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Aus Angst vor der Flut

Der Hochwasserdamm wird sich verändern: Mindestens 1000 Bäume müssen im Rahmen des Sanierungsprogramms gefällt werden. Das Problem liegt im Wurzelwerk, das den Damm im schlimmsten Fall zerstören könne, lautet die Sorge der Behörden. Foto: Gerold

Von Sebastian Blum


Mannheim. Ein Gutachter soll es richten, sonst kehrt im Mannheimer Stadtteil Lindenhof keine Ruhe ein. Wolf-Rainer Lowack sagt das selbstbewusst, als Anwohner des Stadtteils und Vorstandsmitglied der Bürger-Interessen-Gemeinschaft (BIG). "Es geht nicht nur um 1000 Bäume. Wenn Sie genau lesen: Da steht 1000 dicke Bäume. Da können noch mal so viele dünne dazukommen."

Ein externer Fachmann müsse bestätigen, dass wirklich alle Fällungen am Rheindamm nötig sind. "Ich würde das dann akzeptieren." Aber auch nur dann.

Ohne Gutachter werde es Klagen geben, von einem Unternehmen wisse er das schon. Lowack möchte überzeugt werden. Bis jetzt ist er das nicht. Und aktuell hat das Regierungspräsidium (RP) Karlsruhe noch nicht angedeutet, die Bäume extern untersuchen zu lassen.

Experten des RP haben den Mannheimer Rheindamm untersucht, und es stellte sich heraus: Er ist nicht nur stark sanierungsbedürftig, sondern offenbar so marode, dass das RP seiner Ertüchtigung höchste Priorität zuspricht. Mit dem ersten von sechs Bauabschnitten soll im kommenden Jahr bereits begonnen werden.

Doch was hat das nun mit den Bäumen zu tun? Ein Horrorszenario: Der Flusspegel steigt während der Hochwasserperiode zwischen Januar und Juni, sintflutartige Regenfälle lassen den Rhein über die Ufer treten. Der Damm ist wochenlang überflutet. Noch stehen die Bäume, aber der Boden ist aufgeweicht, und das Wetter meint es nicht gut. Zusätzlich fegt ein Sturmtief über die Rheinebene. In einem Spiel der Naturgewalten knicken die Bäume um, mitsamt der meterdicken Wurzeln.

Sie reißen tiefe Krater in den Damm, bis er bricht. Wenn das passiert, stehen die an den Rhein grenzenden Stadtteile binnen Stunden bis zu zwei, in Neckarau sogar bis zu vier Meter unter Wasser. Eine Bedrohung für "Leib und Leben der Bürger" und "Millionenschäden", wie es aus der Stadtverwaltung heißt, wollen weder Oberbürgermeister Peter Kurz, noch das RP oder das baden-württembergische Umweltministerium hinnehmen.

Da liegt der Hund wortwörtlich begraben. Die Bäume müssen weg und das Wurzelwerk muss raus, wenn der Damm einer Jahrhundertflut standhalten soll. Das ist laut RP nachgewiesen. Eine Norm mit dem Titel "Hochwasserschutzanlagen an Fließgewässern" schreibe das vor. Darin seien die katastrophalen Ereignisse von Oder und Elbe analysiert.

Treibende Kraft der Maßnahme ist also die Vorstellung einer Jahrhundertflut wie 1997 an der Oder und 2002 an der Elbe. Dabei ließe sich Liste der Hochwasserkatastrophen beliebig fortsetzen. Sie kehren wieder, sie sind zerstörerisch. Um Hochwasser zu verhindern, gibt es Deiche, regulierende Kraftwerke und Flusserweiterungen. Holland ist dabei unnachahmlich effektiv.

Etwa 40 Prozent der Landesfläche liegt unter dem Meeresspiegel - Tendenz steigend. Die Gefahr bedroht Holland von der Nordsee, dem Rhein oder der Waal. Seit der historischen Sturmflut von 1953 gibt es aber kaum nennenswerte Katastrophen. Die Hochwasserschutzpolitik zieht dabei alle Register. Ganze Orte sind schon umgesiedelt worden.

In Mannheim sollen im Namen des Hochwasserschutzes nun Bäume weichen. Genau das könnte nach Ansicht der BIG einen Dammbruch aber genauso gut fördern. Lowack erklärt: "Natürlich können Bäume Dämme beschädigen. Aber Bäume können sie auch erheblich stabilisieren."

Er führt Beispiele wie die Hochwasserschutzwälder in den Alpen oder die Stör-Wasserstraße in Schwerin an und beruft sich auf Baumstatiker und Diplom-Ingenieure wie Lothar Wessolly oder Frank Hagen. Wessolly legte unter anderem ein Papier zu Linden und Rosskastanien auf dem Rheindeich bei Neuss vor mit dem Fazit: Die Durchwurzelung durch die Bäume sei so ausgeprägt, dass sie den Deich zusätzlich schützen.

Solche Einwände sind laut RP "von der Fachwelt aus dem Hochwasserschutz widerlegt". Man könne den Damm in Neuss nicht mit dem in Mannheim vergleichen. "Man kann aber auch die Dämme an Oder und Elbe nicht mit dem Deich in Mannheim vergleichen", pariert Lowack die Abweisung. Deshalb fordert er die stichprobenartige Untersuchung der Bäume durch einen externen Fachmann.

So könnte das Regierungspräsidium vielleicht der nächsten Klage entgehen. Erst vor Kurzem hat der Bürgermeister von Philippsburg rechtliche Schritte angekündigt, weil die Behörde einen Landstrich am Rhein permanent fluten will. Ein weiterer Blick über den Tellerrand hinaus zeigt ein ähnliches Bild.

Liest man andernorts die Lokalpresse quer, erregen Deichertüchtigungen im gesamten Bundesgebiet die Gemüter: An der Helme in Sachsen-Anhalt mussten 70 Bäume gefällt werden, an der Weser bei Bremen mussten 136 Kleine Platanen dran glauben, die Wildbäche in Scharling seien seit der Abholzung gar nicht mehr wild.

In Holland ist man derweil schon dazu übergegangen, Deiche komplett einzureißen, um dem Wasser mehr Raum zum Ausbreiten zu geben. Soweit wird es in Mannheim nicht kommen. Denn am Ende ist die Sanierung auch eine Kostenfrage. "Das Präsidium muss sich überlegen, wie viel ihm der Naturschutz wert ist", sagt Lowack.

Diese Anregung kann er Vertretern des RP persönlich vorstellen, wenn die Maßnahmen am Rheindamm am morgigen Freitag ab 18 Uhr bei einer Info-Veranstaltung im John-Deere-Forum der Öffentlichkeit präsentiert werden. Die Resonanz für Lowacks Anliegen ist derweil groß. Über 20.000 Menschen haben bereits eine Petition unterschrieben.

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