamkollege. Ich bin auch gut mit Mick Schumacher befreundet, wir waren in der Formel 4 Teamkollegen. Auch Marcus Armstrong. Jüri Vips ist wohl einer meiner engsten Freunde in der Motorsportwelt. Wir waren anderthalb Jahre Teamkollegen und sind danach Freunde geblieben. Er ist einiger der wenigen Fahrer, mit denen ich auch im Urlaub war. Ich war bei ihm zu Hause in der Schweiz und kenne seine Mutter und seine Geschwister. Mit ihm bin ich recht eng. Ansonsten habe ich viele andere Freunde in anderen Teams, meinen Ex-Teamchef bei Charouz und die Leute von Prema. Ich bleibe dieses Wochenende auch in ihrer Bubble. Es ist eine riesengroße Familie und ganz toll."

Wer aus der Formel 2 schafft es nächstes Jahr in die Formel 1?

„Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, es wird einen Sitz für die Jungs aus der Ferrari Driver Academy geben. Ich würde tippen, dass, wer dort vorne liegt, den Sitz bekommt. Gerade sieht es also nach Callum (Ilott, d.Red.) oder Robert (Shwartzman, d.Red.) aus. Und ich denke, dass das wohl der einzige sein wird, der nach oben kommt."

Wir in Deutschland blicken natürlich alle auf Ihren Freund Mick Schumacher. Wie sehen Sie ihn und sein Talent?

„Er hatte dieses Jahr eine gute Chance durch den Driver-Academy-Platz. Aber ich glaube, dass er sie ein wenig verpasst hat, wenn man sich anguckt, wie die Fahrerwertung gerade aussieht. Seine Teamkollegen stehen ganz oben. Es wird hart für ihn. Er wird vielleicht noch ein weiteres Jahr in der Formel 2 machen und erst 2022 hochgehen. Ich denke, es wird für ihn schwierig, in der Meisterschaft noch zurückzukommen und sie zu schlagen. Er liegt relativ weit hinten. Aber er ist definitiv ein guter Fahrer. Er war mein Teamkollege. Er ist gut und schnell, aber vielleicht braucht er noch ein bisschen mehr Zeit. Jeder passt sich unterschiedlich an die Klassen an. Ich bin mir sicher, dass er eines Tages soweit sein wird. Darauf können sich die Deutschen schon freuen."

Schon nächste Saison will Correa wieder Rennen fahren Sie planen Ihr Comeback in der Formel 2. Werden wir Sie eines Tages in der Formel 1 sehen?

„Ich hoffe. Mein Plan ist es, zurück in die Formel 2 zu gehen und meine Karriere da fortzusetzen, wo sie unterbrochen wurde. Ich war in einer guten Position, hatte eine gute Rookie-Saison. Die Dinge sahen gut aus. Ich hoffe, dass ich dieses Momentum beibehalten kann. Ich war mit Alfa Romeo in Verbindung und hoffe, dass ich diese Verbindung erhalten kann. Wir werden sehen, wohin das führt. In dieser Welt geht es manchmal auch um Glück, Politik, Geld und so weiter. Ich werde mein Bestes geben und wir sehen, wohin das führt."

Haben Sie schon einen genauen Zeitplan, wo Sie sich zum Beispiel in fünf Jahren sehen?

„Ich denke mehr von Jahr zu Jahr. Es gibt viele verschiedene Szenarien. Wenn ich nächstes Jahr einen Sitz in einem Spitzenteam der Formel 2 bekommen kann und um die WM mitfahren kann, dann bringt mich das vielleicht aufs Radar der Formel 1 für 2022. Wenn ich vielleicht noch eine Saison in der Formel 3 um die Weltmeisterschaft mitfahren kann, dann würde noch ein Jahr in der Formel 2 folgen und dann wäre die Formel 1 eine Option für 2023 oder 2024. Es ist schwer zu sagen. Da spielen eine Menge Faktoren rein. Aber wenn die Dinge so laufen, wie ich sie plane, dann könnte ich in den nächsten drei oder vier Jahren um einen Formel-1-Sitz kämpfen."

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