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Zwischen Secession und Moderne

Für Architektur-Fans hat Lwiw einiges zu bieten. Die Prachtbauten aus dem 18. Und 19. Jahrhundert sind ein Schmuckstück des historischen Zentrums. Osteuropa-Fans erfreuen sich an Bauten des sozialistischen Bauten und Schlafstädten, welche ab den 50er Jahren entstanden. Über Lwiws Architektur der Zwischenkriegszeit ist dagegen wenig bekannt. Architekt Taras Savka führt uns durch seine Stadt.

Text: Robert Schwaß Fotos: Roman Boichuk, Robert Schwaß

Auch abseits der prunkvollen Häuser im Zentrum versprüht Lwiw einen ganz besonderen Charme. Für uns ist es eine willkommene Abwechslung, sich nach Führungen durch die Innenstadt, nicht inmitten neu entstandener Cafés und Touristen-Hotspots zu bewegen. Hier werden keine Selfies vor Gebäuden und Denkmälern geschossen, dabei haben auch die Häuser der Zwischenkriegszeit viel über den damaligen Zeitgeist zu erzählen, meint Taras Savka. Der Lwiwer Architekt führt nicht nur durch seine Heimatstadt, sondern konzipiert auch Gedenkorte. So zum Beispiel die im Aufbau befindliche Gedenkstätte in Berdytschiw, welche wir im Rahmen unserer Exkursion aufsuchen werden.

Wir starten unsere Tour auf dem Yevhena-Petrushevycha-Platz. Architektur spiegelt auch immer den Zeitgeist und das vorherrschende politische System wider. Savka deutet auf ein Haus, welches zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand. Tier-Symbole und Ornamente an den Fassaden zeugen vom Reichtum der damaligen Zeit. Auf der anderen Seite des Platzes: Der Kulturpalast der studentischen Jugend, dessen Bau 1938 begann, die Fertigstellung jedoch bis 1961 auf sich warten ließ. Wie der Wiener Jugendstil auf der einen, zum Modernen Stil auf der anderen Seite wurde, will uns Savka anhand der Gebäude in den Nebenstraßen erklären. Wir laufen weiter durch die Oleny Pchilky Straße und die Chereshneva Straße. Nachbarn gucken verdutzt, eine Touristen-Gruppe wie uns sieht man hier wahrscheinlich selten. Großzügige Doppelhaushälften, idyllische Gärten und teils verrostete Eingangstore aus Metall zieren das Straßenbild. Entstanden sind die Gebäude in den Jahren nach 1918. Mit der Auflösung alter Imperien und der Gründung neuer Staaten stand auch der Wohnungsbau vor Herausforderungen. Dazu kamen die fehlenden finanziellen und materiellen Mittel.

Das Viertel, in welchem wir uns befinden war zu den Zeiten der Donaumonarchie ein Militärgelände, nach der Gründung des zweiten polnischen Staates wurden an diesem Ort Wohnflächen für die polnischen Soldaten zu schaffen. Das Viertel wurde Offizierskolonie genannt. Im Vergleich zu engen Mietskasernen galten die Häuser mit ihren grünen Gartengrundstücken als vergleichsweise innovativ, wenn auch die Fassaden größtenteils ohne Verzierung auskamen. Dies geschah auch aus der Not heraus, schließlich waren die Mittel in den Wirren der Nachkriegsjahre begrenzt. Wir halten in der Arkhypenka Straße vor einem Schulgebäude, in welchem heute eine von zwei Oberschulen mit erweitertem Deutschunterricht beherbergt ist. Das Haus ist schlicht gehalten und besticht durch die vielen Fenster in verschiedenen Größen. Danach biegen wir bergauf in die Hernala Tarnakskoho. Die Häuser spiegeln die Architektur der Zwischenkriegszeit gut wider. Die Putzfassaden sind oft schlicht gehalten und spielen mit Formen und Größen. Trotz einfachen Formen fallen einzelne Verzierungen ins Auge. Sie können als Erbe der Wiener Secession gelten und markieren die Überganszeit hin zur Moderne. Es ist auch für uns als Architektur-Laien spannend, Taras Savka zuzuhören und zu erfahren, wie viel Geschichte schon in einer kleinen Seitenstraße stecken kann. Am Ende unserer Führung entdecken wir eine offene Haustür und genießen einen exklusiven Ausblick auf Lwiw, dessen Architektur noch symbolisch für die multikulturelle Stadt von einst zu stehen scheint.


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