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Graffiti-Projekt in Frankfurt (Oder) Sprühen über alle Grenzen hinweg

Kunst verbindet. Unter der Stadtbrücke Frankfurt (Oder) entsteht aktuell ein riesiges legales Graffiti. Beteiligt sind Künstler aus Deutschland und Polen. Sie wollen der Frankfurter und Słubicer Szene der 90er und 00er Jahre ein Denkmal setzen. Von Robert Schwaß


An der Frankfurter Oderpromenade liegt der Geruch von Aceton in der Luft. Seit Anfang der Woche sprayen zwölf Künstler ein großes Graffiti-Wandbild auf eine 400 Quadratmeter große Betonfläche unter der Stadtbrücke an der deutsch-polnischen Grenze. Knapp 600 Dosen haben die Sprüher schon verbraucht, erzählt Thomas.

Er malt bereits seit drei Tagen an der Wand. Der heute 45-Jährige gehört zu Frankfurts "Alter Schule", der Graffiti-Szene der ersten Stunde. Für das Projekt "1200 Grenzübergreifend" kommen die Writer von damals jetzt wieder zusammen. 1200 steht dabei für die alte Postleitzahl Frankfurts.


Graffitikultur an der Oder

Mit den Anfängen von Hip-Hop tauchten im New York der 70er Jahre die ersten Graffiti auf. Schnell schwappte die Bewegung auch nach Deutschland über. Durch Einflüsse aus Berlin entwickelte sich nach der Wende auch in Frankfurt (Oder) eine Graffiti- und Skateboardkultur, erinnert sich Thomas an seine Jugend. "Das erste Mal an eine Wand zu sprühen ist schon ein krasser Adrenalinkick. Auch als Erwachsener macht es noch Spaß ein bisschen Farbe auf den Fingernägeln zu haben", sagt er.

Mitte der 1990er gab es in Frankfurt eine große Zahl verschiedener Sprayer-Gruppen, verteilt auf alle Stadtteile. Während es in größeren Städten unter verfeindeten Graffiti-Gangs teilweise auch gewaltsam zugehen kann, sei die Atmosphäre in Frankfurt untereinander eher familiär gewesen, erinnert sich Thomas.

Zwar habe das illegale Besprühen von Wänden auch in der Oderstadt seinen Reiz ausgemacht, dennoch habe sich Frankfurt schon früh bemüht, eine Vielzahl an legalen Flächen bereitzustellen. Auch zu Künstlern aus der polnischen Nachbarstadt Słubice gab es schnell freundschaftlichen Kontakt. Das gemeinsame Hobby verband trotz unterschiedlicher Sprachen, man sprühte überregional und auf beiden Seiten der Oder. Viele Freundschaften halten bis heute, sagt Thomas, obwohl man sich über Jahre nicht gesehen habe.


Erinnerung an verstorbenen Sprüher

Das jetzt entstehende Wandbild ist auch eine Erinnerung an den im letzten Jahr verstorbenen Sprüher "Mya". Er war einer der prägendsten Personen der Frankfurter Sprüher-Szene, sagt Thomas. "Mya" habe verschiedene Generationen von Malern vereint und das erste Graffiti-Magazin in der Stadt rausgebracht.

Als die Idee für ein Tribut-Graffiti entstand, sagte Thomas sofort zu, obwohl der Familienvater heute nicht mehr als Sprayer aktiv ist. Er sei beeindruckt, dass trotz Corona-Pandemie alle damals relevanten Writer für die Aktion zusammengekommen sind, sagt er. Thomas wohnt selbst seit Jahren außerhalb von Frankfurt. Viele Freunde wohnten inzwischen in Leipzig und Berlin, so Thomas - aber eine Person sei für das Wandbild sogar aus China angereist.


Subkulturen gegen rechte Gewalt

Gefördert wird das Projekt "1200 Grenzübergreifend" unter anderem mit Mitteln aus dem Bundesprogramm "Demokratie leben". Auch Lokalpolitiker Jan Augustyniak (Linke) unterstützt die Aktion. Der Stadtverodnete wurde 1982 in Frankfurt geboren und erinnert sich noch gut an die 90er Jahre. In den Nachwendejahren dominierte in vielen Gegenden Ostdeutschlands Rassismus und Nazi-Gewalt die Straßen.

Der "Zeit Online"-Redakteur und Autor Christian Bangel, ebenfalls in Frankfurt geboren und aufgewachsen, nannte diese Zeit die "Baseballschlägerjahre". Auch Hip-Hopper, Sprayer und Skater waren Angriffen ausgesetzt, erklärt Jan Augustyniak. Trotzdem gehörten sie zu den Subkulturen, die Freiräume schafften und "sich von den Rechten nicht kleinkriegen lassen haben", so der Politiker.


Workshops für Jugendliche

Am 1. Mai soll das fertige Wandbild unter der Oderbrücke an die Stadt Frankfurt übergeben werden. Zusätzlich wird ein Buch über die Frankfurter und Słubicer Graffiti-Szene der Nachwendezeit veröffentlicht. Bisher gibt es noch keinen geschichtlichen Nachweis über die in den 1990ern und 2000ern sehr aktive Szene, erklärt Mitorganisatorin Heike Karg vom "Mehrgenerationenhaus Mikado". Durch den Wegzug vieler junger Menschen spielten Subkulturen in Frankfurt heute keine so große Rolle mehr.

Trotzdem gebe es nach wie vor viele interessierte Jugendliche. Wenn es die Corona-Pandemie zulässt, sollen im Sommer Graffiti- und Skateboardworkshops für Kinder und Jugendliche angeboten werden, teilweise von damaligen Szene-Größen angeleitet.

Sendung: Brandenburg aktuell, 17.04.2021, 19:30 Uhr

Beitrag von Robert Schwaß





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