«Som Energia» ist die größte Ökostrom-Genossenschaft Spaniens. Ihr Erfolg hat auch mit der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zu tun.
Noch sind nicht alle Kisten ausgepackt, die Genossenschaft hat das Büro erst vor Kurzem bezogen. Das alte war zu klein geworden, wieder einmal. Im neuen Großraumbüro ist endlich ausreichend Platz für die aktuell 70 Mitarbeiter. Die sind eher jung, viele tragen jetzt im Spätsommer kurze Hosen und Sandalen, neben einem Schreibtisch parkt ein Kinderwagen. Die Geschäftsstelle im Technologiepark der Universität von Girona versprüht Gründercharme. Dabei ist "Som Energia" (katalanisch für "Wir sind Energie") längst ein gestandenes Unternehmen.
Marc Roselló hat einiges zu diesem Erfolg beigetragen. Der 44-Jährige ist einer von vier Geschäftsführern der Genossenschaft. Ein eigenes Büro hat er nicht, Besucher empfängt er deshalb auf der Terrasse der Cafeteria. Bei einem Cappuccino und selbstgedrehten Zigaretten erzählt Roselló, wie er vor acht Jahren mit ein paar Mitstreitern Som Energia aufgebaut hat.
Damals, so Roselló, habe er als privater Verbraucher keinen sauberen Strom beziehen können. Das hätten die großen Stromkonzerne Endesa oder Iberdrola, die bis heute den Markt dominieren, schlicht nicht angeboten. Deshalb schloss er sich dem Aufruf von Gijsbert Huijink an, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Huijink, ein Niederländer, der damals an der Uni in Girona lehrte, wollte das Modell der genossenschaftlichen Ökostromvermarktung, das er aus seiner Heimat kannte, nach Katalonien importieren. "Gijsbert Huijink hat damals die Idee eingebracht, dass wir als Bürger die Energieversorgung selbst verändern können", erinnert sich Roselló. Diese Vision habe ihn begeistert.
Ende 2010 gründeten in Girona rund 150 Menschen Som Energia. Roselló, damals arbeitslos, besetzte als einer von drei Genossenschaftlern die Geschäftsstelle, das erste Jahr ehrenamtlich. Der Ingenieur für Erneuerbare Energien musste sich mit dem komplexen spanischen Strommarkt auseinandersetzen und holte sich Rat bei Genossenschaften in anderen europäischen Ländern. Acht Monate später wurde der erste Stromvertrag unterzeichnet.
Den Ökostrom bezieht Som Energia bis heute vor allem von kleineren Produzenten, begann aber schon früh, eigene Anlagen zu bauen. Eine erste Photovoltaikanlage mit 100 Kilowatt Leistung entstand auf dem Dach des Trainingszentrums des lokalen Fußballclubs FC Girona. Weitere folgten im Süden Spaniens. Finanziert wurden sie mit dem Kapital der Genossenschaft, in die jedes Mitglied bei der Anmeldung eine einmalige Einlage von 100 Euro beisteuert. Aufgrund der Finanzkrise sei es schwer gewesen, bei den Banken an Geld zu kommen, erklärt Roselló: "Wir wussten von Anfang an, dass wir das anders machen müssen."
Inzwischen beteiligen sich fast 53.000 Mitglieder aus ganz Spanien an der Genossenschaft, allein seit Anfang 2017 gab es mehr als 20.000 Neuanmeldungen. Dabei hat Som Energia weder eine Marketingabteilung noch ein Werbebudget. Marc Roselló erklärt sich den großen Zuspruch als Folge der Wirtschaftskrise und der Sehnsucht vieler Leute nach echten Alternativen. "Wir haben eine Idee, wie es anders gehen kann", meint er. "Und wir ermöglichen den Menschen, selbst Teil dieser Idee zu sein."
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